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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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nicht durch jenen Thatendrang verleitet, der sich des Scepters bemächtigt, weil
seine Hand allein stark genug ist, ihn zu führen. Er wog die Gründe für und
wider ab und ließ sich durch endliche Rücksichten leiten. Daß er die Revolution
durch sein Beispiel heiligte, sie auch gegen sich heiligte -- den" die Hand, welche
ihm die Krone gab, konnte sie ihm anch wieder nehmen -- das sah er wohl, aber
die bloße Klugheit glaubt nicht an das Gewicht eines Princips. Sie wird sich
daher immer täuschen, wo es sich um Principien handelt.

Ueberblicken wir die Geschichte seiner Regierung, so müssen wir nnr immer
das Eine im Auge behalten, daß er, vielleicht mit Ausnahme der kurzen Verwal¬
tung Casimir Perier'ö, immer persönlich regiert hat. Die kleinen Intriganten
-- Thiers, Molü -- auf der eine", die Doktrinärs ans der andern Seite, waren
nichts als seine Werkzeuge. -- Es ist in den achtzehn Jahren für das, was
Frankreich vor Allem Roth that, und wozu eine bürgerliche Negierung recht eigent¬
lich berufen war, Reform der Verwaltung, soviel wie nichts geschehen. Man
schützte beständig die Notwendigkeit vor, in welche die conservative Partei gesetzt
sei, zuerst mit dem Drängen der Revolution fertig zu werden -- ganz wie Robes-
pierre, der Frankreich die vollkommenste Freiheit versprach, sobald nur erst alle
Bösewichter, Intriganten, Verschwörer und Feinde der Tugend ausgerottet wäre".
Aber der hämische Blick, den Guizot und seines Gleichen auf die verwirrten Zu¬
stände werfe", die aus der Republick hervorgegangen sind, rechtfertigt sie keines¬
wegs ; sie sind doch Schuld daran. Der unbedingte Servilismus der Verwaltung,
den sie erhalten und befördert haben, hat es möglich gemacht, daß die tausend¬
jährige Monarchie durch einen Handstreich zusammenstürzte; die Corruption, die
sie in der Volksvertretung nährten, hat diese zu einer ungenügenden Brustwehr
des Königthums gemacht. Indem sie die Formen der Verfassung wahrten, meinten
sie dem Wesen derselben gerecht zu werden; aber eine Regierung ohne Princip,
die nnr erhalten will, höhlt den Boden unter ihren eigenen Füßen aus.

Die Regierung Ludwig Philippus hatte von dem Bürgerthum, das sie re-
präsentiren sollte, nur den äußern Anstrich und die Kleinlichkeit. Sie arbeitete
bloß für den vermehrten Privatbesitz des Hauses Orleans und die Garantie des¬
selben, -- die Ruhe. Eine wahrhaft bürgerliche Regierung wird mit unverdroßner
Thätigkeit für den öffentlichen Wohlstand arbeiten; arbeiten um der Arbeit willen.
Freilich trifft dieser Vorwurf das gesammte Volk. Die Franzosen arbeiten uur,
um später zu genießen; die bürgerliche Frende an der Thätigkeit selbst ist ihnen
fremd. Ihnen war die Regierung nur darum bürgerlich, weil sie den adligen
Geist der Monarchie Ludwigs XIV. und Napoleons verleugnete.

Denn das Schauspiel, welches die auswärtige Politik Frankreichs in dieser
'Periode darbietet, ist wo möglich noch kleinlicher, als das der inner". Die spa¬
nischen Heirathen, die Haltung in Nncona, die Diplomatie in der Schweiz, die
ägyptische Frage, die Spielereien in Otaheiti -- das alles war ein Gewebe


nicht durch jenen Thatendrang verleitet, der sich des Scepters bemächtigt, weil
seine Hand allein stark genug ist, ihn zu führen. Er wog die Gründe für und
wider ab und ließ sich durch endliche Rücksichten leiten. Daß er die Revolution
durch sein Beispiel heiligte, sie auch gegen sich heiligte — den» die Hand, welche
ihm die Krone gab, konnte sie ihm anch wieder nehmen — das sah er wohl, aber
die bloße Klugheit glaubt nicht an das Gewicht eines Princips. Sie wird sich
daher immer täuschen, wo es sich um Principien handelt.

Ueberblicken wir die Geschichte seiner Regierung, so müssen wir nnr immer
das Eine im Auge behalten, daß er, vielleicht mit Ausnahme der kurzen Verwal¬
tung Casimir Perier'ö, immer persönlich regiert hat. Die kleinen Intriganten
— Thiers, Molü — auf der eine», die Doktrinärs ans der andern Seite, waren
nichts als seine Werkzeuge. — Es ist in den achtzehn Jahren für das, was
Frankreich vor Allem Roth that, und wozu eine bürgerliche Negierung recht eigent¬
lich berufen war, Reform der Verwaltung, soviel wie nichts geschehen. Man
schützte beständig die Notwendigkeit vor, in welche die conservative Partei gesetzt
sei, zuerst mit dem Drängen der Revolution fertig zu werden — ganz wie Robes-
pierre, der Frankreich die vollkommenste Freiheit versprach, sobald nur erst alle
Bösewichter, Intriganten, Verschwörer und Feinde der Tugend ausgerottet wäre».
Aber der hämische Blick, den Guizot und seines Gleichen auf die verwirrten Zu¬
stände werfe», die aus der Republick hervorgegangen sind, rechtfertigt sie keines¬
wegs ; sie sind doch Schuld daran. Der unbedingte Servilismus der Verwaltung,
den sie erhalten und befördert haben, hat es möglich gemacht, daß die tausend¬
jährige Monarchie durch einen Handstreich zusammenstürzte; die Corruption, die
sie in der Volksvertretung nährten, hat diese zu einer ungenügenden Brustwehr
des Königthums gemacht. Indem sie die Formen der Verfassung wahrten, meinten
sie dem Wesen derselben gerecht zu werden; aber eine Regierung ohne Princip,
die nnr erhalten will, höhlt den Boden unter ihren eigenen Füßen aus.

Die Regierung Ludwig Philippus hatte von dem Bürgerthum, das sie re-
präsentiren sollte, nur den äußern Anstrich und die Kleinlichkeit. Sie arbeitete
bloß für den vermehrten Privatbesitz des Hauses Orleans und die Garantie des¬
selben, — die Ruhe. Eine wahrhaft bürgerliche Regierung wird mit unverdroßner
Thätigkeit für den öffentlichen Wohlstand arbeiten; arbeiten um der Arbeit willen.
Freilich trifft dieser Vorwurf das gesammte Volk. Die Franzosen arbeiten uur,
um später zu genießen; die bürgerliche Frende an der Thätigkeit selbst ist ihnen
fremd. Ihnen war die Regierung nur darum bürgerlich, weil sie den adligen
Geist der Monarchie Ludwigs XIV. und Napoleons verleugnete.

Denn das Schauspiel, welches die auswärtige Politik Frankreichs in dieser
'Periode darbietet, ist wo möglich noch kleinlicher, als das der inner». Die spa¬
nischen Heirathen, die Haltung in Nncona, die Diplomatie in der Schweiz, die
ägyptische Frage, die Spielereien in Otaheiti — das alles war ein Gewebe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/413>, abgerufen am 06.10.2024.