Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.des Mädchens, ein Literat, verbietet ihm öffentlich das Haus; es kommt zum Die Satyre geht also nach zwei Seiten hin: gegen das Vorurtheil, das die Aber der Conflict ist seit der Zeit schon so aus unsern Augen gerückt, daß Es ist das eine Warnung für unsere Dichter, sittliche Verkehrtheiten, die des Mädchens, ein Literat, verbietet ihm öffentlich das Haus; es kommt zum Die Satyre geht also nach zwei Seiten hin: gegen das Vorurtheil, das die Aber der Conflict ist seit der Zeit schon so aus unsern Augen gerückt, daß Es ist das eine Warnung für unsere Dichter, sittliche Verkehrtheiten, die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85863"/> <p xml:id="ID_964" prev="#ID_963"> des Mädchens, ein Literat, verbietet ihm öffentlich das Haus; es kommt zum<lb/> Wortwechsel, der Offizier gibt dem Literaten eine Ohrfeige. Dieser fordert Sa-<lb/> tisfaction; der Offizier erklärt, nachdem er vorher das Ehrengericht seiner Standes¬<lb/> genossen befragt, einem Bürgerlichen dürfe er keine geben. In Folge dessen<lb/> schießt der Literat ihn nieder. — Nun folgt die zweite Handlung. Der Vater<lb/> des Offiziers, Justizminister, in allen Vorurtheilen seines Standes aufgewachsen,<lb/> erfährt, daß der Mörder sein unehelicher Sohn ist. Er besucht ihn in seinem<lb/> Gefängniß und findet in dem demokratischen Trotz des Jünglings, der sich eine<lb/> eigne Ehre erobern will, eine auffallende Ähnlichkeit mit seiner eignen aristokra¬<lb/> tischen Gesinnung. Beide verständigen sich zuletzt, ganz gut , und der Vater läßt<lb/> sich bewegen, ihm Gift zu geben, um der Schande der öffentlichen Hinrichtung<lb/> zu entgehen. Gerade als das Gift genommen ist, kommt die Nachricht von der<lb/> Begnadigung des Mörders. So bleibt dem Minister nichts Anderes übrig, als sich<lb/> selber der Gerechtigkeit zu überliefern und die Folgen seiner doppelten Sünde zu<lb/> tragen, die beidemal aus einem falschen Ehrbegriff entsprang: sowohl als er aus<lb/> Adelstolz die Geliebte verließ, wie durch Eigenmächtigkeit bei dem Vorgreisen<lb/> der Justiz.</p><lb/> <p xml:id="ID_965"> Die Satyre geht also nach zwei Seiten hin: gegen das Vorurtheil, das die<lb/> Menschen in zwei verschiedene Classen sondert, und gegen den falschen Ehrbegriff,<lb/> der in eigenmächtiger Willkür eine äußerliche Verletzung der persönlichen Inte¬<lb/> grität wieder gilt zu machen gedenkt. Der Verfasser hat nach beiden Seiten<lb/> mit Ernst und Gewissenhaftigkeit aus seiue Consequenzen hingearbeitet.</p><lb/> <p xml:id="ID_966"> Aber der Conflict ist seit der Zeit schon so aus unsern Augen gerückt, daß<lb/> er einen unangenehmen Eindruck macht. Wir begreifen nicht mehr diesen ver¬<lb/> bissenen Grimm gegen den Adel, der uns in keiner Weise mehr lästig fällt. Es<lb/> wird jetzt ebensowenig einem Edelmann einfallen, dem Bürger Satisfaction zu<lb/> verweigern, als dem Bürger, wegen verweigerter Satisfaction den Andern zu<lb/> erschießen. Und was das Heirathen betrifft, so werden zwar immer.Conflicte<lb/> stattfinden zwischen der Neigung des Herzens und der Natur der Verhältnisse,<lb/> aber eine unübersteigbare Kluft, wie zwischen Brahminen und Parias, existirt doch<lb/> nicht mehr. Eine Dichtung, die von solchen Verhältnissen handelt, fesselt uns nur<lb/> daun, wenn die Verhältnisse selbst noch über uns mächtig sind, wenn wir sie als<lb/> einen Schmerzensschrei betrachten können, den wir gegen unser eigenes Loos<lb/> ausstoßen.</p><lb/> <p xml:id="ID_967" next="#ID_968"> Es ist das eine Warnung für unsere Dichter, sittliche Verkehrtheiten, die<lb/> nur einer bestimmten Zeit angehören, tragisch zu gestalten. Robert's Tragödie<lb/> wird etwa dreißig Jahre alt sein, und schon hat sie alles Interesse für uns ver¬<lb/> loren. Was wird mit den Trauerspielen geschehen, die von der romantischen<lb/> Verschrobenheit unserer Empfindungsweise zehren?! Die sittliche Verkehrt¬<lb/> heit einer bestimmten Zeit gehört in's Lustspiel; die Tragödie soll</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0280]
