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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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und Nnssificirung des polnischen Volks hinzielenden Maßregeln ganz unvermerkt
in's Leben treten zu lassen, und erst dann dieselben zu proclamiren, wenn sie
in Kraft und Wirksamkeit sich befinden. Allein der Wein thut das Seinige bei
den Herrn Generalen und Stadträchen. So z. B. wußte Jemand die Verän¬
derung der Gouvernements in Polen sammt allen damit verbundenen Umständen
schon ein halbes Jahr vor der Ausführung dieser Maßregel. Da jener Jemand
die Maßregel als zuverlässig bevorstehend in deutschen Zeitungen verkündete, er¬
staunte die Negierung und stellte eifrigst Nachforschungen an. Sie hätte in den
Weinflaschen eines Herrn Staatsraths die Forschung beginnen sollen.

Die russischen Entwürfe in Betreff der Festungsanlagen in Polen waren so
großartig, daß ihre Ausführung wohl den meisten Personen von gesundem Hirn
unmöglich erschien. Die Unmöglichkeit hat sich in der Folge bewiesen. Statt
der siebzehn neuen Festungen hat man sich begnügen müssen, drei in's Leben zu
bringen und die alten polnischen zu verstärken. Der Gedanke, daß man mit den
Festungen dem polnischen Volke im möglichen Falle bedeutende Hilfsmittel zur Wieder¬
erlangung und Behauptung seiner Freiheit in's Land gesetzt haben könne, mag
wohl die Regierung veranlaßt haben, ihr leidenschaftliches Vorhaben der Critik
des nüchternen Verstandes und ruhigen Buttes zu unterwerfen. Viel mehr mag
sie aber die Unerschwinglichkeit der Mittel zum Innehalten bewogen haben. Ge¬
gen zweihundert Millionen Silberrubel wollte die Regierung in ihrer ersten Lei¬
denschaftlichkeit auf Festungsbauten verwenden lassen; es sind nur neunundzwanzig
verwendet worden und sie hat die Befestigung Polens schon sehr satt bekommen,
wenngleich das polnische Volk diese bescheidene Summe in sein Schuldenrcgister
schreiben mußte.

Die bastionirte Festung Motum, welche in die Luft zu sprengen der Graf
Ledochowski am Ende des RevolutivnSkriegcs durch seine eigene Mannschaft ge¬
hindert wurde, wurde zuerst in Angriff genommen. Die Wichtigkeit dieser Fe¬
stung am Zusammenfluß des Bug und der Weichsel, durch welche eine doppelte
Operativnslinie lind ein Weichselübergang, von dem die Beherrschung beider
Hälften des Landes abhängt, gesichert ist, leuchtete zu sehr ein, als daß man
sür sie nicht hätte das Höchste aufbieten sollen. Der Graben wurde um sechs
Schuh vertieft, der Wall um ebensoviel erhöht, beides auf der Westseite sehr
bedeutend hinausgeschoben, zwei Ravelins und selbst auch Contregarden einge¬
richtet, welche letztem jedoch die Festung mehr schwachen als stärken und offenbar
zum Nachtheil sind. Dergleichen Einrichtungen besaß die alte Festung nicht:
Nur mit großen Kosten ist es möglich geworden, aus zwei Seiten einen soge¬
nannten verdeckten Gang einzurichten, doch ist er hergestellt. Auf detachirte
Werke ließ sich der General nicht ein, da sie auch kaum nöthig waren. Dage¬
gen sind im Innern der Feste viele Aenderungen gemacht und selbst die Wall¬
mauer großentheils erneuert und an einigen Stellen gewinkelt, mehre Gebände


und Nnssificirung des polnischen Volks hinzielenden Maßregeln ganz unvermerkt
in's Leben treten zu lassen, und erst dann dieselben zu proclamiren, wenn sie
in Kraft und Wirksamkeit sich befinden. Allein der Wein thut das Seinige bei
den Herrn Generalen und Stadträchen. So z. B. wußte Jemand die Verän¬
derung der Gouvernements in Polen sammt allen damit verbundenen Umständen
schon ein halbes Jahr vor der Ausführung dieser Maßregel. Da jener Jemand
die Maßregel als zuverlässig bevorstehend in deutschen Zeitungen verkündete, er¬
staunte die Negierung und stellte eifrigst Nachforschungen an. Sie hätte in den
Weinflaschen eines Herrn Staatsraths die Forschung beginnen sollen.

Die russischen Entwürfe in Betreff der Festungsanlagen in Polen waren so
großartig, daß ihre Ausführung wohl den meisten Personen von gesundem Hirn
unmöglich erschien. Die Unmöglichkeit hat sich in der Folge bewiesen. Statt
der siebzehn neuen Festungen hat man sich begnügen müssen, drei in's Leben zu
bringen und die alten polnischen zu verstärken. Der Gedanke, daß man mit den
Festungen dem polnischen Volke im möglichen Falle bedeutende Hilfsmittel zur Wieder¬
erlangung und Behauptung seiner Freiheit in's Land gesetzt haben könne, mag
wohl die Regierung veranlaßt haben, ihr leidenschaftliches Vorhaben der Critik
des nüchternen Verstandes und ruhigen Buttes zu unterwerfen. Viel mehr mag
sie aber die Unerschwinglichkeit der Mittel zum Innehalten bewogen haben. Ge¬
gen zweihundert Millionen Silberrubel wollte die Regierung in ihrer ersten Lei¬
denschaftlichkeit auf Festungsbauten verwenden lassen; es sind nur neunundzwanzig
verwendet worden und sie hat die Befestigung Polens schon sehr satt bekommen,
wenngleich das polnische Volk diese bescheidene Summe in sein Schuldenrcgister
schreiben mußte.

