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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Drohungen entgegenzutreten, daß selbst Nikolaus diese Sonderkirche soweit aner¬
kannte, um derselben vollkommen freie Religionsübung uuter der Bedingung zu¬
zugestehen, daß sie die Weihe ihrer Priester, wenn auch nach altem Ritus, durch
Priester der Staatskirche würde vollziehen lassen. Als dennoch die Starowerzen
in der Erkenntniß, wie auf solche Weise ihr oberstes Princip, die altkatholische
Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, bedroht sei, auch dieses Anerbieten zurück¬
wiesen, ließ der Staat diese Frage auf sich beruhe", obgleich die wesentlichen
Momente solcher Trennung von der orthodoxen Kirche die Grundpfeiler der hierar¬
chisch-politischen Gouvernemcntalpolitik bedenklich bedrohen. Russische Bemänte¬
lung versichert nun zwar, die altrussische Tracht, einige Abweichungen in der
Liturgie u. tgi. seien die Streitpunkte zwischen der Staatskirche und den Noskol-
niks. Wer aber in Rußland gelebt hat, weiß, wie diese äußerlichen Fragen der
Form längst aufgegeben sind, wie dagegen der oberste Gruudscch des russischen
Absolutismus, die Vereinigung des Patriarchats mit der Persönlichkeit des Czaren,
den eigentlichen Differenzpunkt bildet. Man hat ferner gesagt, das Starowerzen-
thum sei eine Versteiuung des Dogma, feindlich gegen jeden Fortschritt im Kultur¬
leben, erfüllt von herben Vorurtheilen gegen alles Fremde, und ans all diesen
Gründen innerlich machtlos. Diese Behauptungen haben vom gouvernementalen
russischen Standpunkte aus allerdings mancherlei Wahres. Aber gerade in der
Wahrheit der gouvernementalen Behauptungen liegt die nationale Macht jener
Seele. Die Versteiuung des Dogma, welche den Czaren als Kirchenoberhaupt
desavouirt, raubt ihm jenen göttlichen Nimbus, worauf der Bestand des Absolu¬
tismus gebaut ist, während sie dem Starowerzenthum das Ansehen einer selb¬
ständigen Macht giebt, und in den politische" Consequenzen dieses religiösen Grund¬
satzes ebensogut der politischen Opposition des aristokratischen Altrnssenthums gegen
das Hans Romanow begegnet, wie derjenigen Opposition gegen den Absolutismus
überhaupt, welche sich aus der Berührung mit dem Auslande entwickelte, oder
nichtrnssische politische Begriffe über das Herrscher- und Unterthaneuverhältuiß
mit herübernahm in die Abhängigkeit vom russischen Zepter. Die Feindlichkeit
gegen jeden Fortschritt im Culturleben und das Vorurtheil gegen alles Fremde
fällt unter dem gouvernementalen Gesichtspunkt zusammen, weil eben seit Peter I.
der selbständigen nationalen Entwicklung kein freier Raum gelassen wurde, weil
dieselbe, wo sie hervortrat, sofort von der gouvernementalen Bevormundung in
Empfang genommen und jenen Modificationen unterworfen wurde, welche das
eben herrschende nationalökonomische oder auch politische Princip wünschenswert!)
erscheinen ließ. Dem nationalen Rußland erschienen diese Abänderungen und Be¬
vormundungen als ebenso viele Eingriffe in die natürlichsten Rechte und Eigen-
thümlichkeiten des Volks. Die Starowerzen vertreten nun eben die nationale
Cultur; die sorgfältige Pflege des Bodens, der Viehzucht und der nationalen
Industrie in den Distrikten, wo sie vorherrschen, sind sogar anerkannte Thatsachen,


Drohungen entgegenzutreten, daß selbst Nikolaus diese Sonderkirche soweit aner¬
kannte, um derselben vollkommen freie Religionsübung uuter der Bedingung zu¬
zugestehen, daß sie die Weihe ihrer Priester, wenn auch nach altem Ritus, durch
Priester der Staatskirche würde vollziehen lassen. Als dennoch die Starowerzen
in der Erkenntniß, wie auf solche Weise ihr oberstes Princip, die altkatholische
Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, bedroht sei, auch dieses Anerbieten zurück¬
wiesen, ließ der Staat diese Frage auf sich beruhe», obgleich die wesentlichen
Momente solcher Trennung von der orthodoxen Kirche die Grundpfeiler der hierar¬
chisch-politischen Gouvernemcntalpolitik bedenklich bedrohen. Russische Bemänte¬
lung versichert nun zwar, die altrussische Tracht, einige Abweichungen in der
Liturgie u. tgi. seien die Streitpunkte zwischen der Staatskirche und den Noskol-
niks. Wer aber in Rußland gelebt hat, weiß, wie diese äußerlichen Fragen der
Form längst aufgegeben sind, wie dagegen der oberste Gruudscch des russischen
Absolutismus, die Vereinigung des Patriarchats mit der Persönlichkeit des Czaren,
den eigentlichen Differenzpunkt bildet. Man hat ferner gesagt, das Starowerzen-
thum sei eine Versteiuung des Dogma, feindlich gegen jeden Fortschritt im Kultur¬
leben, erfüllt von herben Vorurtheilen gegen alles Fremde, und ans all diesen
Gründen innerlich machtlos. Diese Behauptungen haben vom gouvernementalen
russischen Standpunkte aus allerdings mancherlei Wahres. Aber gerade in der
Wahrheit der gouvernementalen Behauptungen liegt die nationale Macht jener
Seele. Die Versteiuung des Dogma, welche den Czaren als Kirchenoberhaupt
desavouirt, raubt ihm jenen göttlichen Nimbus, worauf der Bestand des Absolu¬
tismus gebaut ist, während sie dem Starowerzenthum das Ansehen einer selb¬
ständigen Macht giebt, und in den politische« Consequenzen dieses religiösen Grund¬
satzes ebensogut der politischen Opposition des aristokratischen Altrnssenthums gegen
das Hans Romanow begegnet, wie derjenigen Opposition gegen den Absolutismus
überhaupt, welche sich aus der Berührung mit dem Auslande entwickelte, oder
nichtrnssische politische Begriffe über das Herrscher- und Unterthaneuverhältuiß
mit herübernahm in die Abhängigkeit vom russischen Zepter. Die Feindlichkeit
gegen jeden Fortschritt im Culturleben und das Vorurtheil gegen alles Fremde
fällt unter dem gouvernementalen Gesichtspunkt zusammen, weil eben seit Peter I.
