Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

während lächerlich gemacht, in ihnen selbst eine ewige Erbitterung genährt wurde.
Es war die Monarchie, welche die Volksvertretung fortwährend in die Opposi¬
tion trieb.

Später hat man die Wahlen nach dem Princip der Volkssouveränetät ein¬
gerichtet, und ist damit gescheitert. Aber noch viel weniger ist die Legitimität im
Stande, diese Frage zu einer verständigen Lösung zu bringen. Das göttliche
Recht weiß nichts zu sagen, wo es sich um einen wesentlich neuen Factor des
Staatslebens handelt.

Der einzige Grundsatz, den wir der historischen Schule zugeben, der aber
mit dem Princip der Legitimität nichts zu thun hat, ist dieser: in der ne"en
Staatsform sollen alle wirklich vorhandenen Kräfte der Nation verwerthet werden
-- sie mögen göttlichen oder ungöttlichen Ursprungs sein. Daß die royalistische,
specistsch preußische Gesinnung eine wirklich bestehende Kraft ist, hat die Ge¬
schieb te-der letzten Jahre gelehrt. Sie hat aber auch die deutsche Gesinnung
des preußischen Volks bewiesen, und wir müssen begreifen, daß der Gedanke der
Union (d. h. der friedlichen Eroberung Deutschlands durch Preußen), der bei
unsern kleindeutschen Verbündeten lediglich Verstandessache bleibt, bei uns Preußen
Herzenssache ist. Durch die fortdauernde Verletzung dieses Nationalgefühls
untergräbt die Regierung die Fundamente ihres eigenen Bestehens.

Und uun mischt sich in diesen einzigen productiven Gedanken der preußischen
Politik die abstracte Phrase der Legitimität, die schon in Fragen, wo es sich um
einen bestehenden Staat handelt, sich als rathlos bewährt hat, die aber vollends,
wo es die Begründung eines neuen Staats- und Rechtsverhältnisses gilt, nur
verneinen kauu. Daß die östreichische Partei, die in unserer Aristokratie nicht
klein ist, die Unterordnung Preußens unter deu Bund als etwas Wüuscheuswerthes
betrachtet, ist begreiflich; wenn aber Stahl, der sich mit dem Gedanken der Union
für einverstanden erklärt, fortwährend darauf zurückkommt, der Eonstitnirung der
Union müsse eine vertragsmäßige Nechtsablösnng des Bundes vorhergehen, so
läßt er dabei die Frage ganz aus dem Spiel, was dann geschehen soll, wenn die
übrigen Betheiligten des Bundes sich dieser Nechtsablösnng entziehen. Angebliche
Rechtsbedenken, wo die Zeitumstände einen Staat gewaltsam auf die Bahn hin¬
drängen, die seiner Natur überhaupt angemessen ist, sind in der Rege! nur der
Ausfluß der Furcht; die Furcht ist aber der schlechteste und gefährlichste Rathgeber.
Mit jenen Bedenken hat es Preußen jetzt dahin gebracht, daß, während noch vor
einem Jahre die Zügel Deutschlands in seinen Händen waren, jetzt Oestreich sie
ihm entrissen und seinen Nebenbuhler in die unerfreuliche Rolle des Protestiren-
den, des Malcontenten zurückgedrängt hat, daß es um einen viel geringern Preis
etzt schwerere Opfer bringen muß, als ihm in der Stunde des kühne" Entschlusses
zugemuthet wurde". Denn es läßt sich die Geschichte nicht zurückschrauben: Preußen
hat nicht mehr die Wahl zwischen seinem alten Zustand und einer neuen Eroberung;


während lächerlich gemacht, in ihnen selbst eine ewige Erbitterung genährt wurde.
Es war die Monarchie, welche die Volksvertretung fortwährend in die Opposi¬
tion trieb.

Später hat man die Wahlen nach dem Princip der Volkssouveränetät ein¬
gerichtet, und ist damit gescheitert. Aber noch viel weniger ist die Legitimität im
Stande, diese Frage zu einer verständigen Lösung zu bringen. Das göttliche
Recht weiß nichts zu sagen, wo es sich um einen wesentlich neuen Factor des
Staatslebens handelt.

Der einzige Grundsatz, den wir der historischen Schule zugeben, der aber
mit dem Princip der Legitimität nichts zu thun hat, ist dieser: in der ne»en
Staatsform sollen alle wirklich vorhandenen Kräfte der Nation verwerthet werden
— sie mögen göttlichen oder ungöttlichen Ursprungs sein. Daß die royalistische,
specistsch preußische Gesinnung eine wirklich bestehende Kraft ist, hat die Ge¬
schieb te-der letzten Jahre gelehrt. Sie hat aber auch die deutsche Gesinnung
des preußischen Volks bewiesen, und wir müssen begreifen, daß der Gedanke der
Union (d. h. der friedlichen Eroberung Deutschlands durch Preußen), der bei
unsern kleindeutschen Verbündeten lediglich Verstandessache bleibt, bei uns Preußen
Herzenssache ist. Durch die fortdauernde Verletzung dieses Nationalgefühls
untergräbt die Regierung die Fundamente ihres eigenen Bestehens.

