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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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sei. Zu diesen Schritten, deren Rechtmäßigkeit es bestreitet, zählt es auch die
Ausführung der Militär-Conventionen.

Beides würde nicht viel zu bedeuten haben, wenn es bloße Nechtöbedenken
wären, und wenn ihnen Preußen die Wucht der Thatsachen entgegenwerfen konnte.
So steht es aber nicht, oder so steht es wenigstens nicht mehr. Bald wird die
Communication der Unionsstaaten mit einander überall durch tatsächliche Hinder¬
nisse versperrt sein, und die Basis der Union -- die Kleinstaaten nämlich, die
den Willen haben, sich an Preußen anzuschließen -- wird von Tage zu Tage
zweifelhafter. Jedes Abwarten verstärkt die Liga und schwächt die Union. Da
eine Entscheidung erfolgen muß, nud da es mehr als zweifelhaft ist, daß Preußen
diese Entscheidung der Gewalt der Thatsachen anheimzustellen geneigt sein sollte,
so dürfte allerdings nichts übrig bleiben, als der Weg der Verhandlungen --
Verhandlungen, die, wie die Sachen jetzt stehen, schwerlich ans andere Weise
geführt werden dürften, als leider in den Formen des alten BuudeSrechts. Sehen
wir zu, ob das Eingehen ans diese Formen -- salls Preußen daraus eingeht --
mit dem Aufgeben des Unionswerks identisch ist.

Wenn die Großdeutschen von einer Bundesreform sprechen, so wollen sie
damit eine Verstärkung der Bundesgewalt, allenfalls Volksvertretung u. s. w.
andeuten, kurz eine Befriedigung des Nationalwillens, wie er sich im Jahre 1848
ausgesprochen hat, innerhalb des weitern Bundes. Oestreich denkt keinen Augen¬
blick daran, aber es hütet sich wohl, diese abweichende Meinung auszusprechen,
weil es vorläufig die Großdeutschen gegen Preußen zu benutzen gedenkt.

An eine Verstärkung der Bnndeöcentralgcwalt gegen die großem Regierungen
denkt kein Staat der Liga. Es kann ihnen nur um eine Verstärkung derselben gegen
die eigentlichen Kleinstaaten, und gegen die demokratischen Bewegungen zu thun
sein. Das Erstere -- eine Absorption der Kleinstaaten durch die Mittelstädten,
das Schlimmste, was Deutschland widerfahren könnte, können die Unionöregie-
rungen aus buudesrechtlichem Wege verhindern. Ju Beziehung auf das Zweite
durften sich leider beide Parteien nicht so ferne stehen, und doch ist auch hier ein
innerer Grund vorhanden, daß die Befugnisse der BundeScentralgewalt eher be¬
schränkt als erweitert werden dürsten. Es liegt dieser Grund in der Umwandlung
Preußens in einen constitutionellen Staat.

Denn die Einwirkung des Bundes, der als solcher nothwendig die Reprä-
sentativsormeu ausschließt, auf die innern Rechtsverhältnisse ist unvereinbar mit
dem Fortbestehen der Verfassungen. Karlsbader Beschlüsse siud wohl gegen Klein-
staaten durchzuführen, die immer nur den Schein constitutionellen Lebens haben
können, weil dieses uur in souveränen, unabhängigen Staaten gedacht werden
kann; aber nicht gegen einen Staat von der politischen Machtcntwickeluug Preußens.
So lauge Preußen ein constitutioneller Staat bleibt, wird es anch seine Souve-
ränetät behaupten, wird es den nach Einheit strebenden Staaten den Mittelpunkt


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sei. Zu diesen Schritten, deren Rechtmäßigkeit es bestreitet, zählt es auch die
Ausführung der Militär-Conventionen.

Beides würde nicht viel zu bedeuten haben, wenn es bloße Nechtöbedenken
wären, und wenn ihnen Preußen die Wucht der Thatsachen entgegenwerfen konnte.
So steht es aber nicht, oder so steht es wenigstens nicht mehr. Bald wird die
Communication der Unionsstaaten mit einander überall durch tatsächliche Hinder¬
nisse versperrt sein, und die Basis der Union — die Kleinstaaten nämlich, die
den Willen haben, sich an Preußen anzuschließen — wird von Tage zu Tage
zweifelhafter. Jedes Abwarten verstärkt die Liga und schwächt die Union. Da
eine Entscheidung erfolgen muß, nud da es mehr als zweifelhaft ist, daß Preußen
diese Entscheidung der Gewalt der Thatsachen anheimzustellen geneigt sein sollte,
so dürfte allerdings nichts übrig bleiben, als der Weg der Verhandlungen —
Verhandlungen, die, wie die Sachen jetzt stehen, schwerlich ans andere Weise
geführt werden dürften, als leider in den Formen des alten BuudeSrechts. Sehen
wir zu, ob das Eingehen ans diese Formen — salls Preußen daraus eingeht —
mit dem Aufgeben des Unionswerks identisch ist.

Wenn die Großdeutschen von einer Bundesreform sprechen, so wollen sie
damit eine Verstärkung der Bundesgewalt, allenfalls Volksvertretung u. s. w.
andeuten, kurz eine Befriedigung des Nationalwillens, wie er sich im Jahre 1848
ausgesprochen hat, innerhalb des weitern Bundes. Oestreich denkt keinen Augen¬
blick daran, aber es hütet sich wohl, diese abweichende Meinung auszusprechen,
weil es vorläufig die Großdeutschen gegen Preußen zu benutzen gedenkt.

