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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Prisen frei zu geben, sondern in See zu stechen; er könne ihn uicht über Nacht
im Gewässer Lübecks lassen.") Lange ließ daher sagen, er müsse nach Hans
und werde sich um jeden Preis durchschlagen. Sie können sich denke", mit wel¬
cher Angst wir uach dem Hafen eilten; es ging dem wackern Kriegsboot ein's
Leben. Eine Anzahl Bürger wachte in den Schanzen, um den paar Artilleristen
im Nothfall als Handlanger, Boten oder Signallräger behülflich zu sein; ein
anderer Haufe begab sich mit Büchsen an der Seite nach dem Badehaus. Ein
Stein siel uns vom Herzen, als die Windstille des lieblichen Abends auch die
kleinsten Furchen des Seespiegels hinwcgglattetc. Vom Geyser war keine Spur
zu sehen, also mochte Lange die Corvette in gehöriger Entfernung umfahren; sie
mußte mit gerefften Segeln zusehen, wie er nach dem Schutz der Schanzen zu¬
eilte, und konnte ihn nicht jagen. Doch war's ein langer, langer Abend. End¬
lich kurz vor Mitternacht, bei halber Mondhelle, winkte ein fernes Laternenlicht
den Schanzen zu, -- das war er, eben hatte er um einen Küsteuvorsprung ge¬
bogen, unser kleiner, schlanker Dampfer mit seinen drei Bootmastcn. Mit ver¬
haltenem Athem beobachteten wir seinen langsamen Lauf und ahnten uicht, daß
der Verfolger ihm anflanerte. Der Geyser hatte sich ihm von Travemünde ans
nnter dem Schutz der Küstenwindnngen nachgeschlichen und suchte ihn. zwischen
sein und der Korvette Feuer zu bringen. Das gelang nicht, weil der Schraubcn-
dampser, uicht so rasch, aber dafür seichter gehend, sich dem Strande nahe hielt.
Geyser ging die Geduld aus, plötzlich brach er aus seinem Versteck, um den Vorsprung
vor in die Mitte der Rhede schießend, doch so, daß er außer der Schußweite
der Schanzen blieb. Ein Blitz erhellte Himmel und Erde, und der Kampf begann
mit einer Volllage gegen unsern winzigen Dampfer, der seinem Feinde wie eine
Forelle einem Wallfisch gegenüberlag. Hurrah! -- Hurrah! -- Hurrah! riefen
die Unfern und zwischen dem Donner ihrer Antwortsalven hörte man einzelne
Zeilen des Nationalliedes, im Chor gesungen, bis ans Ufer klingen. Unbegreiflich
war das schnelle Feuern der Unsern, sie konnten nur von zwei Stücken Gebrauch
machen, da die Drehbasscu weder weit genug trugen, uoch ein respectables Caliber
führten. Dennoch sanften die rothen Glühlügeln, sternschnnppenartig, das Takel¬
werk des Feindes mit blutigem Abendroth überhaucheud, ohne Unterlaß auf den
Geyser zu, -- er schien zu weichen!

"Wahre treu, was du errungen!"

tönte es, und gleich daraus erstickte der Donner die patriotischen Stimmen, deutlich
hörte man das Krachen getroffener Balken, das Zischen der wühlenden Kugeln. --

"Warte nicht mein Vaterland!"

war der letzte Ton, deu ich singen hörte, und anch diese Zeile nicht ganz. Das



*) Ich werde Ihnen nächstens ein Sündenregister Lübecks aus->. 1859 einsenden, woraus
Sie ersehen mögen, daß die russich - dänische Gesinnung dieser verrotteten Reichsstadt sich
nicht immer auf strenge Neutralität gegen deutsche Nachbarn beschränkt.
Grenzboten. III. 1850. 23

Prisen frei zu geben, sondern in See zu stechen; er könne ihn uicht über Nacht
im Gewässer Lübecks lassen.") Lange ließ daher sagen, er müsse nach Hans
und werde sich um jeden Preis durchschlagen. Sie können sich denke», mit wel¬
cher Angst wir uach dem Hafen eilten; es ging dem wackern Kriegsboot ein's
Leben. Eine Anzahl Bürger wachte in den Schanzen, um den paar Artilleristen
im Nothfall als Handlanger, Boten oder Signallräger behülflich zu sein; ein
anderer Haufe begab sich mit Büchsen an der Seite nach dem Badehaus. Ein
Stein siel uns vom Herzen, als die Windstille des lieblichen Abends auch die
kleinsten Furchen des Seespiegels hinwcgglattetc. Vom Geyser war keine Spur
zu sehen, also mochte Lange die Corvette in gehöriger Entfernung umfahren; sie
mußte mit gerefften Segeln zusehen, wie er nach dem Schutz der Schanzen zu¬
eilte, und konnte ihn nicht jagen. Doch war's ein langer, langer Abend. End¬
lich kurz vor Mitternacht, bei halber Mondhelle, winkte ein fernes Laternenlicht
den Schanzen zu, — das war er, eben hatte er um einen Küsteuvorsprung ge¬
bogen, unser kleiner, schlanker Dampfer mit seinen drei Bootmastcn. Mit ver¬
haltenem Athem beobachteten wir seinen langsamen Lauf und ahnten uicht, daß
der Verfolger ihm anflanerte. Der Geyser hatte sich ihm von Travemünde ans
nnter dem Schutz der Küstenwindnngen nachgeschlichen und suchte ihn. zwischen
sein und der Korvette Feuer zu bringen. Das gelang nicht, weil der Schraubcn-
dampser, uicht so rasch, aber dafür seichter gehend, sich dem Strande nahe hielt.
Geyser ging die Geduld aus, plötzlich brach er aus seinem Versteck, um den Vorsprung
vor in die Mitte der Rhede schießend, doch so, daß er außer der Schußweite
der Schanzen blieb. Ein Blitz erhellte Himmel und Erde, und der Kampf begann
mit einer Volllage gegen unsern winzigen Dampfer, der seinem Feinde wie eine
Forelle einem Wallfisch gegenüberlag. Hurrah! — Hurrah! — Hurrah! riefen
die Unfern und zwischen dem Donner ihrer Antwortsalven hörte man einzelne
Zeilen des Nationalliedes, im Chor gesungen, bis ans Ufer klingen. Unbegreiflich
war das schnelle Feuern der Unsern, sie konnten nur von zwei Stücken Gebrauch
machen, da die Drehbasscu weder weit genug trugen, uoch ein respectables Caliber
führten. Dennoch sanften die rothen Glühlügeln, sternschnnppenartig, das Takel¬
werk des Feindes mit blutigem Abendroth überhaucheud, ohne Unterlaß auf den
Geyser zu, — er schien zu weichen!

„Wahre treu, was du errungen!"

tönte es, und gleich daraus erstickte der Donner die patriotischen Stimmen, deutlich
hörte man das Krachen getroffener Balken, das Zischen der wühlenden Kugeln. —

„Warte nicht mein Vaterland!"

war der letzte Ton, deu ich singen hörte, und anch diese Zeile nicht ganz. Das



*) Ich werde Ihnen nächstens ein Sündenregister Lübecks aus->. 1859 einsenden, woraus
Sie ersehen mögen, daß die russich - dänische Gesinnung dieser verrotteten Reichsstadt sich
nicht immer auf strenge Neutralität gegen deutsche Nachbarn beschränkt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/185>, abgerufen am 27.07.2024.