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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Eingang in demselben so gut wie ausgeschlossen und kann so gar uichtvcrwerthct werden,
während die Theuerung der Lebensmittel in Tyrol zunimmt, fällt der Wein fort¬
während im Preise, da man nicht weiß, wo mau damit hin soll, viele Berge aber,
die Weinstöcke tragen, zu nichts Anderem benutzt werden können. Ebenso können
manche Erzeugnisse des Tyroler Gewerbfleißes, besonders Handschuhe, Teppiche,
Holzschnitzereien u. s. w. schwer in den Zollverein, dessen Gebiet ihnen früher
einen großen Markt gab, abgesetzt werden, umgekehrt aber bedarf Tyrol eiuen be¬
deutenden Theil seines nöthigen Getreides a"S Baiern und muß hierfür an der
östreichischen Manthlinie nicht geringen EingaugSzvll zahlen. Ebenso wird aus
den bairischen Gebirgen auch viel Jungvieh eingeführt, das auch Zoll bezahle"
muß. Durch diese Abgaben aber, die grade die unentbehrlichsten Lebensmittel ver¬
teuern, wird das arme, so schon so gedrückte Volk ungemein erbittert, und seine
früher fast sprüchwörtlich gewordene Anhänglichkeit an das östreichische Kaiserhaus
hat hierdurch und durch manches Andere, schon so arge Stöße erhalten, daß kaum
ein Schatten noch davon besteht. "Was haben wir 1809 für einen sakrisch dummen
Streich gemacht, daß wir gegen die Baiern fochten" oder "Wären, wir doch
bairisch, da gibts am Alltag mehr Schmalz wie bei uns am Sonntag," solche
Redensarten kaun man in jedem Tyroler Wirthshaus von Alt und Jung in
Menge vernehmen. Kein Stutzen würde sich rühren, wollte hente Baiern oder ganz
Deutschland Tyrol erwerben, im Gegentheil das Landvolk würde über solche Verände¬
rung jubeln. Gegen die Italiener hat man 1848 einige Freicompagnicu gebildet,
weil hier ein alter Haß gegen die Welschen besteht. In den Kreisen des Land¬
volkes Hort man äußerst selten auch uur ein einziges Wort der Anhänglichkeit an das
Kaiserhaus mehr und der Erzherzog Johann ist das einzige Mitglied desselben, das
Popularität genießt. Man muß sich nur uicht durch feierliche Auszüge vou Schützen-
compagnien und ähnliche Sachen, wie sie bei Anwesenheit des Kaisers in Ins-
bruck und anderen Orten zu geschehen Pflegen, täuschen lassen. Das Volk benutzt
solche Gelegenheiten als öffentliches Schauspiel, will sich dabei vergnügen, auch
wohl einen guten freien Trunk erhaschen und jubelt, und bringt lärmende Lebehochs
dafür so viel man verlangt, ohne sich sonst grade weiter viel dabei zu denken oder
gar deshalb große wahre Anhänglichkeit an die eben so empfangene Persönlichkeit
zu besitzen. So überall, so auch hier in Tyrol.

Z" diese" Uebelständen kommt noch der Mangel an baarem Geld und die
furchtbar gesteigerte Last der Einquartierung. Von dem Mangel an baarer
Münze und der heillosen Wirthschaft, die hier mit dem Papiergeld herrscht, kau"
ma" sich anderswo kaum einen Begriff macheu. Mau kauu wochenlang in Tyrol
reise", ohne nur ein Geldstück zu Gesicht zu bekommen, nichts wie Papiergeld in
allen möglichen Gestalten, Farbe" und Werthbestimmungen. Jeder Hausknecht,
jede Kellnerin, ist gezwungen stets eine Brieftasche bei sich zu tragen, um die
Menge von Papierfetzen, die oft nur 6 -- 3 Kreuzer bedeuten sollen, auszube-


Eingang in demselben so gut wie ausgeschlossen und kann so gar uichtvcrwerthct werden,
während die Theuerung der Lebensmittel in Tyrol zunimmt, fällt der Wein fort¬
während im Preise, da man nicht weiß, wo mau damit hin soll, viele Berge aber,
die Weinstöcke tragen, zu nichts Anderem benutzt werden können. Ebenso können
manche Erzeugnisse des Tyroler Gewerbfleißes, besonders Handschuhe, Teppiche,
Holzschnitzereien u. s. w. schwer in den Zollverein, dessen Gebiet ihnen früher
einen großen Markt gab, abgesetzt werden, umgekehrt aber bedarf Tyrol eiuen be¬
deutenden Theil seines nöthigen Getreides a»S Baiern und muß hierfür an der
östreichischen Manthlinie nicht geringen EingaugSzvll zahlen. Ebenso wird aus
den bairischen Gebirgen auch viel Jungvieh eingeführt, das auch Zoll bezahle»
muß. Durch diese Abgaben aber, die grade die unentbehrlichsten Lebensmittel ver¬
teuern, wird das arme, so schon so gedrückte Volk ungemein erbittert, und seine
früher fast sprüchwörtlich gewordene Anhänglichkeit an das östreichische Kaiserhaus
hat hierdurch und durch manches Andere, schon so arge Stöße erhalten, daß kaum
ein Schatten noch davon besteht. „Was haben wir 1809 für einen sakrisch dummen
Streich gemacht, daß wir gegen die Baiern fochten" oder „Wären, wir doch
bairisch, da gibts am Alltag mehr Schmalz wie bei uns am Sonntag," solche
Redensarten kaun man in jedem Tyroler Wirthshaus von Alt und Jung in
Menge vernehmen. Kein Stutzen würde sich rühren, wollte hente Baiern oder ganz
Deutschland Tyrol erwerben, im Gegentheil das Landvolk würde über solche Verände¬
rung jubeln. Gegen die Italiener hat man 1848 einige Freicompagnicu gebildet,
weil hier ein alter Haß gegen die Welschen besteht. In den Kreisen des Land¬
volkes Hort man äußerst selten auch uur ein einziges Wort der Anhänglichkeit an das
Kaiserhaus mehr und der Erzherzog Johann ist das einzige Mitglied desselben, das
Popularität genießt. Man muß sich nur uicht durch feierliche Auszüge vou Schützen-
compagnien und ähnliche Sachen, wie sie bei Anwesenheit des Kaisers in Ins-
bruck und anderen Orten zu geschehen Pflegen, täuschen lassen. Das Volk benutzt
solche Gelegenheiten als öffentliches Schauspiel, will sich dabei vergnügen, auch
wohl einen guten freien Trunk erhaschen und jubelt, und bringt lärmende Lebehochs
dafür so viel man verlangt, ohne sich sonst grade weiter viel dabei zu denken oder
gar deshalb große wahre Anhänglichkeit an die eben so empfangene Persönlichkeit
zu besitzen. So überall, so auch hier in Tyrol.