An eine Verstärkung der Bnndeöcentralgcwalt gegen die großem Regierungen
denkt kein Staat der Liga. Es kann ihnen nur um eine Verstärkung derselben gegen
die eigentlichen Kleinstaaten, und gegen die demokratischen Bewegungen zu thun
sein. Das Erstere — eine Absorption der Kleinstaaten durch die Mittelstädten,
das Schlimmste, was Deutschland widerfahren könnte, können die Unionöregie-
rungen aus buudesrechtlichem Wege verhindern. Ju Beziehung auf das Zweite
durften sich leider beide Parteien nicht so ferne stehen, und doch ist auch hier ein
innerer Grund vorhanden, daß die Befugnisse der BundeScentralgewalt eher be¬
schränkt als erweitert werden dürsten. Es liegt dieser Grund in der Umwandlung
Preußens in einen constitutionellen Staat.

Denn die Einwirkung des Bundes, der als solcher nothwendig die Reprä-
sentativsormeu ausschließt, auf die innern Rechtsverhältnisse ist unvereinbar mit
dem Fortbestehen der Verfassungen. Karlsbader Beschlüsse siud wohl gegen Klein-
staaten durchzuführen, die immer nur den Schein constitutionellen Lebens haben
können, weil dieses uur in souveränen, unabhängigen Staaten gedacht werden
kann; aber nicht gegen einen Staat von der politischen Machtcntwickeluug Preußens.
So lauge Preußen ein constitutioneller Staat bleibt, wird es anch seine Souve-
ränetät behaupten, wird es den nach Einheit strebenden Staaten den Mittelpunkt


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[0371] sei. Zu diesen Schritten, deren Rechtmäßigkeit es bestreitet, zählt es auch die Ausführung der Militär-Conventionen. Beides würde nicht viel zu bedeuten haben, wenn es bloße Nechtöbedenken wären, und wenn ihnen Preußen die Wucht der Thatsachen entgegenwerfen konnte. So steht es aber nicht, oder so steht es wenigstens nicht mehr. Bald wird die Communication der Unionsstaaten mit einander überall durch tatsächliche Hinder¬ nisse versperrt sein, und die Basis der Union — die Kleinstaaten nämlich, die den Willen haben, sich an Preußen anzuschließen — wird von Tage zu Tage zweifelhafter. Jedes Abwarten verstärkt die Liga und schwächt die Union. Da eine Entscheidung erfolgen muß, nud da es mehr als zweifelhaft ist, daß Preußen diese Entscheidung der Gewalt der Thatsachen anheimzustellen geneigt sein sollte, so dürfte allerdings nichts übrig bleiben, als der Weg der Verhandlungen — Verhandlungen, die, wie die Sachen jetzt stehen, schwerlich ans andere Weise geführt werden dürften, als leider in den Formen des alten BuudeSrechts. Sehen wir zu, ob das Eingehen ans diese Formen — salls Preußen daraus eingeht — mit dem Aufgeben des Unionswerks identisch ist. Wenn die Großdeutschen von einer Bundesreform sprechen, so wollen sie damit eine Verstärkung der Bundesgewalt, allenfalls Volksvertretung u. s. w. andeuten, kurz eine Befriedigung des Nationalwillens, wie er sich im Jahre 1848 ausgesprochen hat, innerhalb des weitern Bundes. Oestreich denkt keinen Augen¬ blick daran, aber es hütet sich wohl, diese abweichende Meinung auszusprechen, weil es vorläufig die Großdeutschen gegen Preußen zu benutzen gedenkt. An eine Verstärkung der Bnndeöcentralgcwalt gegen die großem Regierungen denkt kein Staat der Liga. Es kann ihnen nur um eine Verstärkung derselben gegen die eigentlichen Kleinstaaten, und gegen die demokratischen Bewegungen zu thun sein. Das Erstere — eine Absorption der Kleinstaaten durch die Mittelstädten, das Schlimmste, was Deutschland widerfahren könnte, können die Unionöregie- rungen aus buudesrechtlichem Wege verhindern. Ju Beziehung auf das Zweite durften sich leider beide Parteien nicht so ferne stehen, und doch ist auch hier ein innerer Grund vorhanden, daß die Befugnisse der BundeScentralgewalt eher be¬ schränkt als erweitert werden dürsten. Es liegt dieser Grund in der Umwandlung Preußens in einen constitutionellen Staat. Denn die Einwirkung des Bundes, der als solcher nothwendig die Reprä- sentativsormeu ausschließt, auf die innern Rechtsverhältnisse ist unvereinbar mit dem Fortbestehen der Verfassungen. Karlsbader Beschlüsse siud wohl gegen Klein- staaten durchzuführen, die immer nur den Schein constitutionellen Lebens haben können, weil dieses uur in souveränen, unabhängigen Staaten gedacht werden kann; aber nicht gegen einen Staat von der politischen Machtcntwickeluug Preußens. So lauge Preußen ein constitutioneller Staat bleibt, wird es anch seine Souve- ränetät behaupten, wird es den nach Einheit strebenden Staaten den Mittelpunkt -L6*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/371>, abgerufen am 27.07.2024.