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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Jcnsar in Szemlin; die Wallachen haben mehr, als sie hoffen konnten, denn sie
brauchen die geraubten Schätze nicht zurückzugeben und haben noch obendrein die
Gemigthnung, daß der Name "Sachsenland" aus dem amtlichen Concept ge¬
strichen ist; die Urtheilen sind ans dem Gehirn Stadion'S als glorreiche Nation
hervorgegangen; die Slowaken brauchen nicht mehr ungarisch zu lernen, sondern
tonnen ihre Kiuder in deutsche Gymnasien schicken n. s. w.; man läßt also die
Dinge ihren Gang gehen und trachtet lieber uach außen groß zu werden, und
um neue Exe esse zu verhüten, will man mit der ganzen Bagage in den deutschen
Bund treten ; in Frankfurt werdeu sich die rebellischen Magyaren, Italiener, Czechen
und Polen acclimatisiren, "ut die Schlafmütze wird sloriren von der Nordsee bjs
zur Adria, von: Bell bis zum Notheuthurmpaß.

Hiermit hätte ich Ihnen die heutige östreichische Politik, wie sie leibt und
lebt, dargestellt; wer die Schilderung für übertrieben hält, komme zu uns, und er
wird sich von der traurigen Wahrheit überzeugen. Nur im Auslande gibt es
vielleicht noch Leute, die an eine constitutionelle Zukunft des Kaiserstaats, an
einen Reichstag und dergleichen Dinge glauben. Ju einem constitutionellen
Staate ist die Regierung beflissen, sich -- wenigstens eine künstliche -- Majorität
zu schaffe"; unser Ministerium hat bis jetzt nur gegen die Militärherrschaft ange¬
kämpft, um sein Dasein fristen zu können; sich eine Partei zu schaffen, ist ihm
nie in den Sinn gekommen. Diese traurige Ueberzeugung wird vou allen Pro¬
vinzen der Monarchie genährt, am deutlichsten aber ist sie in Ungarn ausgesprochen.
In diesem Lande hat die alte Constitution, obwohl sie eigentlich nnr ein großer
Ndelsbrief für 600,000 Menschen war, dadurch, daß der Bestand des Staates
als solchen mit ihr in genauester Verbindung stand, und sie bei dein liberalen
Geiste des ungarischen Adels eine bessere Zukunft versprach, in dem Leben des
Volkes tiefe Wurzeln geschlagen, so daß manche Redner von der Opposition vor
dem März ihr Erstaunen darüber aussprachen, wie das Volk so viel Interesse und
Theilnahme sür eine Verfassung zeigen kann, die ihm nur Pflichten auflegt, ohne
ihm die Rechte eines Staatsbürgers zu Theil werdeu zu lassen. Bei uns also
weiß das Volk sehr wohl, was dazu gehört, constitutionell zu regieren, und bei
uns sind die Parteien schon da, das Ministerium braucht also sie nicht erst zu
schaffen, sondern kann sich an eine derselben anschließen, oder aus den Fractionen
sich eine neue bilden; doch von dem Allem geschieht nichts. Heute, wie eiuen
Tag nach der Katastrophe, steht das Ministerium allem da mit seinem Beamten-
Heer und seineu Gcusd'armen, und regiert das Land von außen nach innen, und
meint alle Gefahren beseitigt zu haben, wenn das erschöpfte und von Soldaten-
massen erdrückte, entwaffnete Land keine Revolution macht.

Andererseits aber bilden die constitutionellen Reminiscenzen und das Vor¬
handensein politischer Parteien in Ungarn ein außerordentliches Hinderniß sür die
Organisationspläne des Ministeriums; denn in deu andern Provinzen beruft mau


Jcnsar in Szemlin; die Wallachen haben mehr, als sie hoffen konnten, denn sie
brauchen die geraubten Schätze nicht zurückzugeben und haben noch obendrein die
Gemigthnung, daß der Name „Sachsenland" aus dem amtlichen Concept ge¬
strichen ist; die Urtheilen sind ans dem Gehirn Stadion'S als glorreiche Nation
hervorgegangen; die Slowaken brauchen nicht mehr ungarisch zu lernen, sondern
tonnen ihre Kiuder in deutsche Gymnasien schicken n. s. w.; man läßt also die
Dinge ihren Gang gehen und trachtet lieber uach außen groß zu werden, und
um neue Exe esse zu verhüten, will man mit der ganzen Bagage in den deutschen
Bund treten ; in Frankfurt werdeu sich die rebellischen Magyaren, Italiener, Czechen
und Polen acclimatisiren, »ut die Schlafmütze wird sloriren von der Nordsee bjs
zur Adria, von: Bell bis zum Notheuthurmpaß.