des Mädchens, ein Literat, verbietet ihm öffentlich das Haus; es kommt zum
Wortwechsel, der Offizier gibt dem Literaten eine Ohrfeige. Dieser fordert Sa-
tisfaction; der Offizier erklärt, nachdem er vorher das Ehrengericht seiner Standes¬
genossen befragt, einem Bürgerlichen dürfe er keine geben. In Folge dessen
schießt der Literat ihn nieder. — Nun folgt die zweite Handlung. Der Vater
des Offiziers, Justizminister, in allen Vorurtheilen seines Standes aufgewachsen,
erfährt, daß der Mörder sein unehelicher Sohn ist. Er besucht ihn in seinem
Gefängniß und findet in dem demokratischen Trotz des Jünglings, der sich eine
eigne Ehre erobern will, eine auffallende Ähnlichkeit mit seiner eignen aristokra¬
tischen Gesinnung. Beide verständigen sich zuletzt, ganz gut , und der Vater läßt
sich bewegen, ihm Gift zu geben, um der Schande der öffentlichen Hinrichtung
zu entgehen. Gerade als das Gift genommen ist, kommt die Nachricht von der
Begnadigung des Mörders. So bleibt dem Minister nichts Anderes übrig, als sich
selber der Gerechtigkeit zu überliefern und die Folgen seiner doppelten Sünde zu
tragen, die beidemal aus einem falschen Ehrbegriff entsprang: sowohl als er aus
Adelstolz die Geliebte verließ, wie durch Eigenmächtigkeit bei dem Vorgreisen
der Justiz.
Die Satyre geht also nach zwei Seiten hin: gegen das Vorurtheil, das die
Menschen in zwei verschiedene Classen sondert, und gegen den falschen Ehrbegriff,
der in eigenmächtiger Willkür eine äußerliche Verletzung der persönlichen Inte¬
grität wieder gilt zu machen gedenkt. Der Verfasser hat nach beiden Seiten
mit Ernst und Gewissenhaftigkeit aus seiue Consequenzen hingearbeitet.
Aber der Conflict ist seit der Zeit schon so aus unsern Augen gerückt, daß
er einen unangenehmen Eindruck macht. Wir begreifen nicht mehr diesen ver¬
bissenen Grimm gegen den Adel, der uns in keiner Weise mehr lästig fällt. Es
wird jetzt ebensowenig einem Edelmann einfallen, dem Bürger Satisfaction zu
verweigern, als dem Bürger, wegen verweigerter Satisfaction den Andern zu
erschießen. Und was das Heirathen betrifft, so werden zwar immer.Conflicte
stattfinden zwischen der Neigung des Herzens und der Natur der Verhältnisse,
aber eine unübersteigbare Kluft, wie zwischen Brahminen und Parias, existirt doch
nicht mehr. Eine Dichtung, die von solchen Verhältnissen handelt, fesselt uns nur
daun, wenn die Verhältnisse selbst noch über uns mächtig sind, wenn wir sie als
einen Schmerzensschrei betrachten können, den wir gegen unser eigenes Loos
ausstoßen.
Es ist das eine Warnung für unsere Dichter, sittliche Verkehrtheiten, die
nur einer bestimmten Zeit angehören, tragisch zu gestalten. Robert's Tragödie
wird etwa dreißig Jahre alt sein, und schon hat sie alles Interesse für uns ver¬
loren. Was wird mit den Trauerspielen geschehen, die von der romantischen
Verschrobenheit unserer Empfindungsweise zehren?! Die sittliche Verkehrt¬
heit einer bestimmten Zeit gehört in's Lustspiel; die Tragödie soll
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