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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Siccardi zu schmähen, ihr den schmachvollen Untergang, dem Pät'stthum aber
glorreichen Sieg zu verkünden begann, da ward es den Laien ängstlich in der
Brust. Der Minister hatte im Feuer ungelenker Rede sein innerstes Selbst un¬
klug verrathen, und umvMürlich dachte die weltliche Zuhörerschaft an die mögliche
Bevorwortung der Inquisition von einem Minister dieses entsetzlichen Schlages.

Der Herr Minister, der das Reden immerhin lassen sollte, da ihn der
Schöpfer uun einmal nicht zum Reden geboren werden ließ, hat auch hier ver¬
gessen, wie er das überhaupt vergißt, daß er nicht Minister des katholischen
Cultus, soudern Minister des Cultus in Oestreich sei, daß der protestantische,
der griechisch nicht unirte, der mosaische Cultus, daß insbesondere der Cultus
gesunder Vernunft' ganz gleiche Rechte und Ansprüche gegen das Kultusministe¬
rium Oestrichs geltend zu machen berechtigt seien, daß die grnndrechtlich ausge¬
sprochene Gleichberechtigung der Culte den Begriff einer, im Sinne jener Tisch¬
rede herrschenden Kirche in Oestreich vernichtet habe; wie also vermochte der
Minister in jener deplorableu Rede seine amtliche Stellung, seine Amtspflicht
und Verantwortlichkeit so ganz zu vergessen und sich von seinem Blindeiser
zu einer Philippina gegen Andersdenkende, gegen Andersglaubende hinreißen zu las¬
sen. Ein Münster solcher Gesinnung und so ausgesprochen intoleranter Partei-
stelluug ist, so dünkt uns wenigstens, geradezu unmöglich für Oestreich. Ein
Großalmoscnier Oestreichs wurde eine solche Rede, wenn auch gleich in der Ten¬
denz, jedenfalls klüger und vorsichtiger eingerichtet haben. Martin Luther's Tisch¬
reden hat sich der Herr Minister nicht zum Vorbilde genommen, wohl aber sei¬
nen unterthänigsten Vortrag, welcher das Gesetz zur Emancipation der Hierarchen
bevorwortete (?); was dort aus ansgcdrnngener Klugheit verdeckt und verschwiegen
werden mußte, damit platzte der Herr Minister in jener Tischrede heraus.

Mau muß gestehen, die Herren Minister verstehen es, sich bei öffentlichem
Auftreten in öffentlicher Meinung selbstmörderisch zu ruiniren; noch ist Herrn
von Schmerling's Austreten am 24. Juni in mißlicher Erinnerung, und schon
wieder hat der Herr Kultusminister sich beeilt, uns und der künftigen Opposition
erfreulich zu beweisen, was ein künftiger Reichstag von dem Tacte und Reduer-
talente des Ministeriums zu erwarten hat.

Wenn man glaubt mit Kanonen und dem Rauchfaß den Geist der Neuzeit
zu bannen, so ist man im Irrthum; dem Rauchfaß besonders entsprühen Funken,
welche einen Brand in Böhmen zu entzünden drohen, dessen Verwüstungsfähig¬
keit weit hinausgeht über die fanatisch beengten Begriffe des Ministers Leo Thun.
Macht ihr eine Zeit lang so fort, so predigt nach wenigen Jahren ein hussitischer
Prediger in der Kathedrale am Hradschin zu Prag, und der päpstliche Bann¬
strahl verpufft über Böhmen, machtlos wie eine Rakete Semper'S Reform Re¬
.,
Johannes. form in Allem, Reform allein rettet euch und nus.




Siccardi zu schmähen, ihr den schmachvollen Untergang, dem Pät'stthum aber
glorreichen Sieg zu verkünden begann, da ward es den Laien ängstlich in der
Brust. Der Minister hatte im Feuer ungelenker Rede sein innerstes Selbst un¬
klug verrathen, und umvMürlich dachte die weltliche Zuhörerschaft an die mögliche
Bevorwortung der Inquisition von einem Minister dieses entsetzlichen Schlages.

Der Herr Minister, der das Reden immerhin lassen sollte, da ihn der
Schöpfer uun einmal nicht zum Reden geboren werden ließ, hat auch hier ver¬
gessen, wie er das überhaupt vergißt, daß er nicht Minister des katholischen
Cultus, soudern Minister des Cultus in Oestreich sei, daß der protestantische,
der griechisch nicht unirte, der mosaische Cultus, daß insbesondere der Cultus
gesunder Vernunft' ganz gleiche Rechte und Ansprüche gegen das Kultusministe¬
rium Oestrichs geltend zu machen berechtigt seien, daß die grnndrechtlich ausge¬
sprochene Gleichberechtigung der Culte den Begriff einer, im Sinne jener Tisch¬
rede herrschenden Kirche in Oestreich vernichtet habe; wie also vermochte der
Minister in jener deplorableu Rede seine amtliche Stellung, seine Amtspflicht
und Verantwortlichkeit so ganz zu vergessen und sich von seinem Blindeiser
zu einer Philippina gegen Andersdenkende, gegen Andersglaubende hinreißen zu las¬
sen. Ein Münster solcher Gesinnung und so ausgesprochen intoleranter Partei-
stelluug ist, so dünkt uns wenigstens, geradezu unmöglich für Oestreich. Ein
Großalmoscnier Oestreichs wurde eine solche Rede, wenn auch gleich in der Ten¬
denz, jedenfalls klüger und vorsichtiger eingerichtet haben. Martin Luther's Tisch¬
reden hat sich der Herr Minister nicht zum Vorbilde genommen, wohl aber sei¬
nen unterthänigsten Vortrag, welcher das Gesetz zur Emancipation der Hierarchen
bevorwortete (?); was dort aus ansgcdrnngener Klugheit verdeckt und verschwiegen
werden mußte, damit platzte der Herr Minister in jener Tischrede heraus.

Mau muß gestehen, die Herren Minister verstehen es, sich bei öffentlichem
Auftreten in öffentlicher Meinung selbstmörderisch zu ruiniren; noch ist Herrn
von Schmerling's Austreten am 24. Juni in mißlicher Erinnerung, und schon
wieder hat der Herr Kultusminister sich beeilt, uns und der künftigen Opposition
erfreulich zu beweisen, was ein künftiger Reichstag von dem Tacte und Reduer-
talente des Ministeriums zu erwarten hat.

Wenn man glaubt mit Kanonen und dem Rauchfaß den Geist der Neuzeit
zu bannen, so ist man im Irrthum; dem Rauchfaß besonders entsprühen Funken,
welche einen Brand in Böhmen zu entzünden drohen, dessen Verwüstungsfähig¬
keit weit hinausgeht über die fanatisch beengten Begriffe des Ministers Leo Thun.
Macht ihr eine Zeit lang so fort, so predigt nach wenigen Jahren ein hussitischer
Prediger in der Kathedrale am Hradschin zu Prag, und der päpstliche Bann¬
strahl verpufft über Böhmen, machtlos wie eine Rakete Semper'S Reform Re¬
.,
Johannes. form in Allem, Reform allein rettet euch und nus.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/397>, abgerufen am 27.07.2024.