Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich befand mich diesen beiden schönen Wesen gegenüber gerade in der rich¬
tigen Lage eines unparteiischen Beurtheilers. Mein Herz war anderweitig in
Beschlag genommen, und mein sterbliches Theil dermaßen vom Gallenfieber ge¬
plagt, daß ich für nichts weniger Sinn hatte, als für verliebte Abenteuer.

Dazu kam noch, daß es mit meiner Barschaft zu Ende ging, und ich vor
Allem darau denken mußte, baldmöglichst nach Odessa zu gelangen, um bei H.
Consul Bellino einen Wechsel in Gold zu verwandeln; denn die ganzen Wälder
von Kolchis entlang hätte mir kein Mensch für einen Wechsel von zweihundert
Dukaten auch nur zweihundert Kopeken gegeben. Und eine Geldverlegenheit in
uncivilisirten Ländern eines fremden Welttheils gehört nicht zu den geringsten
Verlegenheiten des Lebens.

Trotzdem hatte ich große Frende an den Töchtern meines Gastfreundes, deun
hübsche Mädchen, wie ein reiner Himmel und duftige Blumen, üben allewege auf
Leidende wie Gesunde einen heilsamen Zauber ans.

Und hier möge eine Bemerkung eingeschalten werden, die sich mir oft auf¬
gedrängt hat in den Ländern des Südens, daß man dort selbst bei den Töchtern
der ärmsten und niedrigsten Volksclassen niemals jene unbeholfene und eckige
Steifheit der Bewegungen findet, wie bei uns. Setzt der geringsten Töchter
dieser Länder eine aus einen Königsthron, und sie wird in Haltung und Geberde
die Königin nicht verleugnen.

Ich hatte Giorgi beauftragt, einen Käufer für mein Reitpferd zu suchen,
ein prächtiges Thier, welches mir Fürst Andronikow geschenkt hatte. Es kam
mir schwer an, von dem treuen Thier zu scheiden, das ich lieber als Andenken
mit nach Europa genommen hätte, wenn der. Transport nicht mit unüberwindlichen
Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre.

Regelmäßige Communication war damals noch nicht ans dem schwarzen
Meere; im glücklichsten Falle hätte ich das Pferd ans einem russischen Kriegsboote
nach der Krimm schaffen können, und von dort über Odessa nach Konstantinopel.
Aber so gern ich alle damit verbundenen Unkosten getragen hätte, bei der Ge¬
wißheit, daß das Roß wohlbehalten den Ort seiner Bestimmung erreichte, so
wenig konnte ich mich uuter deu vorwaltenden Umständen dazu entschließen.

Einerseits war es sehr zweifelhaft, ob sich ein Kriegsboot zum Transport
des Pferdes bereit gesunden hätte, und andererseits noch zweifelhafter, ob das
Pferd die Reise ohne Gefahr macheu konnte. Denn die russische" Kriegsboote
kreuzen auf dem schwärzen Meere nicht zu ihrem Vergnügen, sondern um Jagd
aus die türkischen Sklavenschiffe zu machen, welche Tscherkessenmädchen nach Stambul
führen.

So hielt ich es, Alles in Betracht gezogen, für das Klügste, das Pferd in
Guria zu verkaufen, obwohl ich vorher wußte, daß in diesem Lande kein hoher
Preis dafür zu erzielen sein werde. -- Gleich am Abend desselben Tages, an


32*

Ich befand mich diesen beiden schönen Wesen gegenüber gerade in der rich¬
tigen Lage eines unparteiischen Beurtheilers. Mein Herz war anderweitig in
Beschlag genommen, und mein sterbliches Theil dermaßen vom Gallenfieber ge¬
plagt, daß ich für nichts weniger Sinn hatte, als für verliebte Abenteuer.

Dazu kam noch, daß es mit meiner Barschaft zu Ende ging, und ich vor
Allem darau denken mußte, baldmöglichst nach Odessa zu gelangen, um bei H.
Consul Bellino einen Wechsel in Gold zu verwandeln; denn die ganzen Wälder
von Kolchis entlang hätte mir kein Mensch für einen Wechsel von zweihundert
Dukaten auch nur zweihundert Kopeken gegeben. Und eine Geldverlegenheit in
uncivilisirten Ländern eines fremden Welttheils gehört nicht zu den geringsten
Verlegenheiten des Lebens.

Trotzdem hatte ich große Frende an den Töchtern meines Gastfreundes, deun
hübsche Mädchen, wie ein reiner Himmel und duftige Blumen, üben allewege auf
Leidende wie Gesunde einen heilsamen Zauber ans.

