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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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mäßige Herrschaft, welche sich die Geistlichkeit in den letzten 10 Jahren zu ver-
schaffen gewußt hat. Man glaubt sich in die finstersten Zeiten des Mittelalters
zurückverseht, hört man aus glaubwürdigen Munde verschiedene Züge der Herrsch¬
sucht und Unduldsamkeit erzählen, die hohe wie niedere Geistliche sich in immer
steigendem Maß herausnehmen. So sind z. B. Köchinnen und Wirthinnen in
Gasthöfen aus dem Lande von ihren Ortspfarrern mit harten Kirchenstrafen be¬
legt worden, weil sie ftemdcu Reisenden an Freitagen Fleischspeisen bereitet hatten.
Ein junges Mädchen, die mit einem achtbaren Protestanten verlobt war, ist so mit
der Strafe der ewigen Verdammniß für diese Frevelthat geängstigt worden, daß
sie den Verstand darüber verloren; eine Frau, die an einen aufgeklärt denkenden
Mann verheirathet war, mußte sich ans Andringen der Geistlichkeit von diesem
Manne und für die Sünde, 3 Kinder mit ihm erzeugt zu haben, sich in ein
Kloster zurückgehen. In gar vielen Familien ist der Friede dnrch diese herrsch¬
süchtige Geistlichkeit für immer vernichtet worden. Da es dieser nämlich schwer
gelingen will, sich unbedingten Einfluß auf die Männer zu verschaffen, obgleich
auch dieser, wenn es so fortgeht, allmälig nicht ausbleiben wird, so sucht sie be¬
sonders das weibliche Geschlecht, das sich leichter einschüchtern oder durch Phan¬
tasiegebilde gewinnen läßt, von sich abhängig zu machen. Was der Geist¬
liche befiehlt, muß unbedingt geschehen, alle Häuslichkeit, jegliche Pflicht der Gat¬
tin und Mutter ihm gänzlich geopfert werden, dann warten der Folgsamen himm¬
lische Freuden im ewigen Leben, wo nicht, alle Qualen der Verdammniß. Mag
das Hauswesen auch ganz darüber zu Grunde gehen, die Wirthschaft vernachlässigt
werden, die unbeaufsichtigter Kinder sich bettelnd ans der Straße umhertreiben,
eine fromme der Geistlichkeit gehorsame Tyrolcriu muß täglich so und so viel Stunden
die Messe hören oder den Rosenkranz beten und manchen Tag im Jahre beim
Wallfahrer auf der Landstraße zubringen. Auch deu Männern, werden ähn¬
liche Pflichten aufgelegt, und viele Fuder Korn oder Heu gehen alljähr¬
lich durch Regen verloren, da während der Ernte Wallfahrtstage oder neu¬
geschaffene Festtage selbst von der dringendsten Arbeit abhalten, von Ver¬
besserungen und Neuerungen in den Gewerben und im Ackerbau, suchen viele
Geistliche aber uach Kräften abzuhalten, da dadurch das Denken befördert wird,
um diese als Fortschritt der Zeit, bei dem der Teufel seine Hand habe, zu ver¬
hindern. So wollte ein nachdenkender Bauer, der viele kalte und nasse Felder
hatte, sich aus Anrathen eines Engländers, der bei ihm einige Wochen der Forellen¬
fischerei wegen gewohnt Harle, Röhren von Thon > zum Aufsaugen der Wässer,
in die Aecker legen, wie man dies in England, Belgien und einigen Theilen von
Deutschland schon seit längerer Zeit mit unendlichem Vortheil angewandt hat.
Der Ortsgeistliche wußte aber die ganze Nachbarschaft und selbst die Familie des
Bauern dagegen einzunehmen, indem er verkündete, solche Neuerung sei ein Werk
des Teufels, da Gott die Felder schon von selbst trocken gemacht haben würde,


mäßige Herrschaft, welche sich die Geistlichkeit in den letzten 10 Jahren zu ver-
schaffen gewußt hat. Man glaubt sich in die finstersten Zeiten des Mittelalters
zurückverseht, hört man aus glaubwürdigen Munde verschiedene Züge der Herrsch¬
sucht und Unduldsamkeit erzählen, die hohe wie niedere Geistliche sich in immer
steigendem Maß herausnehmen. So sind z. B. Köchinnen und Wirthinnen in
Gasthöfen aus dem Lande von ihren Ortspfarrern mit harten Kirchenstrafen be¬
legt worden, weil sie ftemdcu Reisenden an Freitagen Fleischspeisen bereitet hatten.
Ein junges Mädchen, die mit einem achtbaren Protestanten verlobt war, ist so mit
der Strafe der ewigen Verdammniß für diese Frevelthat geängstigt worden, daß
sie den Verstand darüber verloren; eine Frau, die an einen aufgeklärt denkenden
Mann verheirathet war, mußte sich ans Andringen der Geistlichkeit von diesem
Manne und für die Sünde, 3 Kinder mit ihm erzeugt zu haben, sich in ein
Kloster zurückgehen. In gar vielen Familien ist der Friede dnrch diese herrsch¬
süchtige Geistlichkeit für immer vernichtet worden. Da es dieser nämlich schwer
gelingen will, sich unbedingten Einfluß auf die Männer zu verschaffen, obgleich
auch dieser, wenn es so fortgeht, allmälig nicht ausbleiben wird, so sucht sie be¬
sonders das weibliche Geschlecht, das sich leichter einschüchtern oder durch Phan¬
tasiegebilde gewinnen läßt, von sich abhängig zu machen. Was der Geist¬
liche befiehlt, muß unbedingt geschehen, alle Häuslichkeit, jegliche Pflicht der Gat¬
tin und Mutter ihm gänzlich geopfert werden, dann warten der Folgsamen himm¬
lische Freuden im ewigen Leben, wo nicht, alle Qualen der Verdammniß. Mag
das Hauswesen auch ganz darüber zu Grunde gehen, die Wirthschaft vernachlässigt
werden, die unbeaufsichtigter Kinder sich bettelnd ans der Straße umhertreiben,
eine fromme der Geistlichkeit gehorsame Tyrolcriu muß täglich so und so viel Stunden
die Messe hören oder den Rosenkranz beten und manchen Tag im Jahre beim
Wallfahrer auf der Landstraße zubringen. Auch deu Männern, werden ähn¬
liche Pflichten aufgelegt, und viele Fuder Korn oder Heu gehen alljähr¬
lich durch Regen verloren, da während der Ernte Wallfahrtstage oder neu¬
geschaffene Festtage selbst von der dringendsten Arbeit abhalten, von Ver¬
besserungen und Neuerungen in den Gewerben und im Ackerbau, suchen viele
Geistliche aber uach Kräften abzuhalten, da dadurch das Denken befördert wird,
um diese als Fortschritt der Zeit, bei dem der Teufel seine Hand habe, zu ver¬
hindern. So wollte ein nachdenkender Bauer, der viele kalte und nasse Felder
hatte, sich aus Anrathen eines Engländers, der bei ihm einige Wochen der Forellen¬
fischerei wegen gewohnt Harle, Röhren von Thon > zum Aufsaugen der Wässer,
in die Aecker legen, wie man dies in England, Belgien und einigen Theilen von
Deutschland schon seit längerer Zeit mit unendlichem Vortheil angewandt hat.
Der Ortsgeistliche wußte aber die ganze Nachbarschaft und selbst die Familie des
Bauern dagegen einzunehmen, indem er verkündete, solche Neuerung sei ein Werk
des Teufels, da Gott die Felder schon von selbst trocken gemacht haben würde,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/192>, abgerufen am 27.07.2024.