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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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sobald es auf den Bundestag eingeht, unterzeichnet 'es sein eigenes Urtheil, es
tritt aus der Reihe der Großmächte und wird ein östreichisches Nebenland.

Man hat den Bundestag vielfach geschmäht, und die Schuld seiner Untä¬
tigkeit in die Gesinnung der Betheiligten gelegt. Sie lag vielmehr in der Natur
der Verhältnisse. Ein Fvderativstaat aus Monarchien verschiedenen Ranges, unter
denen zwei vou entgegengesetztem Interesse sich ungefähr die Waage halten, ist
eine innere Unmöglichkeit. Die Revolution hat nichts weiter gethan, als die Un¬
Haltbarkeit dieses Bandes an den Tag zu bringen. In der Politik ist die Unmög¬
lichkeit auch das Unrecht. In diesen Verwirrungen den Katechismus der Legiti¬
mität zu Rache zu ziehen, ans Furcht vor der Revolution die Bewegung überhaupt
ersticken zu wollen, ist ein kläglicher Ausweg. Die Schwarzburg-Rudolstadts,
Lippe-Detmolder Regierungen n. s. w. sind anch von Gottes Gnaden, und doch
ist ihre freie Existenz eine nur scheinbare, und so weit sie wirklich ist, ein Unrecht
gegen die Nation und ein Hohn gegen den gefunden Menschenverstand. Daß in
der Kleinstaaterei die Hauptquelle unsers Elendes liegt, davon hat selbst Stahl
eine Ahnung; er vergißt aber, daß die Spaltung Deutschlands in Mittelstaaten
seine einstige Befreiung noch mehr in die Ferne rückt.

Als ob irgendwo, wenn es sich um ernsthafte, um Lebensfragen der Staaten
handelt, die vermoderten Pergamente befragt würden! Der König von Dänemark
thut einen kühnen Griff in das Recht, was von seinem Standpunkt ans nicht zu
verwerfen ist, denn an dem Besitz der Herzogthümer hängt die Möglichkeit der
Existenz des dänischen Staats; die Herzogthümer erheben sich, um ihre legitimen
Rechte zu wahren, und nun treibt der Aberglaube an das göttliche Recht der
Fürsten, anch wo sie Unrecht thun, unsere angeblichen Legitimisten zur Anerken¬
nung des Unrechts, zum Verrath am Vaterland.

Das alte römische Reich war bereits zerfallen, noch ehe Napoleon es auf¬
löste. Nur Oestreich und Preußen ist lebensfähig ans diesem Zerfall hervorge¬
gangen. Der nächste Schritt, den beide Staaten zu thun hatten, um sich frei be¬
wegen, leben und wirken zu können, mar der, sich zu trennen. So wie in der
Paulskirche, sobald der bloße einfache Widerstand gegen die Partei des Umsturzes
nicht mehr ausreichte, sobald es galt, etwas Neues zu bauen, die bis dahin schein¬
bar vereinigten conservativen Elemente sich sonderten, so hatte es die Natur auch
den staatlichen Bildungen vorgezeichnet, die daselbst vertreten waren.

Oestreich ist aus diesem Wege, der auch ihm der heilbringende war, eben¬
sowohl durch die alte Habgier des Hauses Habsburg, als durch die Unentschlossen-
heit seiner Gegner verlockt worden. Auch Oestreich ist von der Geschichte nicht
ans die Bahn der Legitimität gerufen, auch Oestreich muß erobern, wen" es nicht
untergehen will, aber seine Eroberungen gelten dem Innern. Die bunte Länder-
masse dieser Monarchie muß in einen organischen Staat verwandelt werden,
wenn nicht auch die Monarchie untergehen soll. Wieder und wieder sind


sobald es auf den Bundestag eingeht, unterzeichnet 'es sein eigenes Urtheil, es
tritt aus der Reihe der Großmächte und wird ein östreichisches Nebenland.

Man hat den Bundestag vielfach geschmäht, und die Schuld seiner Untä¬
tigkeit in die Gesinnung der Betheiligten gelegt. Sie lag vielmehr in der Natur
der Verhältnisse. Ein Fvderativstaat aus Monarchien verschiedenen Ranges, unter
denen zwei vou entgegengesetztem Interesse sich ungefähr die Waage halten, ist
eine innere Unmöglichkeit. Die Revolution hat nichts weiter gethan, als die Un¬
Haltbarkeit dieses Bandes an den Tag zu bringen. In der Politik ist die Unmög¬
lichkeit auch das Unrecht. In diesen Verwirrungen den Katechismus der Legiti¬
mität zu Rache zu ziehen, ans Furcht vor der Revolution die Bewegung überhaupt
ersticken zu wollen, ist ein kläglicher Ausweg. Die Schwarzburg-Rudolstadts,
Lippe-Detmolder Regierungen n. s. w. sind anch von Gottes Gnaden, und doch
ist ihre freie Existenz eine nur scheinbare, und so weit sie wirklich ist, ein Unrecht
gegen die Nation und ein Hohn gegen den gefunden Menschenverstand. Daß in
der Kleinstaaterei die Hauptquelle unsers Elendes liegt, davon hat selbst Stahl
eine Ahnung; er vergißt aber, daß die Spaltung Deutschlands in Mittelstaaten
seine einstige Befreiung noch mehr in die Ferne rückt.

