Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Von seinen sämmtlichen Werken ist mir nur das eine bekannt, welches Professor
Naumann in München im I. 1847 unter dem Titel veröffentlichte: "Gützlaff's
Geschichte des chinesischen Reichs von den ältesten Zeiten bis eins den Frieden
von' Nanking." Bei unserer sehr- unvollständigen Kenntuiß der chinesischen Ge¬
schichte hat auch dieses Compendium seinen Werth, aber es ist eine unkritische
Arbeit, eine ganz äußerliche Compilation und ohne Geist geschrieben. Von den
eigenthümlichen Culturvcrhältnissen jener uns ganz fremden Welt erfahren wir so
gut als Nichts. Das Ganze sieht aus wie eine christliche Weltgeschichte aus dein
17ten Jahrhundert, die mit Adam beginnt und die Zeit der Griechen und Römer
vollständig ignorirt, weil diese das Licht der göttlichen Erkenntnis) entbehren
mußten.

Die Predigt, welche er zur Empfehlung seines Missionswerkö hielt, machte
ungefähr denselben Eindruck. Es war viel Routine darin, wenig Gedanken und
wenig Inspiration. Man merkte ihm an, daß er das Nämliche schon einige
tausendmal vorgetragen habe. Für diejenigen vollends, die aus dem Vortrag
einige Belehrung über die fremden Sitten, und die An und Weise, wie der euro¬
päische Geist sich denselben verständlich macht, zu schöpfen gehofft hatten, war die
ganze Rede todt. Dennoch war wenigstens Ein wesentlicher Gedanke darin ent¬
halten, und dieser ist es, an den wir unsere Betrachtungen knüpfen.

Der Text war die bekannte Erklärung, daß wir allzumal elende Sünder seien;
und es knüpfte sich daran eine Krcuzpredigt gegen den Nationalismus, welcher
die Menschen in dem falschen und gefährlichen Wahn zu bestärken suche, als könne
er durch eigne Vernunft Gott finden, auf eignen Füßen stehen in dieser Welt des
allgemeinen Schwindels und des Elends. -- In seiner Allgemeinheit geht mich
dieser Satz hier nichts an; in seiner Anwendung aber auf die Expansivkraft des
Christenthums muß ich ihn bestätigen und zwar in doppelter Beziehung: das
Christenthum verliert seinen Trieb, sich auszubreiten, sobald es ans seiner göttlichen
Legitimität heraustritt und sich in die Welt der irdischen Wünsche und Gedanken
verliert, sobald es dem irdischen Verstand und dem irdischen Rechtsgefühl über¬
läßt, sein Denken und Wollen zu bestimmen; und es verliert auch seine Kraft
dazu, denn nur der Apostel des legitimen, historischen Heilands macht sich den
Heiden verständlich.

Woher ist diese Eroberungslust des Christenthums, die in keiner der andern
offenbarten Religionen ihres Gleichen findet, zu erklären? Denn auch der Islam
hat verhältnißmäßig nur sehr kurze Zeit diesen Trieb empfunden, während das
apostolische Amt bei den Christen zu keiner Zeit geruht hat, und noch heute, trotz
des ziemlich allgemein verbreitete" Indifferentismus in religiösen Dingen, seine
Thätigkeit ausübt.

Freilich muß man dabei auch in Anschlag bringen, daß sich in das Misstons¬
werk noch andere, menschlichere Motive gemischt haben, die sich mit religiösen


Von seinen sämmtlichen Werken ist mir nur das eine bekannt, welches Professor
Naumann in München im I. 1847 unter dem Titel veröffentlichte: „Gützlaff's
Geschichte des chinesischen Reichs von den ältesten Zeiten bis eins den Frieden
von' Nanking." Bei unserer sehr- unvollständigen Kenntuiß der chinesischen Ge¬
schichte hat auch dieses Compendium seinen Werth, aber es ist eine unkritische
Arbeit, eine ganz äußerliche Compilation und ohne Geist geschrieben. Von den
eigenthümlichen Culturvcrhältnissen jener uns ganz fremden Welt erfahren wir so
gut als Nichts. Das Ganze sieht aus wie eine christliche Weltgeschichte aus dein
17ten Jahrhundert, die mit Adam beginnt und die Zeit der Griechen und Römer
vollständig ignorirt, weil diese das Licht der göttlichen Erkenntnis) entbehren
mußten.

Die Predigt, welche er zur Empfehlung seines Missionswerkö hielt, machte
ungefähr denselben Eindruck. Es war viel Routine darin, wenig Gedanken und
wenig Inspiration. Man merkte ihm an, daß er das Nämliche schon einige
tausendmal vorgetragen habe. Für diejenigen vollends, die aus dem Vortrag
einige Belehrung über die fremden Sitten, und die An und Weise, wie der euro¬
päische Geist sich denselben verständlich macht, zu schöpfen gehofft hatten, war die
ganze Rede todt. Dennoch war wenigstens Ein wesentlicher Gedanke darin ent¬
halten, und dieser ist es, an den wir unsere Betrachtungen knüpfen.

