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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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an den Kaiser wird gegen Dessen Negierung und Dessen sanctionirte Gesetze offen
revoltirt. Die Vereine sind aufgehoben, aber die Kasernen dienen zu Clubsversamm-
lungen, bei denen kein Staatsbeamter die Aussicht sichren kann. Die Presse, mit
Standrecht bedroht, wird von Offizieren zu den verletzendsten persönlichen Angriffen
gegen die höchsten Staatsbeamten gebraucht, ohne daß diese die Macht hätten, dagegen
einzuschreiten. Der Richter, welcher gesetzlich sein Amt handhabt, ist nicht blos
journalistischen Impertinenzen, sondern auch handgreiflichen Insulten preisgegeben.
Staatsbeamte, welche bei Festivitäten in ihrer Uniform erscheinen, müssen sich von den
Schleppsäbelträgern Witzeleien über ihre Bratspieße gefallen lassen, denn es gibt
keine Behörde, die den Diener des Staates gegen den Diener des Kaisers, wie
sich die Soldaten nennen, schützt. Der Offizier, der bürgerlichen Gerichtsbarkeit
enthoben und Gerichtsherr über die Bürger geworden, fühlt sich als Staat im
Staate, und verweigert Jedem den Gehorsam, nur den Kaiser ausgenommen.
Ein Festungscommandant mißachtete die Befehle des Kriegsministers, weil dieser
nur Generalmajor war, jener aber Feldzeugmeister, und durch diese Chicane
gegen die Mitglieder der eigenen Corporation, weil sie, untren dem Geiste der
Armee, sich dem constitutionellen Ministerium einfügen ließen, ist es unmöglich
geworden, das Portefeuille des Krieges an einen geeigneten Mann zu über¬
tragen. Dem Kaiser selbst siud durch dieses Drängen die Zügel entnommen; er
muß die Individuen mehr berücksichtigen, als die Zustände. Stände nicht der
General und Fürst Schwarzenberg an der Spitze des Cabinets, es wäre schon
längst von der großgcnährten militärischen Revolution verschlungen worden, trotz
seiner Gefügigkeit zu allen reactionären Tendenzen. Die Armee und ein Theil
der hinter ihr versteckten Aristokratie will nichts als die absolute Gewalt, ver-
ständnißlos für alle Bedürfnisse des Reiches und der Krone. Wäre nicht im
Rache der kaiserl. Familie eine kluge und erfahrene Frau, so würde die Palast-
intrigne bereits auch die wenigen bürgerliche Rathgeber beseitigt haben, die den
Schein des constitutionellen Regierens bewahren. Der junge Kaiser ist Soldat.
Die Pickelhaube" sind ein wichtigerer Gegenstand, als die Landesstatute; die
Aenderung von Griffen beim Exercitium sind eine größere Staatsaction, als die
Feststellung der Versassungsparagraphe. Hierdurch sühlt der Soldat sich bevor¬
zugt, und immer weiter versucht er zu greifen, selbst gegen die Absicht des Mon¬
archen. In der Oper Robert der Teufel ist dieses Hin- und Herzerren ver¬
anschaulicht; Oestreich weiß noch nicht, wer in die Versenkung fallen und wer
aus der Bühne bleiben wird.




an den Kaiser wird gegen Dessen Negierung und Dessen sanctionirte Gesetze offen
revoltirt. Die Vereine sind aufgehoben, aber die Kasernen dienen zu Clubsversamm-
lungen, bei denen kein Staatsbeamter die Aussicht sichren kann. Die Presse, mit
Standrecht bedroht, wird von Offizieren zu den verletzendsten persönlichen Angriffen
gegen die höchsten Staatsbeamten gebraucht, ohne daß diese die Macht hätten, dagegen
einzuschreiten. Der Richter, welcher gesetzlich sein Amt handhabt, ist nicht blos
journalistischen Impertinenzen, sondern auch handgreiflichen Insulten preisgegeben.
Staatsbeamte, welche bei Festivitäten in ihrer Uniform erscheinen, müssen sich von den
Schleppsäbelträgern Witzeleien über ihre Bratspieße gefallen lassen, denn es gibt
keine Behörde, die den Diener des Staates gegen den Diener des Kaisers, wie
sich die Soldaten nennen, schützt. Der Offizier, der bürgerlichen Gerichtsbarkeit
enthoben und Gerichtsherr über die Bürger geworden, fühlt sich als Staat im
Staate, und verweigert Jedem den Gehorsam, nur den Kaiser ausgenommen.
Ein Festungscommandant mißachtete die Befehle des Kriegsministers, weil dieser
nur Generalmajor war, jener aber Feldzeugmeister, und durch diese Chicane
gegen die Mitglieder der eigenen Corporation, weil sie, untren dem Geiste der
Armee, sich dem constitutionellen Ministerium einfügen ließen, ist es unmöglich
geworden, das Portefeuille des Krieges an einen geeigneten Mann zu über¬
tragen. Dem Kaiser selbst siud durch dieses Drängen die Zügel entnommen; er
muß die Individuen mehr berücksichtigen, als die Zustände. Stände nicht der
General und Fürst Schwarzenberg an der Spitze des Cabinets, es wäre schon
längst von der großgcnährten militärischen Revolution verschlungen worden, trotz
seiner Gefügigkeit zu allen reactionären Tendenzen. Die Armee und ein Theil
der hinter ihr versteckten Aristokratie will nichts als die absolute Gewalt, ver-
ständnißlos für alle Bedürfnisse des Reiches und der Krone. Wäre nicht im
Rache der kaiserl. Familie eine kluge und erfahrene Frau, so würde die Palast-
intrigne bereits auch die wenigen bürgerliche Rathgeber beseitigt haben, die den
Schein des constitutionellen Regierens bewahren. Der junge Kaiser ist Soldat.
Die Pickelhaube» sind ein wichtigerer Gegenstand, als die Landesstatute; die
Aenderung von Griffen beim Exercitium sind eine größere Staatsaction, als die
Feststellung der Versassungsparagraphe. Hierdurch sühlt der Soldat sich bevor¬
zugt, und immer weiter versucht er zu greifen, selbst gegen die Absicht des Mon¬
archen. In der Oper Robert der Teufel ist dieses Hin- und Herzerren ver¬
anschaulicht; Oestreich weiß noch nicht, wer in die Versenkung fallen und wer
aus der Bühne bleiben wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/359>, abgerufen am 27.07.2024.