Als ob irgendwo, wenn es sich um ernsthafte, um Lebensfragen der Staaten
handelt, die vermoderten Pergamente befragt würden! Der König von Dänemark
thut einen kühnen Griff in das Recht, was von seinem Standpunkt ans nicht zu
verwerfen ist, denn an dem Besitz der Herzogthümer hängt die Möglichkeit der
Existenz des dänischen Staats; die Herzogthümer erheben sich, um ihre legitimen
Rechte zu wahren, und nun treibt der Aberglaube an das göttliche Recht der
Fürsten, anch wo sie Unrecht thun, unsere angeblichen Legitimisten zur Anerken¬
nung des Unrechts, zum Verrath am Vaterland.

Das alte römische Reich war bereits zerfallen, noch ehe Napoleon es auf¬
löste. Nur Oestreich und Preußen ist lebensfähig ans diesem Zerfall hervorge¬
gangen. Der nächste Schritt, den beide Staaten zu thun hatten, um sich frei be¬
wegen, leben und wirken zu können, mar der, sich zu trennen. So wie in der
Paulskirche, sobald der bloße einfache Widerstand gegen die Partei des Umsturzes
nicht mehr ausreichte, sobald es galt, etwas Neues zu bauen, die bis dahin schein¬
bar vereinigten conservativen Elemente sich sonderten, so hatte es die Natur auch
den staatlichen Bildungen vorgezeichnet, die daselbst vertreten waren.

Oestreich ist aus diesem Wege, der auch ihm der heilbringende war, eben¬
sowohl durch die alte Habgier des Hauses Habsburg, als durch die Unentschlossen-
heit seiner Gegner verlockt worden. Auch Oestreich ist von der Geschichte nicht
ans die Bahn der Legitimität gerufen, auch Oestreich muß erobern, wen» es nicht
untergehen will, aber seine Eroberungen gelten dem Innern. Die bunte Länder-
masse dieser Monarchie muß in einen organischen Staat verwandelt werden,
wenn nicht auch die Monarchie untergehen soll. Wieder und wieder sind


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[0342] sobald es auf den Bundestag eingeht, unterzeichnet 'es sein eigenes Urtheil, es tritt aus der Reihe der Großmächte und wird ein östreichisches Nebenland. Man hat den Bundestag vielfach geschmäht, und die Schuld seiner Untä¬ tigkeit in die Gesinnung der Betheiligten gelegt. Sie lag vielmehr in der Natur der Verhältnisse. Ein Fvderativstaat aus Monarchien verschiedenen Ranges, unter denen zwei vou entgegengesetztem Interesse sich ungefähr die Waage halten, ist eine innere Unmöglichkeit. Die Revolution hat nichts weiter gethan, als die Un¬ Haltbarkeit dieses Bandes an den Tag zu bringen. In der Politik ist die Unmög¬ lichkeit auch das Unrecht. In diesen Verwirrungen den Katechismus der Legiti¬ mität zu Rache zu ziehen, ans Furcht vor der Revolution die Bewegung überhaupt ersticken zu wollen, ist ein kläglicher Ausweg. Die Schwarzburg-Rudolstadts, Lippe-Detmolder Regierungen n. s. w. sind anch von Gottes Gnaden, und doch ist ihre freie Existenz eine nur scheinbare, und so weit sie wirklich ist, ein Unrecht gegen die Nation und ein Hohn gegen den gefunden Menschenverstand. Daß in der Kleinstaaterei die Hauptquelle unsers Elendes liegt, davon hat selbst Stahl eine Ahnung; er vergißt aber, daß die Spaltung Deutschlands in Mittelstaaten seine einstige Befreiung noch mehr in die Ferne rückt. Als ob irgendwo, wenn es sich um ernsthafte, um Lebensfragen der Staaten handelt, die vermoderten Pergamente befragt würden! Der König von Dänemark thut einen kühnen Griff in das Recht, was von seinem Standpunkt ans nicht zu verwerfen ist, denn an dem Besitz der Herzogthümer hängt die Möglichkeit der Existenz des dänischen Staats; die Herzogthümer erheben sich, um ihre legitimen Rechte zu wahren, und nun treibt der Aberglaube an das göttliche Recht der Fürsten, anch wo sie Unrecht thun, unsere angeblichen Legitimisten zur Anerken¬ nung des Unrechts, zum Verrath am Vaterland. Das alte römische Reich war bereits zerfallen, noch ehe Napoleon es auf¬ löste. Nur Oestreich und Preußen ist lebensfähig ans diesem Zerfall hervorge¬ gangen. Der nächste Schritt, den beide Staaten zu thun hatten, um sich frei be¬ wegen, leben und wirken zu können, mar der, sich zu trennen. So wie in der Paulskirche, sobald der bloße einfache Widerstand gegen die Partei des Umsturzes nicht mehr ausreichte, sobald es galt, etwas Neues zu bauen, die bis dahin schein¬ bar vereinigten conservativen Elemente sich sonderten, so hatte es die Natur auch den staatlichen Bildungen vorgezeichnet, die daselbst vertreten waren. Oestreich ist aus diesem Wege, der auch ihm der heilbringende war, eben¬ sowohl durch die alte Habgier des Hauses Habsburg, als durch die Unentschlossen- heit seiner Gegner verlockt worden. Auch Oestreich ist von der Geschichte nicht ans die Bahn der Legitimität gerufen, auch Oestreich muß erobern, wen» es nicht untergehen will, aber seine Eroberungen gelten dem Innern. Die bunte Länder- masse dieser Monarchie muß in einen organischen Staat verwandelt werden, wenn nicht auch die Monarchie untergehen soll. Wieder und wieder sind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/342>, abgerufen am 01.09.2024.