Und hier möge eine Bemerkung eingeschalten werden, die sich mir oft auf¬
gedrängt hat in den Ländern des Südens, daß man dort selbst bei den Töchtern
der ärmsten und niedrigsten Volksclassen niemals jene unbeholfene und eckige
Steifheit der Bewegungen findet, wie bei uns. Setzt der geringsten Töchter
dieser Länder eine aus einen Königsthron, und sie wird in Haltung und Geberde
die Königin nicht verleugnen.

Ich hatte Giorgi beauftragt, einen Käufer für mein Reitpferd zu suchen,
ein prächtiges Thier, welches mir Fürst Andronikow geschenkt hatte. Es kam
mir schwer an, von dem treuen Thier zu scheiden, das ich lieber als Andenken
mit nach Europa genommen hätte, wenn der. Transport nicht mit unüberwindlichen
Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre.

Regelmäßige Communication war damals noch nicht ans dem schwarzen
Meere; im glücklichsten Falle hätte ich das Pferd ans einem russischen Kriegsboote
nach der Krimm schaffen können, und von dort über Odessa nach Konstantinopel.
Aber so gern ich alle damit verbundenen Unkosten getragen hätte, bei der Ge¬
wißheit, daß das Roß wohlbehalten den Ort seiner Bestimmung erreichte, so
wenig konnte ich mich uuter deu vorwaltenden Umständen dazu entschließen.

Einerseits war es sehr zweifelhaft, ob sich ein Kriegsboot zum Transport
des Pferdes bereit gesunden hätte, und andererseits noch zweifelhafter, ob das
Pferd die Reise ohne Gefahr macheu konnte. Denn die russische» Kriegsboote
kreuzen auf dem schwärzen Meere nicht zu ihrem Vergnügen, sondern um Jagd
aus die türkischen Sklavenschiffe zu machen, welche Tscherkessenmädchen nach Stambul
führen.

So hielt ich es, Alles in Betracht gezogen, für das Klügste, das Pferd in
Guria zu verkaufen, obwohl ich vorher wußte, daß in diesem Lande kein hoher
Preis dafür zu erzielen sein werde. — Gleich am Abend desselben Tages, an