Der Text war die bekannte Erklärung, daß wir allzumal elende Sünder seien;
und es knüpfte sich daran eine Krcuzpredigt gegen den Nationalismus, welcher
die Menschen in dem falschen und gefährlichen Wahn zu bestärken suche, als könne
er durch eigne Vernunft Gott finden, auf eignen Füßen stehen in dieser Welt des
allgemeinen Schwindels und des Elends. — In seiner Allgemeinheit geht mich
dieser Satz hier nichts an; in seiner Anwendung aber auf die Expansivkraft des
Christenthums muß ich ihn bestätigen und zwar in doppelter Beziehung: das
Christenthum verliert seinen Trieb, sich auszubreiten, sobald es ans seiner göttlichen
Legitimität heraustritt und sich in die Welt der irdischen Wünsche und Gedanken
verliert, sobald es dem irdischen Verstand und dem irdischen Rechtsgefühl über¬
läßt, sein Denken und Wollen zu bestimmen; und es verliert auch seine Kraft
dazu, denn nur der Apostel des legitimen, historischen Heilands macht sich den
Heiden verständlich.

Woher ist diese Eroberungslust des Christenthums, die in keiner der andern
offenbarten Religionen ihres Gleichen findet, zu erklären? Denn auch der Islam
hat verhältnißmäßig nur sehr kurze Zeit diesen Trieb empfunden, während das
apostolische Amt bei den Christen zu keiner Zeit geruht hat, und noch heute, trotz
des ziemlich allgemein verbreitete» Indifferentismus in religiösen Dingen, seine
Thätigkeit ausübt.

