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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Ein solches Argument war aber natürlich für russische Diplomatie zu einfach
und ungekünstelt. Die vielen Kriegsschiffe ans dem schwarzen Meere und die
vielen Forts an der Küste wären ja sanunt ihrer Besatzung ganz unnütz gewesen,
sobald die Beschränkungen und Hemmnisse zu Land und zu Wasser aufhörten.
Wo sollte man hin mit dem vielen Baumaterial, welches überall aufgehäuft lag,
um neue Festungen zu bauen und die alten zu erweitern? Wozu hätte man schon
so viele Millionen verausgabt und so viele tausend Menschen geopfert? Man
konnte doch unmöglich geradezu eingestehen, daß alles das nutzlos gewesen. Und
was würde endlich aus den menschenfreundlichen Absichten des Kaisers, der na¬
türlich an nichts weniger denkt, als Eroberungen zu machen, bloß um sein Land
gewaltsam zu vergrößern, sondern dessen Streben lediglich darauf gerichtet ist, die
Völkerschaften, welche er bekriegt, zu veredeln und sie aufzuklären über ihr wahres
Interesse?

Solche und ähnliche Dinge bildeten den Kernpunkt der russischen Argumente,
die den Tscherkessen natürlich nicht einleuchten wollten.

Es war vorauszusehen, daß unter solchen Umständen die Unterhandlungen
zu keinem Resultate führen konnten. Das Einzige, wozu der Geueral sich ver¬
stehen durfte, um der (größtentheils dnrch Absperrung erzeugte") Hungersnoth im
Laude zu steuern, war das bereits bei mehrern andern Stämmen erfolglos ange¬
wandte Versprechen, Brod und reichliche Bezahlung allen hilfsbedürftigen Tscher¬
kessen zu geben, welche bereit wären, an den russischen Befestigungswerken und
Bauten zu arbeiten. "Das heißt" -- sagte Jerinbyk-Bcrsek-Bah -- hungert
und verderbt, oder kommt und helft selbst mit bauen an den Zwingburgen, die
Euer Land beherrschen sollen!"

Je weniger sich während des Verlaufs der in dem angedeuteten Sinne ge¬
pflogenen Unterhandlungen Hoffnung zu einem erfreulichen Ausgange zeigte, desto
mehr umdüstcrten sich die Blicke der wortführeudcn Tscherkessen. Ueber zwei
Stunden hatte die Conferenz gedauert, und noch war kein Ende abzusehen; denn
wenn die Tscherkessen einmal den Weg der Verhandlungen betreten, so lassen sie
kein Mittel unversucht, um etwas auf diesem Wege zu erreichen.

Es war eine kleine Pause eingetreten; die Häuptlinge beriethen sich über
einen neuen Vorschlag und gingen in lebhaftem Gespräche ans und nieder.
Auch der General hatte sich erhoben, um sich etwas Bewegung zu machen. Er
kam auf uns zu und sagte: "Nun, sind Sic noch nicht müde? Ich fürchte, wir
werden vor dem späten Abend nicht wieder aufs Schiff kommen! Diese Verhand¬
lungen ziehen sich immer sehr in die Länge! Ich möchte wissen, woher die Sitten-
schilderer des Kaukasus erfahren haben, daß es bei den Tscherkessen für unanständig
gilt, sich nach Familienangelegenheiten zu erkundigen; in unserer heutigen Konferenz
haben wir wenigstens, eine halbe Stunde damit verloren, denn jeder der Wort-
führenden Häuptlinge leitete seine Rede mit blumigen Artigkeiten über die aueh-


Ein solches Argument war aber natürlich für russische Diplomatie zu einfach
und ungekünstelt. Die vielen Kriegsschiffe ans dem schwarzen Meere und die
vielen Forts an der Küste wären ja sanunt ihrer Besatzung ganz unnütz gewesen,
sobald die Beschränkungen und Hemmnisse zu Land und zu Wasser aufhörten.
Wo sollte man hin mit dem vielen Baumaterial, welches überall aufgehäuft lag,
um neue Festungen zu bauen und die alten zu erweitern? Wozu hätte man schon
so viele Millionen verausgabt und so viele tausend Menschen geopfert? Man
konnte doch unmöglich geradezu eingestehen, daß alles das nutzlos gewesen. Und
was würde endlich aus den menschenfreundlichen Absichten des Kaisers, der na¬
türlich an nichts weniger denkt, als Eroberungen zu machen, bloß um sein Land
gewaltsam zu vergrößern, sondern dessen Streben lediglich darauf gerichtet ist, die
Völkerschaften, welche er bekriegt, zu veredeln und sie aufzuklären über ihr wahres
Interesse?

Solche und ähnliche Dinge bildeten den Kernpunkt der russischen Argumente,
die den Tscherkessen natürlich nicht einleuchten wollten.

Es war vorauszusehen, daß unter solchen Umständen die Unterhandlungen
zu keinem Resultate führen konnten. Das Einzige, wozu der Geueral sich ver¬
stehen durfte, um der (größtentheils dnrch Absperrung erzeugte») Hungersnoth im
Laude zu steuern, war das bereits bei mehrern andern Stämmen erfolglos ange¬
wandte Versprechen, Brod und reichliche Bezahlung allen hilfsbedürftigen Tscher¬
kessen zu geben, welche bereit wären, an den russischen Befestigungswerken und
Bauten zu arbeiten. „Das heißt" — sagte Jerinbyk-Bcrsek-Bah — hungert
und verderbt, oder kommt und helft selbst mit bauen an den Zwingburgen, die
Euer Land beherrschen sollen!"

Je weniger sich während des Verlaufs der in dem angedeuteten Sinne ge¬
pflogenen Unterhandlungen Hoffnung zu einem erfreulichen Ausgange zeigte, desto
mehr umdüstcrten sich die Blicke der wortführeudcn Tscherkessen. Ueber zwei
Stunden hatte die Conferenz gedauert, und noch war kein Ende abzusehen; denn
wenn die Tscherkessen einmal den Weg der Verhandlungen betreten, so lassen sie
kein Mittel unversucht, um etwas auf diesem Wege zu erreichen.

Es war eine kleine Pause eingetreten; die Häuptlinge beriethen sich über
einen neuen Vorschlag und gingen in lebhaftem Gespräche ans und nieder.
Auch der General hatte sich erhoben, um sich etwas Bewegung zu machen. Er
kam auf uns zu und sagte: „Nun, sind Sic noch nicht müde? Ich fürchte, wir
werden vor dem späten Abend nicht wieder aufs Schiff kommen! Diese Verhand¬
lungen ziehen sich immer sehr in die Länge! Ich möchte wissen, woher die Sitten-
schilderer des Kaukasus erfahren haben, daß es bei den Tscherkessen für unanständig
gilt, sich nach Familienangelegenheiten zu erkundigen; in unserer heutigen Konferenz
haben wir wenigstens, eine halbe Stunde damit verloren, denn jeder der Wort-
führenden Häuptlinge leitete seine Rede mit blumigen Artigkeiten über die aueh-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/383>, abgerufen am 27.07.2024.