Hiermit hätte ich Ihnen die heutige östreichische Politik, wie sie leibt und
lebt, dargestellt; wer die Schilderung für übertrieben hält, komme zu uns, und er
wird sich von der traurigen Wahrheit überzeugen. Nur im Auslande gibt es
vielleicht noch Leute, die an eine constitutionelle Zukunft des Kaiserstaats, an
einen Reichstag und dergleichen Dinge glauben. Ju einem constitutionellen
Staate ist die Regierung beflissen, sich — wenigstens eine künstliche — Majorität
zu schaffe»; unser Ministerium hat bis jetzt nur gegen die Militärherrschaft ange¬
kämpft, um sein Dasein fristen zu können; sich eine Partei zu schaffen, ist ihm
nie in den Sinn gekommen. Diese traurige Ueberzeugung wird vou allen Pro¬
vinzen der Monarchie genährt, am deutlichsten aber ist sie in Ungarn ausgesprochen.
In diesem Lande hat die alte Constitution, obwohl sie eigentlich nnr ein großer
Ndelsbrief für 600,000 Menschen war, dadurch, daß der Bestand des Staates
als solchen mit ihr in genauester Verbindung stand, und sie bei dein liberalen
Geiste des ungarischen Adels eine bessere Zukunft versprach, in dem Leben des
Volkes tiefe Wurzeln geschlagen, so daß manche Redner von der Opposition vor
dem März ihr Erstaunen darüber aussprachen, wie das Volk so viel Interesse und
Theilnahme sür eine Verfassung zeigen kann, die ihm nur Pflichten auflegt, ohne
ihm die Rechte eines Staatsbürgers zu Theil werdeu zu lassen. Bei uns also
weiß das Volk sehr wohl, was dazu gehört, constitutionell zu regieren, und bei
uns sind die Parteien schon da, das Ministerium braucht also sie nicht erst zu
schaffen, sondern kann sich an eine derselben anschließen, oder aus den Fractionen
sich eine neue bilden; doch von dem Allem geschieht nichts. Heute, wie eiuen
Tag nach der Katastrophe, steht das Ministerium allem da mit seinem Beamten-
Heer und seineu Gcusd'armen, und regiert das Land von außen nach innen, und
meint alle Gefahren beseitigt zu haben, wenn das erschöpfte und von Soldaten-
massen erdrückte, entwaffnete Land keine Revolution macht.

Andererseits aber bilden die constitutionellen Reminiscenzen und das Vor¬
handensein politischer Parteien in Ungarn ein außerordentliches Hinderniß sür die
Organisationspläne des Ministeriums; denn in deu andern Provinzen beruft mau


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[0298] Jcnsar in Szemlin; die Wallachen haben mehr, als sie hoffen konnten, denn sie brauchen die geraubten Schätze nicht zurückzugeben und haben noch obendrein die Gemigthnung, daß der Name „Sachsenland" aus dem amtlichen Concept ge¬ strichen ist; die Urtheilen sind ans dem Gehirn Stadion'S als glorreiche Nation hervorgegangen; die Slowaken brauchen nicht mehr ungarisch zu lernen, sondern tonnen ihre Kiuder in deutsche Gymnasien schicken n. s. w.; man läßt also die Dinge ihren Gang gehen und trachtet lieber uach außen groß zu werden, und um neue Exe esse zu verhüten, will man mit der ganzen Bagage in den deutschen Bund treten ; in Frankfurt werdeu sich die rebellischen Magyaren, Italiener, Czechen und Polen acclimatisiren, »ut die Schlafmütze wird sloriren von der Nordsee bjs zur Adria, von: Bell bis zum Notheuthurmpaß. Hiermit hätte ich Ihnen die heutige östreichische Politik, wie sie leibt und lebt, dargestellt; wer die Schilderung für übertrieben hält, komme zu uns, und er wird sich von der traurigen Wahrheit überzeugen. Nur im Auslande gibt es vielleicht noch Leute, die an eine constitutionelle Zukunft des Kaiserstaats, an einen Reichstag und dergleichen Dinge glauben. Ju einem constitutionellen Staate ist die Regierung beflissen, sich — wenigstens eine künstliche — Majorität zu schaffe»; unser Ministerium hat bis jetzt nur gegen die Militärherrschaft ange¬ kämpft, um sein Dasein fristen zu können; sich eine Partei zu schaffen, ist ihm nie in den Sinn gekommen. Diese traurige Ueberzeugung wird vou allen Pro¬ vinzen der Monarchie genährt, am deutlichsten aber ist sie in Ungarn ausgesprochen. In diesem Lande hat die alte Constitution, obwohl sie eigentlich nnr ein großer Ndelsbrief für 600,000 Menschen war, dadurch, daß der Bestand des Staates als solchen mit ihr in genauester Verbindung stand, und sie bei dein liberalen Geiste des ungarischen Adels eine bessere Zukunft versprach, in dem Leben des Volkes tiefe Wurzeln geschlagen, so daß manche Redner von der Opposition vor dem März ihr Erstaunen darüber aussprachen, wie das Volk so viel Interesse und Theilnahme sür eine Verfassung zeigen kann, die ihm nur Pflichten auflegt, ohne ihm die Rechte eines Staatsbürgers zu Theil werdeu zu lassen. Bei uns also weiß das Volk sehr wohl, was dazu gehört, constitutionell zu regieren, und bei uns sind die Parteien schon da, das Ministerium braucht also sie nicht erst zu schaffen, sondern kann sich an eine derselben anschließen, oder aus den Fractionen sich eine neue bilden; doch von dem Allem geschieht nichts. Heute, wie eiuen Tag nach der Katastrophe, steht das Ministerium allem da mit seinem Beamten- Heer und seineu Gcusd'armen, und regiert das Land von außen nach innen, und meint alle Gefahren beseitigt zu haben, wenn das erschöpfte und von Soldaten- massen erdrückte, entwaffnete Land keine Revolution macht. Andererseits aber bilden die constitutionellen Reminiscenzen und das Vor¬ handensein politischer Parteien in Ungarn ein außerordentliches Hinderniß sür die Organisationspläne des Ministeriums; denn in deu andern Provinzen beruft mau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/298>, abgerufen am 27.07.2024.