Und uun mischt sich in diesen einzigen productiven Gedanken der preußischen
Politik die abstracte Phrase der Legitimität, die schon in Fragen, wo es sich um
einen bestehenden Staat handelt, sich als rathlos bewährt hat, die aber vollends,
wo es die Begründung eines neuen Staats- und Rechtsverhältnisses gilt, nur
verneinen kauu. Daß die östreichische Partei, die in unserer Aristokratie nicht
klein ist, die Unterordnung Preußens unter deu Bund als etwas Wüuscheuswerthes
betrachtet, ist begreiflich; wenn aber Stahl, der sich mit dem Gedanken der Union
für einverstanden erklärt, fortwährend darauf zurückkommt, der Eonstitnirung der
Union müsse eine vertragsmäßige Nechtsablösnng des Bundes vorhergehen, so
läßt er dabei die Frage ganz aus dem Spiel, was dann geschehen soll, wenn die
übrigen Betheiligten des Bundes sich dieser Nechtsablösnng entziehen. Angebliche
Rechtsbedenken, wo die Zeitumstände einen Staat gewaltsam auf die Bahn hin¬
drängen, die seiner Natur überhaupt angemessen ist, sind in der Rege! nur der
Ausfluß der Furcht; die Furcht ist aber der schlechteste und gefährlichste Rathgeber.
Mit jenen Bedenken hat es Preußen jetzt dahin gebracht, daß, während noch vor
einem Jahre die Zügel Deutschlands in seinen Händen waren, jetzt Oestreich sie
ihm entrissen und seinen Nebenbuhler in die unerfreuliche Rolle des Protestiren-
den, des Malcontenten zurückgedrängt hat, daß es um einen viel geringern Preis
etzt schwerere Opfer bringen muß, als ihm in der Stunde des kühne» Entschlusses
zugemuthet wurde«. Denn es läßt sich die Geschichte nicht zurückschrauben: Preußen
hat nicht mehr die Wahl zwischen seinem alten Zustand und einer neuen Eroberung;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0341" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85924"/>
          <p xml:id="ID_1169" prev="#ID_1168"> während lächerlich gemacht, in ihnen selbst eine ewige Erbitterung genährt wurde.<lb/>
Es war die Monarchie, welche die Volksvertretung fortwährend in die Opposi¬<lb/>
tion trieb.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1170"> Später hat man die Wahlen nach dem Princip der Volkssouveränetät ein¬<lb/>
gerichtet, und ist damit gescheitert. Aber noch viel weniger ist die Legitimität im<lb/>
Stande, diese Frage zu einer verständigen Lösung zu bringen. Das göttliche<lb/>
Recht weiß nichts zu sagen, wo es sich um einen wesentlich neuen Factor des<lb/>
Staatslebens handelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1171"> Der einzige Grundsatz, den wir der historischen Schule zugeben, der aber<lb/>
mit dem Princip der Legitimität nichts zu thun hat, ist dieser: in der ne»en<lb/>
Staatsform sollen alle wirklich vorhandenen Kräfte der Nation verwerthet werden<lb/>
&#x2014; sie mögen göttlichen oder ungöttlichen Ursprungs sein. Daß die royalistische,<lb/>
specistsch preußische Gesinnung eine wirklich bestehende Kraft ist, hat die Ge¬<lb/>
schieb te-der letzten Jahre gelehrt. Sie hat aber auch die deutsche Gesinnung<lb/>
des preußischen Volks bewiesen, und wir müssen begreifen, daß der Gedanke der<lb/>
Union (d. h. der friedlichen Eroberung Deutschlands durch Preußen), der bei<lb/>
unsern kleindeutschen Verbündeten lediglich Verstandessache bleibt, bei uns Preußen<lb/>
Herzenssache ist. Durch die fortdauernde Verletzung dieses Nationalgefühls<lb/>
untergräbt die Regierung die Fundamente ihres eigenen Bestehens.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1172" next="#ID_1173"> Und uun mischt sich in diesen einzigen productiven Gedanken der preußischen<lb/>
Politik die abstracte Phrase der Legitimität, die schon in Fragen, wo es sich um<lb/>
einen bestehenden Staat handelt, sich als rathlos bewährt hat, die aber vollends,<lb/>
wo es die Begründung eines neuen Staats- und Rechtsverhältnisses gilt, nur<lb/>
verneinen kauu. Daß die östreichische Partei, die in unserer Aristokratie nicht<lb/>
klein ist, die Unterordnung Preußens unter deu Bund als etwas Wüuscheuswerthes<lb/>
betrachtet, ist begreiflich; wenn aber Stahl, der sich mit dem Gedanken der Union<lb/>
für einverstanden erklärt, fortwährend darauf zurückkommt, der Eonstitnirung der<lb/>
Union müsse eine vertragsmäßige Nechtsablösnng des Bundes vorhergehen, so<lb/>