Die bastionirte Festung Motum, welche in die Luft zu sprengen der Graf
Ledochowski am Ende des RevolutivnSkriegcs durch seine eigene Mannschaft ge¬
hindert wurde, wurde zuerst in Angriff genommen. Die Wichtigkeit dieser Fe¬
stung am Zusammenfluß des Bug und der Weichsel, durch welche eine doppelte
Operativnslinie lind ein Weichselübergang, von dem die Beherrschung beider
Hälften des Landes abhängt, gesichert ist, leuchtete zu sehr ein, als daß man
sür sie nicht hätte das Höchste aufbieten sollen. Der Graben wurde um sechs
Schuh vertieft, der Wall um ebensoviel erhöht, beides auf der Westseite sehr
bedeutend hinausgeschoben, zwei Ravelins und selbst auch Contregarden einge¬
richtet, welche letztem jedoch die Festung mehr schwachen als stärken und offenbar
zum Nachtheil sind. Dergleichen Einrichtungen besaß die alte Festung nicht:
Nur mit großen Kosten ist es möglich geworden, aus zwei Seiten einen soge¬
nannten verdeckten Gang einzurichten, doch ist er hergestellt. Auf detachirte
Werke ließ sich der General nicht ein, da sie auch kaum nöthig waren. Dage¬
gen sind im Innern der Feste viele Aenderungen gemacht und selbst die Wall¬
mauer großentheils erneuert und an einigen Stellen gewinkelt, mehre Gebände


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[0450] und Nnssificirung des polnischen Volks hinzielenden Maßregeln ganz unvermerkt in's Leben treten zu lassen, und erst dann dieselben zu proclamiren, wenn sie in Kraft und Wirksamkeit sich befinden. Allein der Wein thut das Seinige bei den Herrn Generalen und Stadträchen. So z. B. wußte Jemand die Verän¬ derung der Gouvernements in Polen sammt allen damit verbundenen Umständen schon ein halbes Jahr vor der Ausführung dieser Maßregel. Da jener Jemand die Maßregel als zuverlässig bevorstehend in deutschen Zeitungen verkündete, er¬ staunte die Negierung und stellte eifrigst Nachforschungen an. Sie hätte in den Weinflaschen eines Herrn Staatsraths die Forschung beginnen sollen. Die russischen Entwürfe in Betreff der Festungsanlagen in Polen waren so großartig, daß ihre Ausführung wohl den meisten Personen von gesundem Hirn unmöglich erschien. Die Unmöglichkeit hat sich in der Folge bewiesen. Statt der siebzehn neuen Festungen hat man sich begnügen müssen, drei in's Leben zu bringen und die alten polnischen zu verstärken. Der Gedanke, daß man mit den Festungen dem polnischen Volke im möglichen Falle bedeutende Hilfsmittel zur Wieder¬ erlangung und Behauptung seiner Freiheit in's Land gesetzt haben könne, mag wohl die Regierung veranlaßt haben, ihr leidenschaftliches Vorhaben der Critik des nüchternen Verstandes und ruhigen Buttes zu unterwerfen. Viel mehr mag sie aber die Unerschwinglichkeit der Mittel zum Innehalten bewogen haben. Ge¬ gen zweihundert Millionen Silberrubel wollte die Regierung in ihrer ersten Lei¬ denschaftlichkeit auf Festungsbauten verwenden lassen; es sind nur neunundzwanzig verwendet worden und sie hat die Befestigung Polens schon sehr satt bekommen, wenngleich das polnische Volk diese bescheidene Summe in sein Schuldenrcgister schreiben mußte. Die bastionirte Festung Motum, welche in die Luft zu sprengen der Graf Ledochowski am Ende des RevolutivnSkriegcs durch seine eigene Mannschaft ge¬ hindert wurde, wurde zuerst in Angriff genommen. Die Wichtigkeit dieser Fe¬ stung am Zusammenfluß des Bug und der Weichsel, durch welche eine doppelte Operativnslinie lind ein Weichselübergang, von dem die Beherrschung beider Hälften des Landes abhängt, gesichert ist, leuchtete zu sehr ein, als daß man sür sie nicht hätte das Höchste aufbieten sollen. Der Graben wurde um sechs Schuh vertieft, der Wall um ebensoviel erhöht, beides auf der Westseite sehr bedeutend hinausgeschoben, zwei Ravelins und selbst auch Contregarden einge¬ richtet, welche letztem jedoch die Festung mehr schwachen als stärken und offenbar zum Nachtheil sind. Dergleichen Einrichtungen besaß die alte Festung nicht: Nur mit großen Kosten ist es möglich geworden, aus zwei Seiten einen soge¬ nannten verdeckten Gang einzurichten, doch ist er hergestellt. Auf detachirte Werke ließ sich der General nicht ein, da sie auch kaum nöthig waren. Dage¬ gen sind im Innern der Feste viele Aenderungen gemacht und selbst die Wall¬ mauer großentheils erneuert und an einigen Stellen gewinkelt, mehre Gebände

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/450>, abgerufen am 27.07.2024.