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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Vertrauensmänner, die früher sich wenig oder gar nicht mit Politik befaßten,
laßt durch sie ein Statut verfertigen, welches in den Destillationen des Ministeriums,
des Obersthofmeisters, des Leibadjutanten nud uoch anderer hoher Personen gereinigt
und endlich in rotraeta closi dem "constitutivnshiuigrigcn Volke hingegeben wird,
und so wird allmälig und geräuschlos der liebe Vormärz wieder herbeigeführt;
in Ungarn hat man nicht nur mit dem März, sondern auch mit dem Vormärz
gebrochen, und um mit der beschnürten Nation fertig zu werden, muß man die
alten Archive der Ferdinande, der Leopolde ?c. hervorsuchen, und die östreichische
Politik des Ü0. und 17. Jahrhunderts ausbeuten.

Wenn wir nämlich die Zeiten nach der Mvhatser Schlacht mit der heutigen
vergleichen, so finden wir in dem Verfahren der östreichischen Regierung die größte
Aehnlichkeit. Auch damals hatte Habsburg mit einem großen Theil der unga¬
rische" Nation unter Anführung Johann Zapvlia'ö im offenen Felde zu kämpfen;
Ungarn wurde auch damals, wenn auch uicht öffentlich, als eroberte Provinz be¬
trachtet, und mau entschloß sich, die Magnaten, welche die Wahl Ferdinand's be¬
trieben, entbehrlich oder unschädlich zu machen, und übergab das Laud den Jesuiten
und herzlosen Ausländern, um es durch diese östreichisch zu macheu. Seit dieser >
Zeit entstand in Ungarn eine permanente Opposition gegen Oestreich, aus welcher
die Revolutionen der Nakoczy, Tököly, Bocskay, Bcthleu u. s. w. hervorgingen.
Eine eigentliche Partei hatte Oestreich damals in Ungarn nicht, und seiue Stützen
waren die katholische Geistlichkeit, welche in Oestreich den clekensor üäei gegen
die Verbreitung des Protestantismus in Ungarn sahen, einige im Amte angestellte
Aristokraten und einige mit den obigen Revolutionsmännern in Rivalität lebende
Familien. Das Volk haßte den Adel und Oestreich zugleich und sah es gerne,
wenn diese sich zerfleischten; der niedere Adel hatte nnr einen Wunsch! den in
Ofen wohnenden und nnr für Ungarn lebenden max^ar XiriUy (ungarischen König).
-- Dieser Zustand dauerte bis Maria Theresia, welche es sehr wohl verstand,
die Ungarn bei.ihrer schwachen Seite zu fassen, nämlich ihrem Stolze zu schmei¬
cheln. Sie empfahl sich und ihren Säugling der Tapferkeit und Großmuth
der ungarischen Nation, und es wurden nicht nnr Armeen aus der Erde gestampft,
sondern es trat noch außerdem das oft statthabende VcrlMniß ein, daß nämlich
der Schützling zum Liebling seines Wohlthäters wird, und Maria Theresia war
wirklich die erste und vielleicht einzige Regentin ans dem Hause Habsburg, der
die Magyaren mit wahrer Liebe anhingen. Die kluge Herrscherin wußte auch
diese Neigung sehr wohl auszubeuten, und sie war auf dem besten Wege, die
alten Pläne ihres Hanfes, nämlich die Gleichstellung Ungarns mit den übrigen
Provinzen der Monarchie, durch ganz friedliche Mittel, als Hcirathsverbinduugen
zwischen dem ungarischen und östreichischen Adel, Heranziehung der reichen Mag¬
naten an den Hof, Auszeichnung der ungarischen Aristokraten durch hohe Civil-
uud Militärämter, Errichtung der ungarischen Leibgarde n. s. w. zu verwirklichen.


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Vertrauensmänner, die früher sich wenig oder gar nicht mit Politik befaßten,
laßt durch sie ein Statut verfertigen, welches in den Destillationen des Ministeriums,
des Obersthofmeisters, des Leibadjutanten nud uoch anderer hoher Personen gereinigt
und endlich in rotraeta closi dem "constitutivnshiuigrigcn Volke hingegeben wird,
und so wird allmälig und geräuschlos der liebe Vormärz wieder herbeigeführt;
in Ungarn hat man nicht nur mit dem März, sondern auch mit dem Vormärz
gebrochen, und um mit der beschnürten Nation fertig zu werden, muß man die
alten Archive der Ferdinande, der Leopolde ?c. hervorsuchen, und die östreichische
Politik des Ü0. und 17. Jahrhunderts ausbeuten.

