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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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gern die durch ihre Universität in Rußland berühmte Stadt Ch. erreicht, um sich
in ein Militärspital aufnehmen zu lassen, welches ihn wegen der Verspätung ein
respectables Eutschuldigungsattestat hätte aufstellen können; allein dies war nicht
möglich. Er schleppte sich bis zu einer Zomblanka. Der Besitzer derselben, ein
alter Kelinrusse bemühete sich, dem armen Soldaten die kranken Füße mit einem
gekochten Kräntcrbrei zu heilen, aber wie wohl ihm auch diese Behandlung that,
hätte er doch die Reise nicht unverweilt fortsetzen können, wäre ihm nicht das
Glück widerfahren, mit einem deutschen Ansiedler, Namens Seidelmann, hier Be¬
kanntschaft zu machen. Dieser Mann hatte vor Jahren unsern von dem Geburts¬
orte des D. ans den Gütern des Grasen O. als Commissär gelebt, sich später
bei Akierman in einer deutschen Steppencolonie angesiedelt und zuletzt hier, wo
ihn D. faud, ein Dörfchen gekauft. Das Loos des D. nahm ihn in so hohem
Grade in Anspruch, daß er ihm ein Pferd zum Reiten,, wenn auch nicht gerade
ein vortreffliches, schenkte und ihn mit Nahrungsmitteln für die Reise reichlich
versah. So setzte D. seine Reise reitend fort. Das Pferd machte freilich dem
Polen bei den Städten, in denen er Meldung zu leisten hatte, viel zu schaffen,
da er als Infanterist unmöglich auf demselben seinen Einzug halten konnte. Doch
war es für ihn ein Rettungsmittel. Er traf sogar noch einen Tag früher, als
die Ruthe bestimmte, zu O. ein und gewann dadurch Zeit, ein Bittgesuch zu ver¬
fassen und durch den Unteroffizier der Hauptwache an deu Geueral R. gelan¬
gen zu lasse". Er hoffte einen schnellen Bescheid, allein diesen erhielt er nicht,
und mußte daher ungewiß über seine Zukunft die Rückreise antreten.

Er kehrte wieder bei Seidelmann ein, um ihm das Pferd zurückzugeben,
dieser aber nahm es nicht an, und D. vollendete auf demselben seine Reise.

Zwei Monate später ging ein Bescheid auf sein Bittgesuch ein. Doch kam es
nicht in seine, sondern des Lieutuants Hände und schien auch uicht zusagender Art
zu sein. Was es enthielt, hat D. uicht erfahren. Dem Lieutenant aber war es
Pflicht oder Bedürfniß des Herzens, dem gequälten Menschen dreißig Knutenschläge
zutheilen zu lassen. Ich hatte schon ärgere Mißhandlungen ertragen, daher erschöpfte
auch diese meinen Muth und meine Kräfte nicht; viel härter war es, daß mich der
Lieutenant ferner ein ganzes Jahr lang ununterbrochen mit ähnlichen Botendiensten
quälte. Diese fortwährenden Wanderungen machten mich zuletzt wirklich zum Krüppel.
Siebzehn Wochen lang mußte ich in dem Spital zu G. liegen, die gebräuchliche
Hungerkur nahm mir alles Fleisch von den Knochen, aber ich erhielt mich doch
und lerute wieder gerade gehen.

Sein Bittgesuch schien indessen doch eine neue bessere Folge gewonnen zu
haben. Im Spital noch erhielt er Befehl mit 182 verschiedenen Genossen uuter dem
Befehl eines Hauptmanns in ein Regiment am Kaukasus einzurücken. "Sollte ich
einst in meinem Vaterlande eine Hochzeit feiern", schreibt D., "so wird an mei¬
nem Ehrentage meine Freude nicht größer sein als bei dein Empfang dieses Befehls.


gern die durch ihre Universität in Rußland berühmte Stadt Ch. erreicht, um sich
in ein Militärspital aufnehmen zu lassen, welches ihn wegen der Verspätung ein
respectables Eutschuldigungsattestat hätte aufstellen können; allein dies war nicht
möglich. Er schleppte sich bis zu einer Zomblanka. Der Besitzer derselben, ein
alter Kelinrusse bemühete sich, dem armen Soldaten die kranken Füße mit einem
gekochten Kräntcrbrei zu heilen, aber wie wohl ihm auch diese Behandlung that,
hätte er doch die Reise nicht unverweilt fortsetzen können, wäre ihm nicht das
Glück widerfahren, mit einem deutschen Ansiedler, Namens Seidelmann, hier Be¬
kanntschaft zu machen. Dieser Mann hatte vor Jahren unsern von dem Geburts¬
orte des D. ans den Gütern des Grasen O. als Commissär gelebt, sich später
bei Akierman in einer deutschen Steppencolonie angesiedelt und zuletzt hier, wo
ihn D. faud, ein Dörfchen gekauft. Das Loos des D. nahm ihn in so hohem
Grade in Anspruch, daß er ihm ein Pferd zum Reiten,, wenn auch nicht gerade
ein vortreffliches, schenkte und ihn mit Nahrungsmitteln für die Reise reichlich
versah. So setzte D. seine Reise reitend fort. Das Pferd machte freilich dem
Polen bei den Städten, in denen er Meldung zu leisten hatte, viel zu schaffen,
da er als Infanterist unmöglich auf demselben seinen Einzug halten konnte. Doch
war es für ihn ein Rettungsmittel. Er traf sogar noch einen Tag früher, als
die Ruthe bestimmte, zu O. ein und gewann dadurch Zeit, ein Bittgesuch zu ver¬
fassen und durch den Unteroffizier der Hauptwache an deu Geueral R. gelan¬
gen zu lasse». Er hoffte einen schnellen Bescheid, allein diesen erhielt er nicht,
und mußte daher ungewiß über seine Zukunft die Rückreise antreten.

Er kehrte wieder bei Seidelmann ein, um ihm das Pferd zurückzugeben,
dieser aber nahm es nicht an, und D. vollendete auf demselben seine Reise.

Zwei Monate später ging ein Bescheid auf sein Bittgesuch ein. Doch kam es
nicht in seine, sondern des Lieutuants Hände und schien auch uicht zusagender Art
zu sein. Was es enthielt, hat D. uicht erfahren. Dem Lieutenant aber war es
Pflicht oder Bedürfniß des Herzens, dem gequälten Menschen dreißig Knutenschläge
zutheilen zu lassen. Ich hatte schon ärgere Mißhandlungen ertragen, daher erschöpfte
auch diese meinen Muth und meine Kräfte nicht; viel härter war es, daß mich der
Lieutenant ferner ein ganzes Jahr lang ununterbrochen mit ähnlichen Botendiensten
quälte. Diese fortwährenden Wanderungen machten mich zuletzt wirklich zum Krüppel.
Siebzehn Wochen lang mußte ich in dem Spital zu G. liegen, die gebräuchliche
Hungerkur nahm mir alles Fleisch von den Knochen, aber ich erhielt mich doch
und lerute wieder gerade gehen.

Sein Bittgesuch schien indessen doch eine neue bessere Folge gewonnen zu
haben. Im Spital noch erhielt er Befehl mit 182 verschiedenen Genossen uuter dem
Befehl eines Hauptmanns in ein Regiment am Kaukasus einzurücken. „Sollte ich
einst in meinem Vaterlande eine Hochzeit feiern", schreibt D., „so wird an mei¬
nem Ehrentage meine Freude nicht größer sein als bei dein Empfang dieses Befehls.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/29>, abgerufen am 27.07.2024.