der selbständigen nationalen Entwicklung kein freier Raum gelassen wurde, weil
dieselbe, wo sie hervortrat, sofort von der gouvernementalen Bevormundung in
Empfang genommen und jenen Modificationen unterworfen wurde, welche das
eben herrschende nationalökonomische oder auch politische Princip wünschenswert!)
erscheinen ließ. Dem nationalen Rußland erschienen diese Abänderungen und Be¬
vormundungen als ebenso viele Eingriffe in die natürlichsten Rechte und Eigen-
thümlichkeiten des Volks. Die Starowerzen vertreten nun eben die nationale
Cultur; die sorgfältige Pflege des Bodens, der Viehzucht und der nationalen
Industrie in den Distrikten, wo sie vorherrschen, sind sogar anerkannte Thatsachen,


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[0254] Drohungen entgegenzutreten, daß selbst Nikolaus diese Sonderkirche soweit aner¬ kannte, um derselben vollkommen freie Religionsübung uuter der Bedingung zu¬ zugestehen, daß sie die Weihe ihrer Priester, wenn auch nach altem Ritus, durch Priester der Staatskirche würde vollziehen lassen. Als dennoch die Starowerzen in der Erkenntniß, wie auf solche Weise ihr oberstes Princip, die altkatholische Unabhängigkeit der Kirche vom Staat, bedroht sei, auch dieses Anerbieten zurück¬ wiesen, ließ der Staat diese Frage auf sich beruhe», obgleich die wesentlichen Momente solcher Trennung von der orthodoxen Kirche die Grundpfeiler der hierar¬ chisch-politischen Gouvernemcntalpolitik bedenklich bedrohen. Russische Bemänte¬ lung versichert nun zwar, die altrussische Tracht, einige Abweichungen in der Liturgie u. tgi. seien die Streitpunkte zwischen der Staatskirche und den Noskol- niks. Wer aber in Rußland gelebt hat, weiß, wie diese äußerlichen Fragen der Form längst aufgegeben sind, wie dagegen der oberste Gruudscch des russischen Absolutismus, die Vereinigung des Patriarchats mit der Persönlichkeit des Czaren, den eigentlichen Differenzpunkt bildet. Man hat ferner gesagt, das Starowerzen- thum sei eine Versteiuung des Dogma, feindlich gegen jeden Fortschritt im Kultur¬ leben, erfüllt von herben Vorurtheilen gegen alles Fremde, und ans all diesen Gründen innerlich machtlos. Diese Behauptungen haben vom gouvernementalen russischen Standpunkte aus allerdings mancherlei Wahres. Aber gerade in der Wahrheit der gouvernementalen Behauptungen liegt die nationale Macht jener Seele. Die Versteiuung des Dogma, welche den Czaren als Kirchenoberhaupt desavouirt, raubt ihm jenen göttlichen Nimbus, worauf der Bestand des Absolu¬ tismus gebaut ist, während sie dem Starowerzenthum das Ansehen einer selb¬ ständigen Macht giebt, und in den politische« Consequenzen dieses religiösen Grund¬ satzes ebensogut der politischen Opposition des aristokratischen Altrnssenthums gegen das Hans Romanow begegnet, wie derjenigen Opposition gegen den Absolutismus überhaupt, welche sich aus der Berührung mit dem Auslande entwickelte, oder nichtrnssische politische Begriffe über das Herrscher- und Unterthaneuverhältuiß mit herübernahm in die Abhängigkeit vom russischen Zepter. Die Feindlichkeit gegen jeden Fortschritt im Culturleben und das Vorurtheil gegen alles Fremde fällt unter dem gouvernementalen Gesichtspunkt zusammen, weil eben seit Peter I. der selbständigen nationalen Entwicklung kein freier Raum gelassen wurde, weil dieselbe, wo sie hervortrat, sofort von der gouvernementalen Bevormundung in Empfang genommen und jenen Modificationen unterworfen wurde, welche das eben herrschende nationalökonomische oder auch politische Princip wünschenswert!) erscheinen ließ. Dem nationalen Rußland erschienen diese Abänderungen und Be¬ vormundungen als ebenso viele Eingriffe in die natürlichsten Rechte und Eigen- thümlichkeiten des Volks. Die Starowerzen vertreten nun eben die nationale Cultur; die sorgfältige Pflege des Bodens, der Viehzucht und der nationalen Industrie in den Distrikten, wo sie vorherrschen, sind sogar anerkannte Thatsachen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/254>, abgerufen am 27.07.2024.