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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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übermüthige Reden wechselnd, Niemand hätte geahnt, daß sie drei Nächte nicht
geschlafen und heute nicht einmal Zeit gefunden hatten, sich zum Mittagsessen
niederzusetzen: lauter frische und muntere Gesichter, dal'el manch junges, Blut, das
aussah, als könnt' es nicht zwei zählen. Ich fragte einen schüchternen sanftblon¬
den Schiffsjungen von 16 Jahren, ob er großes Herzpochen gehabt. -- Anfangs
wohl, denn ich kam das erste Mal dazu, aber, wie wir drei waren und ich bei
der hintern Bombenkanone half, hätte ich gern noch 2-4 Stunden fortfeneru
mögen. -- Ja, ja, Schad', daß der Witz so bald ans war! rief der Zimmer¬
mann, ein lustiger Knirps, dessen rothes Gesicht durch einen weißen Ziegenbart
noch drolliger wurde, nud spielte mit dem Lauf seiner Jagdflinte, die er aus
dem Sand gegraben; der Kolben war verkohlt. -- In diesem Augenblick zeigte
sich die Corvette wieder näher. Ans baldiges Wiedersehen, Herr Dän! lachte
er und schwang seinen Hut grüßend über'in Kopf. -- Gott gab es, meine Jun¬
gen! sagte Commandeur Lange, der eben aus einem Kahn stieg, um die Ber-
gnngsarbeit zu besichtigen, mit melancholischer Stimme. Mit verschränkten Annen
stand er und sah das Wrack an; dann sagte er, zu mir gewandt und traurig
lächelnd: Mein Haus ist abgebrannt. Seltsam kommt es mir vor, daß ich
Abends nicht mehr nach dem Hafen gehn soll. -- Wo logiren Sie, Herr Com-
mandeur? -- In einem Wirthshaus! antwortete er schwermüthig. Ich fürchte,
ich werde heute schlecht schlafen! -- Guten Abend!




Zustände in de"" deutschen Alpen.
I. Tyrol.

Wie wunderschön ist das Land, wie gesund und kräftig der Menschenstamm
der es bewohnt! -- doch wahrlich, das Herz muß uns hinten, schaut man von
der Höhe eines jener unzähligen Berge, die überall ihr'Haupt in die Wolken
erheben, auf die lachende Landschaft herab, die in unabsehbarer Ferne sich zu un¬
fern Füßen hinbreitet, und erwägt wie glücklich die Menschen sein konnten, denen
hier ihr Wohnsitz beschieden, wie geplagt und gedrückt sie in Wirklichkeit sind.
Es ist ein gewaltiger Unterschied, kommt man aus den bairischen Hochalpen über
die Tyrvlergrenze, und noch viel großer erscheint er, verläßt man das Gebiet der
freien Schweiz, um von ihr in den Kaiserstaat einzutreten.

Verschiedene Uebel sind es, die wie ein tiefer Krebsschaden an allen
inneren Verhältnissen von Tyrol nagen und immer mehr und mehr dasselbe dem
gänzlichen Verderben zuzuführen drohen. Das erste und wichtigste ist. die über-


übermüthige Reden wechselnd, Niemand hätte geahnt, daß sie drei Nächte nicht
geschlafen und heute nicht einmal Zeit gefunden hatten, sich zum Mittagsessen
niederzusetzen: lauter frische und muntere Gesichter, dal'el manch junges, Blut, das
aussah, als könnt' es nicht zwei zählen. Ich fragte einen schüchternen sanftblon¬
den Schiffsjungen von 16 Jahren, ob er großes Herzpochen gehabt. — Anfangs
wohl, denn ich kam das erste Mal dazu, aber, wie wir drei waren und ich bei
der hintern Bombenkanone half, hätte ich gern noch 2-4 Stunden fortfeneru
mögen. — Ja, ja, Schad', daß der Witz so bald ans war! rief der Zimmer¬
mann, ein lustiger Knirps, dessen rothes Gesicht durch einen weißen Ziegenbart
noch drolliger wurde, nud spielte mit dem Lauf seiner Jagdflinte, die er aus
dem Sand gegraben; der Kolben war verkohlt. — In diesem Augenblick zeigte
sich die Corvette wieder näher. Ans baldiges Wiedersehen, Herr Dän! lachte
er und schwang seinen Hut grüßend über'in Kopf. — Gott gab es, meine Jun¬
gen! sagte Commandeur Lange, der eben aus einem Kahn stieg, um die Ber-
gnngsarbeit zu besichtigen, mit melancholischer Stimme. Mit verschränkten Annen
stand er und sah das Wrack an; dann sagte er, zu mir gewandt und traurig
lächelnd: Mein Haus ist abgebrannt. Seltsam kommt es mir vor, daß ich
Abends nicht mehr nach dem Hafen gehn soll. — Wo logiren Sie, Herr Com-
mandeur? — In einem Wirthshaus! antwortete er schwermüthig. Ich fürchte,
ich werde heute schlecht schlafen! — Guten Abend!