Z» diese» Uebelständen kommt noch der Mangel an baarem Geld und die
furchtbar gesteigerte Last der Einquartierung. Von dem Mangel an baarer
Münze und der heillosen Wirthschaft, die hier mit dem Papiergeld herrscht, kau»
ma» sich anderswo kaum einen Begriff macheu. Mau kauu wochenlang in Tyrol
reise», ohne nur ein Geldstück zu Gesicht zu bekommen, nichts wie Papiergeld in
allen möglichen Gestalten, Farbe» und Werthbestimmungen. Jeder Hausknecht,
jede Kellnerin, ist gezwungen stets eine Brieftasche bei sich zu tragen, um die
Menge von Papierfetzen, die oft nur 6 — 3 Kreuzer bedeuten sollen, auszube-


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[0194] Eingang in demselben so gut wie ausgeschlossen und kann so gar uichtvcrwerthct werden, während die Theuerung der Lebensmittel in Tyrol zunimmt, fällt der Wein fort¬ während im Preise, da man nicht weiß, wo mau damit hin soll, viele Berge aber, die Weinstöcke tragen, zu nichts Anderem benutzt werden können. Ebenso können manche Erzeugnisse des Tyroler Gewerbfleißes, besonders Handschuhe, Teppiche, Holzschnitzereien u. s. w. schwer in den Zollverein, dessen Gebiet ihnen früher einen großen Markt gab, abgesetzt werden, umgekehrt aber bedarf Tyrol eiuen be¬ deutenden Theil seines nöthigen Getreides a»S Baiern und muß hierfür an der östreichischen Manthlinie nicht geringen EingaugSzvll zahlen. Ebenso wird aus den bairischen Gebirgen auch viel Jungvieh eingeführt, das auch Zoll bezahle» muß. Durch diese Abgaben aber, die grade die unentbehrlichsten Lebensmittel ver¬ teuern, wird das arme, so schon so gedrückte Volk ungemein erbittert, und seine früher fast sprüchwörtlich gewordene Anhänglichkeit an das östreichische Kaiserhaus hat hierdurch und durch manches Andere, schon so arge Stöße erhalten, daß kaum ein Schatten noch davon besteht. „Was haben wir 1809 für einen sakrisch dummen Streich gemacht, daß wir gegen die Baiern fochten" oder „Wären, wir doch bairisch, da gibts am Alltag mehr Schmalz wie bei uns am Sonntag," solche Redensarten kaun man in jedem Tyroler Wirthshaus von Alt und Jung in Menge vernehmen. Kein Stutzen würde sich rühren, wollte hente Baiern oder ganz Deutschland Tyrol erwerben, im Gegentheil das Landvolk würde über solche Verände¬ rung jubeln. Gegen die Italiener hat man 1848 einige Freicompagnicu gebildet, weil hier ein alter Haß gegen die Welschen besteht. In den Kreisen des Land¬ volkes Hort man äußerst selten auch uur ein einziges Wort der Anhänglichkeit an das Kaiserhaus mehr und der Erzherzog Johann ist das einzige Mitglied desselben, das Popularität genießt. Man muß sich nur uicht durch feierliche Auszüge vou Schützen- compagnien und ähnliche Sachen, wie sie bei Anwesenheit des Kaisers in Ins- bruck und anderen Orten zu geschehen Pflegen, täuschen lassen. Das Volk benutzt solche Gelegenheiten als öffentliches Schauspiel, will sich dabei vergnügen, auch wohl einen guten freien Trunk erhaschen und jubelt, und bringt lärmende Lebehochs dafür so viel man verlangt, ohne sich sonst grade weiter viel dabei zu denken oder gar deshalb große wahre Anhänglichkeit an die eben so empfangene Persönlichkeit zu besitzen. So überall, so auch hier in Tyrol. Z» diese» Uebelständen kommt noch der Mangel an baarem Geld und die furchtbar gesteigerte Last der Einquartierung. Von dem Mangel an baarer Münze und der heillosen Wirthschaft, die hier mit dem Papiergeld herrscht, kau» ma» sich anderswo kaum einen Begriff macheu. Mau kauu wochenlang in Tyrol reise», ohne nur ein Geldstück zu Gesicht zu bekommen, nichts wie Papiergeld in allen möglichen Gestalten, Farbe» und Werthbestimmungen. Jeder Hausknecht, jede Kellnerin, ist gezwungen stets eine Brieftasche bei sich zu tragen, um die Menge von Papierfetzen, die oft nur 6 — 3 Kreuzer bedeuten sollen, auszube-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/194>, abgerufen am 01.09.2024.