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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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bombenfest gemacht und riesenhafte Bauten zur Unterbringung einer großen Be¬
satzung ausgeführt worden. Das Geschütz hat man verdreifacht, und Casematten
eingerichtet, obschon in bastionirtcn Festungen diese sonst nicht gewöhnlich sind.
Die Sucht der Russe", sie stark zu machen, hat die Festung in einen Zwitter
verwandelt. Die Russen hatten sie früher schon für unüberwindlich gehalten und
waren deshalb in einer ehrfurchtsvollen Entfernung von ihr geblieben; jetzt dünkt
sie ihnen wahrscheinlich zehnfach unüberwindlich, zumal die alte steinerne Heldin zu
guter Letzt auch noch mit einem russischen Namen bepanzert worden ist. Freilich, sollte
es einmal wieder zu einer Erhebung des polnischen Volkes kommen, so dürsten
die Polen wohl den russischen Kriegögrundsatz, die Festungen zu umgehen und
durch die endlichen Verhältnisse stürzen zu lassen, gelernt haben. Auch dürste im
andern Falle Rußland in seinen Regimentern vielleicht keinen Ledochowski finden,
der mit stolzer Entrüstung eine halbe Million Silberrubel von dem Tische schleu¬
dert und mit einem einzigen Aufstampfen seines hölzernen Stelzbeines jede Aussicht
auf Profitabele Unterhandlungen zerstampft.

Die Festung Motum und die Citadelle von Warschau, beide an den Haupt¬
punkten der Weichsel gelegen, durch diese mit einander verbunden und nur vier
Meilen von einander entfernt, sind das schwerste Gewicht in Polens Genick.
Vorzüglich die Warschauer Feste hat große Bedeutung, wenn man, -- wie es die
Russen zu sein scheinen-- der Meinung ist, daß die Erhebung des polnischen
Volks in einer andern Weise nicht stattfinden könne, als in der sie früher statt¬
gefunden hat.

Die Citadelle von Warschau wurde 1832 in Angriff genommen und schon
1835 vollendet. Ohne ganze russische Regimenter mit Schaufel, Hacke und Spaten
manövriren zu lassen, würde diese Riesenbaute, welche im äußersten Nothfalle die
ganze Warschauer Garnison, deren höchster Satz auf fünf und zwanzigtausend
Mann angenommen worden ist, aufnehmen kann, in Zeit von drei Jahren nicht
sertig geworden sein. Die Verwendung der russischen Soldaten für die Bauar¬
beiten ist auch die Ursache, daß der baare Vorschuß, den Rußland dem König¬
reich für die Festungsanlagen aufgezwungen hat, doch im Verhältniß zu den
erschaffenen Werken ein uicht großer ist.

Die Citadelle hat eiuen Umfang von fast drei Viertelstunden und nimmt
beinahe den ganzen Raum zwischen Marymont und dem nördlichen Ende Warschaus
ein. Sie bildet ein rechtwinkliges Viereck, dessen eine Seite auf dem Uferplateau
mit der Stadt in gleicher Höhe, dessen entgegengesetzte Seite unmittelbar in der
Weichsel fußt, und dessen andere beide Seiten parallel den Uferabhang hinablaufen.
Von Osten verweigert die Weichsel jeden Angriff, zumal sie hier eine Tiefe besitzt,
die das Bett nimmer trocken werden läßt. Nur bei starker Winterkälte, wenn
der Fluß gefroren ist, wäre auf dieser Seite ein Augriff möglich, dann wäre er
in der That auch auszuführen, da die Mauer kein ungeheueres Hinderniß ist,


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bombenfest gemacht und riesenhafte Bauten zur Unterbringung einer großen Be¬
satzung ausgeführt worden. Das Geschütz hat man verdreifacht, und Casematten
eingerichtet, obschon in bastionirtcn Festungen diese sonst nicht gewöhnlich sind.
Die Sucht der Russe», sie stark zu machen, hat die Festung in einen Zwitter
verwandelt. Die Russen hatten sie früher schon für unüberwindlich gehalten und
waren deshalb in einer ehrfurchtsvollen Entfernung von ihr geblieben; jetzt dünkt
sie ihnen wahrscheinlich zehnfach unüberwindlich, zumal die alte steinerne Heldin zu
guter Letzt auch noch mit einem russischen Namen bepanzert worden ist. Freilich, sollte
es einmal wieder zu einer Erhebung des polnischen Volkes kommen, so dürsten
die Polen wohl den russischen Kriegögrundsatz, die Festungen zu umgehen und
durch die endlichen Verhältnisse stürzen zu lassen, gelernt haben. Auch dürste im
andern Falle Rußland in seinen Regimentern vielleicht keinen Ledochowski finden,
der mit stolzer Entrüstung eine halbe Million Silberrubel von dem Tische schleu¬
dert und mit einem einzigen Aufstampfen seines hölzernen Stelzbeines jede Aussicht
auf Profitabele Unterhandlungen zerstampft.

Die Festung Motum und die Citadelle von Warschau, beide an den Haupt¬
punkten der Weichsel gelegen, durch diese mit einander verbunden und nur vier
Meilen von einander entfernt, sind das schwerste Gewicht in Polens Genick.
Vorzüglich die Warschauer Feste hat große Bedeutung, wenn man, — wie es die
Russen zu sein scheinen— der Meinung ist, daß die Erhebung des polnischen
Volks in einer andern Weise nicht stattfinden könne, als in der sie früher statt¬
gefunden hat.

Die Citadelle von Warschau wurde 1832 in Angriff genommen und schon
1835 vollendet. Ohne ganze russische Regimenter mit Schaufel, Hacke und Spaten
manövriren zu lassen, würde diese Riesenbaute, welche im äußersten Nothfalle die
ganze Warschauer Garnison, deren höchster Satz auf fünf und zwanzigtausend
Mann angenommen worden ist, aufnehmen kann, in Zeit von drei Jahren nicht
sertig geworden sein. Die Verwendung der russischen Soldaten für die Bauar¬
beiten ist auch die Ursache, daß der baare Vorschuß, den Rußland dem König¬
reich für die Festungsanlagen aufgezwungen hat, doch im Verhältniß zu den
erschaffenen Werken ein uicht großer ist.

Die Citadelle hat eiuen Umfang von fast drei Viertelstunden und nimmt
beinahe den ganzen Raum zwischen Marymont und dem nördlichen Ende Warschaus
ein. Sie bildet ein rechtwinkliges Viereck, dessen eine Seite auf dem Uferplateau
mit der Stadt in gleicher Höhe, dessen entgegengesetzte Seite unmittelbar in der
Weichsel fußt, und dessen andere beide Seiten parallel den Uferabhang hinablaufen.
Von Osten verweigert die Weichsel jeden Angriff, zumal sie hier eine Tiefe besitzt,
die das Bett nimmer trocken werden läßt. Nur bei starker Winterkälte, wenn
der Fluß gefroren ist, wäre auf dieser Seite ein Augriff möglich, dann wäre er
in der That auch auszuführen, da die Mauer kein ungeheueres Hinderniß ist,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/451>, abgerufen am 01.09.2024.