Zustände in de»» deutschen Alpen.
I. Tyrol.

Wie wunderschön ist das Land, wie gesund und kräftig der Menschenstamm
der es bewohnt! — doch wahrlich, das Herz muß uns hinten, schaut man von
der Höhe eines jener unzähligen Berge, die überall ihr'Haupt in die Wolken
erheben, auf die lachende Landschaft herab, die in unabsehbarer Ferne sich zu un¬
fern Füßen hinbreitet, und erwägt wie glücklich die Menschen sein konnten, denen
hier ihr Wohnsitz beschieden, wie geplagt und gedrückt sie in Wirklichkeit sind.
Es ist ein gewaltiger Unterschied, kommt man aus den bairischen Hochalpen über
die Tyrvlergrenze, und noch viel großer erscheint er, verläßt man das Gebiet der
freien Schweiz, um von ihr in den Kaiserstaat einzutreten.

Verschiedene Uebel sind es, die wie ein tiefer Krebsschaden an allen
inneren Verhältnissen von Tyrol nagen und immer mehr und mehr dasselbe dem
gänzlichen Verderben zuzuführen drohen. Das erste und wichtigste ist. die über-


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[0191] übermüthige Reden wechselnd, Niemand hätte geahnt, daß sie drei Nächte nicht geschlafen und heute nicht einmal Zeit gefunden hatten, sich zum Mittagsessen niederzusetzen: lauter frische und muntere Gesichter, dal'el manch junges, Blut, das aussah, als könnt' es nicht zwei zählen. Ich fragte einen schüchternen sanftblon¬ den Schiffsjungen von 16 Jahren, ob er großes Herzpochen gehabt. — Anfangs wohl, denn ich kam das erste Mal dazu, aber, wie wir drei waren und ich bei der hintern Bombenkanone half, hätte ich gern noch 2-4 Stunden fortfeneru mögen. — Ja, ja, Schad', daß der Witz so bald ans war! rief der Zimmer¬ mann, ein lustiger Knirps, dessen rothes Gesicht durch einen weißen Ziegenbart noch drolliger wurde, nud spielte mit dem Lauf seiner Jagdflinte, die er aus dem Sand gegraben; der Kolben war verkohlt. — In diesem Augenblick zeigte sich die Corvette wieder näher. Ans baldiges Wiedersehen, Herr Dän! lachte er und schwang seinen Hut grüßend über'in Kopf. — Gott gab es, meine Jun¬ gen! sagte Commandeur Lange, der eben aus einem Kahn stieg, um die Ber- gnngsarbeit zu besichtigen, mit melancholischer Stimme. Mit verschränkten Annen stand er und sah das Wrack an; dann sagte er, zu mir gewandt und traurig lächelnd: Mein Haus ist abgebrannt. Seltsam kommt es mir vor, daß ich Abends nicht mehr nach dem Hafen gehn soll. — Wo logiren Sie, Herr Com- mandeur? — In einem Wirthshaus! antwortete er schwermüthig. Ich fürchte, ich werde heute schlecht schlafen! — Guten Abend! Zustände in de»» deutschen Alpen. I. Tyrol. Wie wunderschön ist das Land, wie gesund und kräftig der Menschenstamm der es bewohnt! — doch wahrlich, das Herz muß uns hinten, schaut man von der Höhe eines jener unzähligen Berge, die überall ihr'Haupt in die Wolken erheben, auf die lachende Landschaft herab, die in unabsehbarer Ferne sich zu un¬ fern Füßen hinbreitet, und erwägt wie glücklich die Menschen sein konnten, denen hier ihr Wohnsitz beschieden, wie geplagt und gedrückt sie in Wirklichkeit sind. Es ist ein gewaltiger Unterschied, kommt man aus den bairischen Hochalpen über die Tyrvlergrenze, und noch viel großer erscheint er, verläßt man das Gebiet der freien Schweiz, um von ihr in den Kaiserstaat einzutreten. Verschiedene Uebel sind es, die wie ein tiefer Krebsschaden an allen inneren Verhältnissen von Tyrol nagen und immer mehr und mehr dasselbe dem gänzlichen Verderben zuzuführen drohen. Das erste und wichtigste ist. die über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/191>, abgerufen am 27.07.2024.