Freilich muß man dabei auch in Anschlag bringen, daß sich in das Misstons¬
werk noch andere, menschlichere Motive gemischt haben, die sich mit religiösen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85803"/>
          <p xml:id="ID_722" prev="#ID_721"> Von seinen sämmtlichen Werken ist mir nur das eine bekannt, welches Professor<lb/>
Naumann in München im I. 1847 unter dem Titel veröffentlichte: &#x201E;Gützlaff's<lb/>
Geschichte des chinesischen Reichs von den ältesten Zeiten bis eins den Frieden<lb/>
von' Nanking." Bei unserer sehr- unvollständigen Kenntuiß der chinesischen Ge¬<lb/>
schichte hat auch dieses Compendium seinen Werth, aber es ist eine unkritische<lb/>
Arbeit, eine ganz äußerliche Compilation und ohne Geist geschrieben. Von den<lb/>
eigenthümlichen Culturvcrhältnissen jener uns ganz fremden Welt erfahren wir so<lb/>
gut als Nichts. Das Ganze sieht aus wie eine christliche Weltgeschichte aus dein<lb/>
17ten Jahrhundert, die mit Adam beginnt und die Zeit der Griechen und Römer<lb/>
vollständig ignorirt, weil diese das Licht der göttlichen Erkenntnis) entbehren<lb/>
mußten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_723"> Die Predigt, welche er zur Empfehlung seines Missionswerkö hielt, machte<lb/>
ungefähr denselben Eindruck. Es war viel Routine darin, wenig Gedanken und<lb/>
wenig Inspiration. Man merkte ihm an, daß er das Nämliche schon einige<lb/>
tausendmal vorgetragen habe. Für diejenigen vollends, die aus dem Vortrag<lb/>
einige Belehrung über die fremden Sitten, und die An und Weise, wie der euro¬<lb/>
päische Geist sich denselben verständlich macht, zu schöpfen gehofft hatten, war die<lb/>
ganze Rede todt. Dennoch war wenigstens Ein wesentlicher Gedanke darin ent¬<lb/>
halten, und dieser ist es, an den wir unsere Betrachtungen knüpfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_724"> Der Text war die bekannte Erklärung, daß wir allzumal elende Sünder seien;<lb/>
und es knüpfte sich daran eine Krcuzpredigt gegen den Nationalismus, welcher<lb/>
die Menschen in dem falschen und gefährlichen Wahn zu bestärken suche, als könne<lb/>
er durch eigne Vernunft Gott finden, auf eignen Füßen stehen in dieser Welt des<lb/>
allgemeinen Schwindels und des Elends. &#x2014; In seiner Allgemeinheit geht mich<lb/>
dieser Satz hier nichts an; in seiner Anwendung aber auf die Expansivkraft des<lb/>
Christenthums muß ich ihn bestätigen und zwar in doppelter Beziehung: das<lb/>
Christenthum verliert seinen Trieb, sich auszubreiten, sobald es ans seiner göttlichen<lb/>
Legitimität heraustritt und sich in die Welt der irdischen Wünsche und Gedanken<lb/>
verliert, sobald es dem irdischen Verstand und dem irdischen Rechtsgefühl über¬<lb/>
läßt, sein Denken und Wollen zu bestimmen; und es verliert auch seine Kraft<lb/>
dazu, denn nur der Apostel des legitimen, historischen Heilands macht sich den<lb/>
Heiden verständlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_725"> Woher ist diese Eroberungslust des Christenthums, die in keiner der andern<lb/>
offenbarten Religionen ihres Gleichen findet, zu erklären? Denn auch der Islam<lb/>
hat verhältnißmäßig nur sehr kurze Zeit diesen Trieb empfunden, während das<lb/>
apostolische Amt bei den Christen zu keiner Zeit geruht hat, und noch heute, trotz<lb/>
des ziemlich allgemein verbreitete» Indifferentismus in religiösen Dingen, seine<lb/>
Thätigkeit ausübt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_726" next="#ID_727"> Freilich muß man dabei auch in Anschlag bringen, daß sich in das Misstons¬<lb/>
werk noch andere, menschlichere Motive gemischt haben, die sich mit religiösen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] Von seinen sämmtlichen Werken ist mir nur das eine bekannt, welches Professor Naumann in München im I. 1847 unter dem Titel veröffentlichte: „Gützlaff's Geschichte des chinesischen Reichs von den ältesten Zeiten bis eins den Frieden von' Nanking." Bei unserer sehr- unvollständigen Kenntuiß der chinesischen Ge¬ schichte hat auch dieses Compendium seinen Werth, aber es ist eine unkritische Arbeit, eine ganz äußerliche Compilation und ohne Geist geschrieben. Von den eigenthümlichen Culturvcrhältnissen jener uns ganz fremden Welt erfahren wir so gut als Nichts. Das Ganze sieht aus wie eine christliche Weltgeschichte aus dein 17ten Jahrhundert, die mit Adam beginnt und die Zeit der Griechen und Römer vollständig ignorirt, weil diese das Licht der göttlichen Erkenntnis) entbehren mußten. Die Predigt, welche er zur Empfehlung seines Missionswerkö hielt, machte ungefähr denselben Eindruck. Es war viel Routine darin, wenig Gedanken und wenig Inspiration. Man merkte ihm an, daß er das Nämliche schon einige tausendmal vorgetragen habe. Für diejenigen vollends, die aus dem Vortrag einige Belehrung über die fremden Sitten, und die An und Weise, wie der euro¬ päische Geist sich denselben verständlich macht, zu schöpfen gehofft hatten, war die ganze Rede todt. Dennoch war wenigstens Ein wesentlicher Gedanke darin ent¬ halten, und dieser ist es, an den wir unsere Betrachtungen knüpfen. Der Text war die bekannte Erklärung, daß wir allzumal elende Sünder seien; und es knüpfte sich daran eine Krcuzpredigt gegen den Nationalismus, welcher die Menschen in dem falschen und gefährlichen Wahn zu bestärken suche, als könne er durch eigne Vernunft Gott finden, auf eignen Füßen stehen in dieser Welt des allgemeinen Schwindels und des Elends. — In seiner Allgemeinheit geht mich dieser Satz hier nichts an; in seiner Anwendung aber auf die Expansivkraft des Christenthums muß ich ihn bestätigen und zwar in doppelter Beziehung: das Christenthum verliert seinen Trieb, sich auszubreiten, sobald es ans seiner göttlichen Legitimität heraustritt und sich in die Welt der irdischen Wünsche und Gedanken verliert, sobald es dem irdischen Verstand und dem irdischen Rechtsgefühl über¬ läßt, sein Denken und Wollen zu bestimmen; und es verliert auch seine Kraft dazu, denn nur der Apostel des legitimen, historischen Heilands macht sich den Heiden verständlich. Woher ist diese Eroberungslust des Christenthums, die in keiner der andern offenbarten Religionen ihres Gleichen findet, zu erklären? Denn auch der Islam hat verhältnißmäßig nur sehr kurze Zeit diesen Trieb empfunden, während das apostolische Amt bei den Christen zu keiner Zeit geruht hat, und noch heute, trotz des ziemlich allgemein verbreitete» Indifferentismus in religiösen Dingen, seine Thätigkeit ausübt. Freilich muß man dabei auch in Anschlag bringen, daß sich in das Misstons¬ werk noch andere, menschlichere Motive gemischt haben, die sich mit religiösen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/220>, abgerufen am 27.07.2024.