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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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lische Eigenschaft. Sie entspringt aus dem Gefühl, Mitglied eines mächtigen,
großen Volkes zu sein, dessen Regierung ans dem Vertrauen des Volkes wurzelt
und Leben und Wohlfahrt der einzelnen Bürger für gleichbedeutend mit des Lan¬
des Wohlfahrt erachtet. Sie entspringt aus einer männlichen Sittlichkeit des Volkes,
wie des Einzelnen, welche nie verkümmert wird durch alle die unzähligen kleinen
lächerlichen Tyranneien und Bevormundungen, welche anderswo den einzelnen
von der Wiege bis zum Grabe umgeben, und welche uicht getödtet wird durch
die Auflösung aller staatlichen Rechtsbegriffe, durch Ehrlosigkeit, Willkür, Man¬
gel an Treue und Maugel an gesundem Menschenverstand in der Regierung.
Dieselbe englische Regierung, welche so unwiderstehlich energisch gegen das Ausland
auftritt, ist so bescheiden und ängstlich gegen ihr eigenes Volk, so peinlich beflissen,
seine Rechte zu wahren. Ein befreundeter Gesandter wird von einer Zuhörertribüne
heruntergewiescn, die Minister müssen es geschehen lassen, weil ein altes Her¬
kommen zu ehren ist, sie dürfen ihm auch für die Zukunft nicht einmal einen
Sitz zutheilen, sondern müssen beim Oberhaus den Antrag stellen, daß dasselbe
den Gesandten Sitzplätze erlaube. Es gibt dagegen andere Regierungen, welche
höchst unselbstständig, höchst kriechend gegen fremde Mächte sind, und wieder
sehr dreist und unternehmend gegen das eigne Volk, uicht in Anweisung von
Sitzplätzen, sondern in übermüthiger Disposition über seine Rechte und sein Eigen-
thum; ja es gibt Staaten, wo verurtheilte Fälscher auf dem Miuisterstuhl sitzen,
trotz dem Zorn des Volkes, welches diese freche Verhöhnung aller Sitte als eine
tiefe Kränkung seiner Ehre empfindet. -- Man wundert sich, daß es in Europa
ein Volk gibt, ein großes Volk von edler Anlage, dessen Söhne in der Fremde
so schnell als möglich das Kleid fremder Völker anziehen. In England werden
sie Engländer, in Frankreich Franzosen, in Belgien werden sie Belgier, in Ungarn
Magyaren, in Krakau Polen, ja in Rußland sogar Russen. Es ist ihnen kein
Vorwurf daraus zu machen. Wo auch der Engländer in der Fremde lebt, die
politische Ehre seiner Nation begleitet ihn, das Vertrauen darauf sitzt tief in seiner
Seele, sie heiligt und weiht auch sein einsames, mühevolles Leben an den
Grenzen der bewohnten Erde; der Sohn jenes andern Volkes hat zwar sein
Ehrgefühl als Privatmensch; der Mantel politischer Ehre aber, welcher ihm in seiner
Geburt umhangen wurde / ist so fadenscheinig, durchlöchert und beschmutzt, daß er
sich seiner schämt; er weiß uicht übermäßig viel Großes, Ehrenvolles und Männ¬
liches vom Staatsleben seiner Heimath; keine Festigkeit der Gesetze und des Rechtes,
überall Willkür; er weiß die Majestät der souveraine herabgewürdigt zum Executor
und Büttel einer ungeschickten Partei, er weiß die Völker entsittlicht, verwirrt,
zänkisch und kleinmüthig. Wie soll er ein starkes, schönes Selbstgefühl, Stolz
auf sein Vaterland in der Fremde bewahren, während bei ihm zu Hanse diese
Tugenden so selten sind?




lische Eigenschaft. Sie entspringt aus dem Gefühl, Mitglied eines mächtigen,
großen Volkes zu sein, dessen Regierung ans dem Vertrauen des Volkes wurzelt
und Leben und Wohlfahrt der einzelnen Bürger für gleichbedeutend mit des Lan¬
des Wohlfahrt erachtet. Sie entspringt aus einer männlichen Sittlichkeit des Volkes,
wie des Einzelnen, welche nie verkümmert wird durch alle die unzähligen kleinen
lächerlichen Tyranneien und Bevormundungen, welche anderswo den einzelnen
von der Wiege bis zum Grabe umgeben, und welche uicht getödtet wird durch
die Auflösung aller staatlichen Rechtsbegriffe, durch Ehrlosigkeit, Willkür, Man¬
gel an Treue und Maugel an gesundem Menschenverstand in der Regierung.
Dieselbe englische Regierung, welche so unwiderstehlich energisch gegen das Ausland
auftritt, ist so bescheiden und ängstlich gegen ihr eigenes Volk, so peinlich beflissen,
seine Rechte zu wahren. Ein befreundeter Gesandter wird von einer Zuhörertribüne
heruntergewiescn, die Minister müssen es geschehen lassen, weil ein altes Her¬
kommen zu ehren ist, sie dürfen ihm auch für die Zukunft nicht einmal einen
Sitz zutheilen, sondern müssen beim Oberhaus den Antrag stellen, daß dasselbe
den Gesandten Sitzplätze erlaube. Es gibt dagegen andere Regierungen, welche
höchst unselbstständig, höchst kriechend gegen fremde Mächte sind, und wieder
sehr dreist und unternehmend gegen das eigne Volk, uicht in Anweisung von
Sitzplätzen, sondern in übermüthiger Disposition über seine Rechte und sein Eigen-
thum; ja es gibt Staaten, wo verurtheilte Fälscher auf dem Miuisterstuhl sitzen,
trotz dem Zorn des Volkes, welches diese freche Verhöhnung aller Sitte als eine
tiefe Kränkung seiner Ehre empfindet. — Man wundert sich, daß es in Europa
ein Volk gibt, ein großes Volk von edler Anlage, dessen Söhne in der Fremde
so schnell als möglich das Kleid fremder Völker anziehen. In England werden
sie Engländer, in Frankreich Franzosen, in Belgien werden sie Belgier, in Ungarn
Magyaren, in Krakau Polen, ja in Rußland sogar Russen. Es ist ihnen kein
Vorwurf daraus zu machen. Wo auch der Engländer in der Fremde lebt, die
politische Ehre seiner Nation begleitet ihn, das Vertrauen darauf sitzt tief in seiner
Seele, sie heiligt und weiht auch sein einsames, mühevolles Leben an den
Grenzen der bewohnten Erde; der Sohn jenes andern Volkes hat zwar sein
Ehrgefühl als Privatmensch; der Mantel politischer Ehre aber, welcher ihm in seiner
Geburt umhangen wurde / ist so fadenscheinig, durchlöchert und beschmutzt, daß er
sich seiner schämt; er weiß uicht übermäßig viel Großes, Ehrenvolles und Männ¬
liches vom Staatsleben seiner Heimath; keine Festigkeit der Gesetze und des Rechtes,
überall Willkür; er weiß die Majestät der souveraine herabgewürdigt zum Executor
und Büttel einer ungeschickten Partei, er weiß die Völker entsittlicht, verwirrt,
zänkisch und kleinmüthig. Wie soll er ein starkes, schönes Selbstgefühl, Stolz
auf sein Vaterland in der Fremde bewahren, während bei ihm zu Hanse diese
Tugenden so selten sind?




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/20>, abgerufen am 27.07.2024.