läßt er dabei die Frage ganz aus dem Spiel, was dann geschehen soll, wenn die<lb/>
übrigen Betheiligten des Bundes sich dieser Nechtsablösnng entziehen. Angebliche<lb/>
Rechtsbedenken, wo die Zeitumstände einen Staat gewaltsam auf die Bahn hin¬<lb/>
drängen, die seiner Natur überhaupt angemessen ist, sind in der Rege! nur der<lb/>
Ausfluß der Furcht; die Furcht ist aber der schlechteste und gefährlichste Rathgeber.<lb/>
Mit jenen Bedenken hat es Preußen jetzt dahin gebracht, daß, während noch vor<lb/>
einem Jahre die Zügel Deutschlands in seinen Händen waren, jetzt Oestreich sie<lb/>
ihm entrissen und seinen Nebenbuhler in die unerfreuliche Rolle des Protestiren-<lb/>
den, des Malcontenten zurückgedrängt hat, daß es um einen viel geringern Preis<lb/>
etzt schwerere Opfer bringen muß, als ihm in der Stunde des kühne» Entschlusses<lb/>
zugemuthet wurde«. Denn es läßt sich die Geschichte nicht zurückschrauben: Preußen<lb/>
hat nicht mehr die Wahl zwischen seinem alten Zustand und einer neuen Eroberung;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0341] während lächerlich gemacht, in ihnen selbst eine ewige Erbitterung genährt wurde. Es war die Monarchie, welche die Volksvertretung fortwährend in die Opposi¬ tion trieb. Später hat man die Wahlen nach dem Princip der Volkssouveränetät ein¬ gerichtet, und ist damit gescheitert. Aber noch viel weniger ist die Legitimität im Stande, diese Frage zu einer verständigen Lösung zu bringen. Das göttliche Recht weiß nichts zu sagen, wo es sich um einen wesentlich neuen Factor des Staatslebens handelt. Der einzige Grundsatz, den wir der historischen Schule zugeben, der aber mit dem Princip der Legitimität nichts zu thun hat, ist dieser: in der ne»en Staatsform sollen alle wirklich vorhandenen Kräfte der Nation verwerthet werden — sie mögen göttlichen oder ungöttlichen Ursprungs sein. Daß die royalistische, specistsch preußische Gesinnung eine wirklich bestehende Kraft ist, hat die Ge¬ schieb te-der letzten Jahre gelehrt. Sie hat aber auch die deutsche Gesinnung des preußischen Volks bewiesen, und wir müssen begreifen, daß der Gedanke der Union (d. h. der friedlichen Eroberung Deutschlands durch Preußen), der bei unsern kleindeutschen Verbündeten lediglich Verstandessache bleibt, bei uns Preußen Herzenssache ist. Durch die fortdauernde Verletzung dieses Nationalgefühls untergräbt die Regierung die Fundamente ihres eigenen Bestehens. Und uun mischt sich in diesen einzigen productiven Gedanken der preußischen Politik die abstracte Phrase der Legitimität, die schon in Fragen, wo es sich um einen bestehenden Staat handelt, sich als rathlos bewährt hat, die aber vollends, wo es die Begründung eines neuen Staats- und Rechtsverhältnisses gilt, nur verneinen kauu. Daß die östreichische Partei, die in unserer Aristokratie nicht klein ist, die Unterordnung Preußens unter deu Bund als etwas Wüuscheuswerthes betrachtet, ist begreiflich; wenn aber Stahl, der sich mit dem Gedanken der Union für einverstanden erklärt, fortwährend darauf zurückkommt, der Eonstitnirung der Union müsse eine vertragsmäßige Nechtsablösnng des Bundes vorhergehen, so läßt er dabei die Frage ganz aus dem Spiel, was dann geschehen soll, wenn die übrigen Betheiligten des Bundes sich dieser Nechtsablösnng entziehen. Angebliche Rechtsbedenken, wo die Zeitumstände einen Staat gewaltsam auf die Bahn hin¬ drängen, die seiner Natur überhaupt angemessen ist, sind in der Rege! nur der Ausfluß der Furcht; die Furcht ist aber der schlechteste und gefährlichste Rathgeber. Mit jenen Bedenken hat es Preußen jetzt dahin gebracht, daß, während noch vor einem Jahre die Zügel Deutschlands in seinen Händen waren, jetzt Oestreich sie ihm entrissen und seinen Nebenbuhler in die unerfreuliche Rolle des Protestiren- den, des Malcontenten zurückgedrängt hat, daß es um einen viel geringern Preis etzt schwerere Opfer bringen muß, als ihm in der Stunde des kühne» Entschlusses zugemuthet wurde«. Denn es läßt sich die Geschichte nicht zurückschrauben: Preußen hat nicht mehr die Wahl zwischen seinem alten Zustand und einer neuen Eroberung;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/341
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/341>, abgerufen am 27.07.2024.