Wenn wir nämlich die Zeiten nach der Mvhatser Schlacht mit der heutigen
vergleichen, so finden wir in dem Verfahren der östreichischen Regierung die größte
Aehnlichkeit. Auch damals hatte Habsburg mit einem großen Theil der unga¬
rische» Nation unter Anführung Johann Zapvlia'ö im offenen Felde zu kämpfen;
Ungarn wurde auch damals, wenn auch uicht öffentlich, als eroberte Provinz be¬
trachtet, und mau entschloß sich, die Magnaten, welche die Wahl Ferdinand's be¬
trieben, entbehrlich oder unschädlich zu machen, und übergab das Laud den Jesuiten
und herzlosen Ausländern, um es durch diese östreichisch zu macheu. Seit dieser >
Zeit entstand in Ungarn eine permanente Opposition gegen Oestreich, aus welcher
die Revolutionen der Nakoczy, Tököly, Bocskay, Bcthleu u. s. w. hervorgingen.
Eine eigentliche Partei hatte Oestreich damals in Ungarn nicht, und seiue Stützen
waren die katholische Geistlichkeit, welche in Oestreich den clekensor üäei gegen
die Verbreitung des Protestantismus in Ungarn sahen, einige im Amte angestellte
Aristokraten und einige mit den obigen Revolutionsmännern in Rivalität lebende
Familien. Das Volk haßte den Adel und Oestreich zugleich und sah es gerne,
wenn diese sich zerfleischten; der niedere Adel hatte nnr einen Wunsch! den in
Ofen wohnenden und nnr für Ungarn lebenden max^ar XiriUy (ungarischen König).
— Dieser Zustand dauerte bis Maria Theresia, welche es sehr wohl verstand,
die Ungarn bei.ihrer schwachen Seite zu fassen, nämlich ihrem Stolze zu schmei¬
cheln. Sie empfahl sich und ihren Säugling der Tapferkeit und Großmuth
der ungarischen Nation, und es wurden nicht nnr Armeen aus der Erde gestampft,
sondern es trat noch außerdem das oft statthabende VcrlMniß ein, daß nämlich
der Schützling zum Liebling seines Wohlthäters wird, und Maria Theresia war
wirklich die erste und vielleicht einzige Regentin ans dem Hause Habsburg, der
die Magyaren mit wahrer Liebe anhingen. Die kluge Herrscherin wußte auch
diese Neigung sehr wohl auszubeuten, und sie war auf dem besten Wege, die
alten Pläne ihres Hanfes, nämlich die Gleichstellung Ungarns mit den übrigen
Provinzen der Monarchie, durch ganz friedliche Mittel, als Hcirathsverbinduugen
zwischen dem ungarischen und östreichischen Adel, Heranziehung der reichen Mag¬
naten an den Hof, Auszeichnung der ungarischen Aristokraten durch hohe Civil-
uud Militärämter, Errichtung der ungarischen Leibgarde n. s. w. zu verwirklichen.


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[0299] Vertrauensmänner, die früher sich wenig oder gar nicht mit Politik befaßten, laßt durch sie ein Statut verfertigen, welches in den Destillationen des Ministeriums, des Obersthofmeisters, des Leibadjutanten nud uoch anderer hoher Personen gereinigt und endlich in rotraeta closi dem "constitutivnshiuigrigcn Volke hingegeben wird, und so wird allmälig und geräuschlos der liebe Vormärz wieder herbeigeführt; in Ungarn hat man nicht nur mit dem März, sondern auch mit dem Vormärz gebrochen, und um mit der beschnürten Nation fertig zu werden, muß man die alten Archive der Ferdinande, der Leopolde ?c. hervorsuchen, und die östreichische Politik des Ü0. und 17. Jahrhunderts ausbeuten. Wenn wir nämlich die Zeiten nach der Mvhatser Schlacht mit der heutigen vergleichen, so finden wir in dem Verfahren der östreichischen Regierung die größte Aehnlichkeit. Auch damals hatte Habsburg mit einem großen Theil der unga¬ rische» Nation unter Anführung Johann Zapvlia'ö im offenen Felde zu kämpfen; Ungarn wurde auch damals, wenn auch uicht öffentlich, als eroberte Provinz be¬ trachtet, und mau entschloß sich, die Magnaten, welche die Wahl Ferdinand's be¬ trieben, entbehrlich oder unschädlich zu machen, und übergab das Laud den Jesuiten und herzlosen Ausländern, um es durch diese östreichisch zu macheu. Seit dieser > Zeit entstand in Ungarn eine permanente Opposition gegen Oestreich, aus welcher die Revolutionen der Nakoczy, Tököly, Bocskay, Bcthleu u. s. w. hervorgingen. Eine eigentliche Partei hatte Oestreich damals in Ungarn nicht, und seiue Stützen waren die katholische Geistlichkeit, welche in Oestreich den clekensor üäei gegen die Verbreitung des Protestantismus in Ungarn sahen, einige im Amte angestellte Aristokraten und einige mit den obigen Revolutionsmännern in Rivalität lebende Familien. Das Volk haßte den Adel und Oestreich zugleich und sah es gerne, wenn diese sich zerfleischten; der niedere Adel hatte nnr einen Wunsch! den in Ofen wohnenden und nnr für Ungarn lebenden max^ar XiriUy (ungarischen König). — Dieser Zustand dauerte bis Maria Theresia, welche es sehr wohl verstand, die Ungarn bei.ihrer schwachen Seite zu fassen, nämlich ihrem Stolze zu schmei¬ cheln. Sie empfahl sich und ihren Säugling der Tapferkeit und Großmuth der ungarischen Nation, und es wurden nicht nnr Armeen aus der Erde gestampft, sondern es trat noch außerdem das oft statthabende VcrlMniß ein, daß nämlich der Schützling zum Liebling seines Wohlthäters wird, und Maria Theresia war wirklich die erste und vielleicht einzige Regentin ans dem Hause Habsburg, der die Magyaren mit wahrer Liebe anhingen. Die kluge Herrscherin wußte auch diese Neigung sehr wohl auszubeuten, und sie war auf dem besten Wege, die alten Pläne ihres Hanfes, nämlich die Gleichstellung Ungarns mit den übrigen Provinzen der Monarchie, durch ganz friedliche Mittel, als Hcirathsverbinduugen zwischen dem ungarischen und östreichischen Adel, Heranziehung der reichen Mag¬ naten an den Hof, Auszeichnung der ungarischen Aristokraten durch hohe Civil- uud Militärämter, Errichtung der ungarischen Leibgarde n. s. w. zu verwirklichen. 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/299>, abgerufen am 27.07.2024.