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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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ist, bis endlich der Mai als Bräutigam kommt u. s. w. In Nithart's Seele spro߬
ten Liederkcime, wie kleine Feldblumen, die noch nicht zum Strauß gebunden
sind, wie Küchlein, die noch den Flaum tragen. Da sieht er das erste Veilchen,
er nimmt den Hut ab und begrüßt es. Es ist ihm ein Herold des Frühlings mit
blauem Barett, grünem Stab, grünem Wappenrock. Von dem Herrn des Veil¬
chens, dem Frühling, trägt anch sein Herzog Otto sein Land zu Lehn, am Lchns-
brief hängt der Vollmond als Siegel, die rothen Initialen sind die Morgcn-
röthcn, die Buchstaben geschwungue Blumendolden, die Interpunktionen Sterne,
in dem Briefe steht: wie der Frühling die Natur öffne, so solle der Herzog das
Volk zum Blühen bringen und das Eis sprengen, das noch nur des Volkes er¬
wachendes Herz liege; und deshalb ziemt sich, daß das Veilchen, als Gesandter
des hohen Frühlings, vom Herzog mit seinem Hofe begrüßt werde. Deßhalb
deckt Nithart vorläufig seinen Hut mit weiß und rothen Federn aus das Veil¬
chen, als Gesaudtenhaus, von dessen Zinnen die Landesfarben Wehn, und
geht den Herzog holen. -- In seiner Abwesenheit kommen die Bauern,
sehen Nithart's Hut und das Veilchen darunter; ihr Sprecher spricht in
derselben Manier, in einer Fülle von kleinen Bildern und Vergleichen:
Das Veilchen gehört uns, es ist ein Bild der freien Natur, die uus gehört
und unserer bescheidenen Thätigkeit. Es ist ein kleiner Bischof im violetten Barett,
den Nithart in den Kerker gesetzt hat; wir befreien'S und stecken's auf eine Stange
und begrüßen es mit Musik und Tanz. -- Sie gehen und nehmen das Veilchen
mit, ein Bäuerlein bleibt zurück und setzt an des Veilchens Stelle unter den Hut,
"was sich uicht singen und sagen läßt". Herzog Otto kommt feierlich; Nithart
hebt den Hut auf, sie finden kein Veilchen, sondern "was sich nicht singen und
sagen läßt". Da schwört Nithart den Bauern Rache u. s. w. In dieser spielen¬
den Weise geht es fort. Ueberall eine Menge bunter wechselnder Bilder, welche
oft durch große Schönheit überraschen, oft durch Künstelei unangenehm werden,
immer aber zerstreuen und zuletzt dazu aufgehäuft sind, irgend eine Metapher
oder Allegorie liebenswürdig zu machen, oder eine ethische Betrachtung einzuleiten.
Eine sehr ^merkwürdige, aber sür die Kunst der poetischen Darstellung verderbliche
Richtung seines liebenswürdigen, aber sehr einseitigen Talentes.

^' , Eine dringende Bitte aber, welche alle Leser an den Poeten richten werden,
ist die, daß er mehr Aufmerksamkeit auf Sprache und Vers verwende. So geht
es wirklich nicht weiter; auch die schönsten Stellen seiner Gedichte sind in Gefahr
ungenießbar zu werden. Gegen Gesetz und Brauch unserer Muttersprache treibt er's
geradezu wie ein rother Republikaner, alle Arten unerhörter Freiheiten verletzen
das Ohr, kränken das Ange, betrüben den Sinn für Ordnung. Außerordentliche
Inversionen, vor deren Waghalsigkeit der Leser starr wird; unheimliche Auslassung
kleiner, aber höchst Wünschenswerther Wörter; tyrannisches Zusammendrücken von


ist, bis endlich der Mai als Bräutigam kommt u. s. w. In Nithart's Seele spro߬
ten Liederkcime, wie kleine Feldblumen, die noch nicht zum Strauß gebunden
sind, wie Küchlein, die noch den Flaum tragen. Da sieht er das erste Veilchen,
er nimmt den Hut ab und begrüßt es. Es ist ihm ein Herold des Frühlings mit
blauem Barett, grünem Stab, grünem Wappenrock. Von dem Herrn des Veil¬
chens, dem Frühling, trägt anch sein Herzog Otto sein Land zu Lehn, am Lchns-
brief hängt der Vollmond als Siegel, die rothen Initialen sind die Morgcn-
röthcn, die Buchstaben geschwungue Blumendolden, die Interpunktionen Sterne,
in dem Briefe steht: wie der Frühling die Natur öffne, so solle der Herzog das
Volk zum Blühen bringen und das Eis sprengen, das noch nur des Volkes er¬
wachendes Herz liege; und deshalb ziemt sich, daß das Veilchen, als Gesandter
des hohen Frühlings, vom Herzog mit seinem Hofe begrüßt werde. Deßhalb
deckt Nithart vorläufig seinen Hut mit weiß und rothen Federn aus das Veil¬
chen, als Gesaudtenhaus, von dessen Zinnen die Landesfarben Wehn, und
geht den Herzog holen. — In seiner Abwesenheit kommen die Bauern,
sehen Nithart's Hut und das Veilchen darunter; ihr Sprecher spricht in
derselben Manier, in einer Fülle von kleinen Bildern und Vergleichen:
Das Veilchen gehört uns, es ist ein Bild der freien Natur, die uus gehört
und unserer bescheidenen Thätigkeit. Es ist ein kleiner Bischof im violetten Barett,
den Nithart in den Kerker gesetzt hat; wir befreien'S und stecken's auf eine Stange
und begrüßen es mit Musik und Tanz. — Sie gehen und nehmen das Veilchen
mit, ein Bäuerlein bleibt zurück und setzt an des Veilchens Stelle unter den Hut,
„was sich uicht singen und sagen läßt". Herzog Otto kommt feierlich; Nithart
hebt den Hut auf, sie finden kein Veilchen, sondern „was sich nicht singen und
sagen läßt". Da schwört Nithart den Bauern Rache u. s. w. In dieser spielen¬
den Weise geht es fort. Ueberall eine Menge bunter wechselnder Bilder, welche
oft durch große Schönheit überraschen, oft durch Künstelei unangenehm werden,
immer aber zerstreuen und zuletzt dazu aufgehäuft sind, irgend eine Metapher
oder Allegorie liebenswürdig zu machen, oder eine ethische Betrachtung einzuleiten.
Eine sehr ^merkwürdige, aber sür die Kunst der poetischen Darstellung verderbliche
Richtung seines liebenswürdigen, aber sehr einseitigen Talentes.

^' , Eine dringende Bitte aber, welche alle Leser an den Poeten richten werden,
ist die, daß er mehr Aufmerksamkeit auf Sprache und Vers verwende. So geht
es wirklich nicht weiter; auch die schönsten Stellen seiner Gedichte sind in Gefahr
ungenießbar zu werden. Gegen Gesetz und Brauch unserer Muttersprache treibt er's
geradezu wie ein rother Republikaner, alle Arten unerhörter Freiheiten verletzen
das Ohr, kränken das Ange, betrüben den Sinn für Ordnung. Außerordentliche
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kleiner, aber höchst Wünschenswerther Wörter; tyrannisches Zusammendrücken von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/36>, abgerufen am 27.07.2024.