32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85842"/>
            <p xml:id="ID_840"> Ich befand mich diesen beiden schönen Wesen gegenüber gerade in der rich¬<lb/>
tigen Lage eines unparteiischen Beurtheilers. Mein Herz war anderweitig in<lb/>
Beschlag genommen, und mein sterbliches Theil dermaßen vom Gallenfieber ge¬<lb/>
plagt, daß ich für nichts weniger Sinn hatte, als für verliebte Abenteuer.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_841"> Dazu kam noch, daß es mit meiner Barschaft zu Ende ging, und ich vor<lb/>
Allem darau denken mußte, baldmöglichst nach Odessa zu gelangen, um bei H.<lb/>
Consul Bellino einen Wechsel in Gold zu verwandeln; denn die ganzen Wälder<lb/>
von Kolchis entlang hätte mir kein Mensch für einen Wechsel von zweihundert<lb/>
Dukaten auch nur zweihundert Kopeken gegeben. Und eine Geldverlegenheit in<lb/>
uncivilisirten Ländern eines fremden Welttheils gehört nicht zu den geringsten<lb/>
Verlegenheiten des Lebens.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_842"> Trotzdem hatte ich große Frende an den Töchtern meines Gastfreundes, deun<lb/>
hübsche Mädchen, wie ein reiner Himmel und duftige Blumen, üben allewege auf<lb/>
Leidende wie Gesunde einen heilsamen Zauber ans.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_843"> Und hier möge eine Bemerkung eingeschalten werden, die sich mir oft auf¬<lb/>
gedrängt hat in den Ländern des Südens, daß man dort selbst bei den Töchtern<lb/>
der ärmsten und niedrigsten Volksclassen niemals jene unbeholfene und eckige<lb/>
Steifheit der Bewegungen findet, wie bei uns. Setzt der geringsten Töchter<lb/>
dieser Länder eine aus einen Königsthron, und sie wird in Haltung und Geberde<lb/>
die Königin nicht verleugnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_844"> Ich hatte Giorgi beauftragt, einen Käufer für mein Reitpferd zu suchen,<lb/>
ein prächtiges Thier, welches mir Fürst Andronikow geschenkt hatte. Es kam<lb/>
mir schwer an, von dem treuen Thier zu scheiden, das ich lieber als Andenken<lb/>
mit nach Europa genommen hätte, wenn der. Transport nicht mit unüberwindlichen<lb/>
Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_845"> Regelmäßige Communication war damals noch nicht ans dem schwarzen<lb/>
Meere; im glücklichsten Falle hätte ich das Pferd ans einem russischen Kriegsboote<lb/>
nach der Krimm schaffen können, und von dort über Odessa nach Konstantinopel.<lb/>
Aber so gern ich alle damit verbundenen Unkosten getragen hätte, bei der Ge¬<lb/>
wißheit, daß das Roß wohlbehalten den Ort seiner Bestimmung erreichte, so<lb/>
wenig konnte ich mich uuter deu vorwaltenden Umständen dazu entschließen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_846"> Einerseits war es sehr zweifelhaft, ob sich ein Kriegsboot zum Transport<lb/>
des Pferdes bereit gesunden hätte, und andererseits noch zweifelhafter, ob das<lb/>
Pferd die Reise ohne Gefahr macheu konnte. Denn die russische» Kriegsboote<lb/>
kreuzen auf dem schwärzen Meere nicht zu ihrem Vergnügen, sondern um Jagd<lb/>
aus die türkischen Sklavenschiffe zu machen, welche Tscherkessenmädchen nach Stambul<lb/>
führen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_847" next="#ID_848"> So hielt ich es, Alles in Betracht gezogen, für das Klügste, das Pferd in<lb/>
Guria zu verkaufen, obwohl ich vorher wußte, daß in diesem Lande kein hoher<lb/>
Preis dafür zu erzielen sein werde. &#x2014; Gleich am Abend desselben Tages, an</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] Ich befand mich diesen beiden schönen Wesen gegenüber gerade in der rich¬ tigen Lage eines unparteiischen Beurtheilers. Mein Herz war anderweitig in Beschlag genommen, und mein sterbliches Theil dermaßen vom Gallenfieber ge¬ plagt, daß ich für nichts weniger Sinn hatte, als für verliebte Abenteuer. Dazu kam noch, daß es mit meiner Barschaft zu Ende ging, und ich vor Allem darau denken mußte, baldmöglichst nach Odessa zu gelangen, um bei H. Consul Bellino einen Wechsel in Gold zu verwandeln; denn die ganzen Wälder von Kolchis entlang hätte mir kein Mensch für einen Wechsel von zweihundert Dukaten auch nur zweihundert Kopeken gegeben. Und eine Geldverlegenheit in uncivilisirten Ländern eines fremden Welttheils gehört nicht zu den geringsten Verlegenheiten des Lebens. Trotzdem hatte ich große Frende an den Töchtern meines Gastfreundes, deun hübsche Mädchen, wie ein reiner Himmel und duftige Blumen, üben allewege auf Leidende wie Gesunde einen heilsamen Zauber ans. Und hier möge eine Bemerkung eingeschalten werden, die sich mir oft auf¬ gedrängt hat in den Ländern des Südens, daß man dort selbst bei den Töchtern der ärmsten und niedrigsten Volksclassen niemals jene unbeholfene und eckige Steifheit der Bewegungen findet, wie bei uns. Setzt der geringsten Töchter dieser Länder eine aus einen Königsthron, und sie wird in Haltung und Geberde die Königin nicht verleugnen. Ich hatte Giorgi beauftragt, einen Käufer für mein Reitpferd zu suchen, ein prächtiges Thier, welches mir Fürst Andronikow geschenkt hatte. Es kam mir schwer an, von dem treuen Thier zu scheiden, das ich lieber als Andenken mit nach Europa genommen hätte, wenn der. Transport nicht mit unüberwindlichen Schwierigkeiten verknüpft gewesen wäre. Regelmäßige Communication war damals noch nicht ans dem schwarzen Meere; im glücklichsten Falle hätte ich das Pferd ans einem russischen Kriegsboote nach der Krimm schaffen können, und von dort über Odessa nach Konstantinopel. Aber so gern ich alle damit verbundenen Unkosten getragen hätte, bei der Ge¬ wißheit, daß das Roß wohlbehalten den Ort seiner Bestimmung erreichte, so wenig konnte ich mich uuter deu vorwaltenden Umständen dazu entschließen. Einerseits war es sehr zweifelhaft, ob sich ein Kriegsboot zum Transport des Pferdes bereit gesunden hätte, und andererseits noch zweifelhafter, ob das Pferd die Reise ohne Gefahr macheu konnte. Denn die russische» Kriegsboote kreuzen auf dem schwärzen Meere nicht zu ihrem Vergnügen, sondern um Jagd aus die türkischen Sklavenschiffe zu machen, welche Tscherkessenmädchen nach Stambul führen. So hielt ich es, Alles in Betracht gezogen, für das Klügste, das Pferd in Guria zu verkaufen, obwohl ich vorher wußte, daß in diesem Lande kein hoher Preis dafür zu erzielen sein werde. — Gleich am Abend desselben Tages, an 32*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/259>, abgerufen am 27.07.2024.