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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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lieben Interessen, die bange Furcht, die es zu nichts bringt,, weil sie nichts im
Zusammenhang auffaßt. Betrachten wir den königlichen Kaufmann, dessen Be¬
rechnung sich von einem Pol der Erde zum andern ausdehnt, so mag unser Ge-
müth durch seine Kälte verletzt werden; ihn gering zu achten, dazu wird sich selbst
unsere Phantasie nicht hergeben. Reißen wir aber die Berechnung aus ihrem Zu¬
sammenhang, so kommt jenes klägliche Bild des Spießbürgers, des zaghaften
Philisters heraus, dessen Horizont sich in seinein Detailkram abschließt, dessen Herz
in der Sorge für den kommenden Tag vollkommen ausgeht und darin verküm¬
mert: jenes kläglich lächerliche Zerrbild, mit dem die Royalisten und die Demo¬
kraten unsere Partei vollständig charakterisirt zu haben glauben. Sie sehen nnr
den dürrbcinigen Epicier, der halb mit Widerwillen, halb mit lächerlichem Selbst¬
gefühl in den Reihen der Communalgarde uuter der Last der Büchse einherschreitet,
und den Soldaten nachäfft, dessen strammes Wesen ihm imponirt, ohne ihm eigent¬
lich Freude zu machen; oder den Schacherjuden, der, um ein paar Kreuzer mehr
an der geflickten Weste zu verdienen, ein paar Fußtritte mit in den Kauf nimmt;
aber sie sehen nicht jene Compagnie britischer Kaufleute, die ihr stählernes Netz
über Indien gebreitet haben; nicht jenen leidenschaftlichen, schlaflosen, eigennützigen,
aber auch aufopfernden Verstand, der durch die Kraft des Dampfes die Welttheile
mit einander verbündet, der Cultur Flügel gibt, den Ehrgeiz der Mächtigen und
die Grillen des Genusses in seinen Dienst zwingt.

Der Witz ist uicht müde geworden, den Julikönig mit dem Attribut des
Spießbürgerthums, dem Regenschirm, abzubilden, an Stelle des adeligen Schwerts
und der..demokratischen Wage, die man sonst in die Hände des Königthums gibt.
Robert Peel hat mit viel größerer Bitterkeit zu kämpfen gehabt; sowohl die
"proucl w'isweraez'", wie er sie in einem Augenblick leidenschaftlicher Aufwallung
nannte, als die grollende Demagogie in ihren unbändigen, chaotischen Meetings,
hat keinen Borwurf, keinen Hohn gespart, um den gefürchteten Feind zu kränken:
aber zu einem Spießbürger hat sie ihn uicht gemacht. Das Volk hat, im Ganzen
genommen, einen richtigen Instinct: es hat in Robert Peel nur die großartige
Seite des BürgerthuiuS gesehen, die man hassen kann, über die man sich aber nicht
lustig machen wird; in Ludwig Philipp, dem Erben der kriegerischen Bourbons,
dem Fürsten eines bis in's Blut hinein adeligen Volks, nichts als den kleinen,
berechnenden Krämer, dessen Klugheit niemals ergreift und erwärmt, nicht weil sie
klug, sondern weil sie kleinlich ist.

Menschlich betrachtet, wären Ludwig Philipp's Schicksale wohl geeignet, ihm
eine größere Theilnahme zu gewinnen, als sie sonst ein Sterblicher so leicht in
Anspruch nehmen, kann. Aber auch nur seine Schicksale, nicht seine Thaten. Es
ließe sich aus seinem Leben eine anmuthige Novelle machen, aber kein Epos, keine
Geschichte. Robert Peel hat gar keine Schicksale gehabt, er ist im Reichthum
geboren, im Reichthum gestorben -- sein Tod paßt eigentlich nicht recht für ein


lieben Interessen, die bange Furcht, die es zu nichts bringt,, weil sie nichts im
Zusammenhang auffaßt. Betrachten wir den königlichen Kaufmann, dessen Be¬
rechnung sich von einem Pol der Erde zum andern ausdehnt, so mag unser Ge-
müth durch seine Kälte verletzt werden; ihn gering zu achten, dazu wird sich selbst
unsere Phantasie nicht hergeben. Reißen wir aber die Berechnung aus ihrem Zu¬
sammenhang, so kommt jenes klägliche Bild des Spießbürgers, des zaghaften
Philisters heraus, dessen Horizont sich in seinein Detailkram abschließt, dessen Herz
in der Sorge für den kommenden Tag vollkommen ausgeht und darin verküm¬
mert: jenes kläglich lächerliche Zerrbild, mit dem die Royalisten und die Demo¬
kraten unsere Partei vollständig charakterisirt zu haben glauben. Sie sehen nnr
den dürrbcinigen Epicier, der halb mit Widerwillen, halb mit lächerlichem Selbst¬
gefühl in den Reihen der Communalgarde uuter der Last der Büchse einherschreitet,
und den Soldaten nachäfft, dessen strammes Wesen ihm imponirt, ohne ihm eigent¬
lich Freude zu machen; oder den Schacherjuden, der, um ein paar Kreuzer mehr
an der geflickten Weste zu verdienen, ein paar Fußtritte mit in den Kauf nimmt;
aber sie sehen nicht jene Compagnie britischer Kaufleute, die ihr stählernes Netz
über Indien gebreitet haben; nicht jenen leidenschaftlichen, schlaflosen, eigennützigen,
aber auch aufopfernden Verstand, der durch die Kraft des Dampfes die Welttheile
mit einander verbündet, der Cultur Flügel gibt, den Ehrgeiz der Mächtigen und
die Grillen des Genusses in seinen Dienst zwingt.

Der Witz ist uicht müde geworden, den Julikönig mit dem Attribut des
Spießbürgerthums, dem Regenschirm, abzubilden, an Stelle des adeligen Schwerts
und der..demokratischen Wage, die man sonst in die Hände des Königthums gibt.
Robert Peel hat mit viel größerer Bitterkeit zu kämpfen gehabt; sowohl die
„proucl w'isweraez'", wie er sie in einem Augenblick leidenschaftlicher Aufwallung
nannte, als die grollende Demagogie in ihren unbändigen, chaotischen Meetings,
hat keinen Borwurf, keinen Hohn gespart, um den gefürchteten Feind zu kränken:
aber zu einem Spießbürger hat sie ihn uicht gemacht. Das Volk hat, im Ganzen
genommen, einen richtigen Instinct: es hat in Robert Peel nur die großartige
Seite des BürgerthuiuS gesehen, die man hassen kann, über die man sich aber nicht
lustig machen wird; in Ludwig Philipp, dem Erben der kriegerischen Bourbons,
dem Fürsten eines bis in's Blut hinein adeligen Volks, nichts als den kleinen,
berechnenden Krämer, dessen Klugheit niemals ergreift und erwärmt, nicht weil sie
klug, sondern weil sie kleinlich ist.

Menschlich betrachtet, wären Ludwig Philipp's Schicksale wohl geeignet, ihm
eine größere Theilnahme zu gewinnen, als sie sonst ein Sterblicher so leicht in
Anspruch nehmen, kann. Aber auch nur seine Schicksale, nicht seine Thaten. Es
ließe sich aus seinem Leben eine anmuthige Novelle machen, aber kein Epos, keine
Geschichte. Robert Peel hat gar keine Schicksale gehabt, er ist im Reichthum
geboren, im Reichthum gestorben — sein Tod paßt eigentlich nicht recht für ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/410>, abgerufen am 27.07.2024.