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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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andere dergleichen arme Leute mit einer sehr geringen Beimischung von zwei
Professoren, einigen Notaren und einem Grafen, Stefan Karolyi, in die Hand
geriethen.

Mit dem Amncstireu wills also auch nicht mehr gehen.

Bevor die Nachricht von der Abberufung Hayuau'S zu uns gelaugte, war
ein anderes Ereigniß an der Tagesordnung, nämlich die oben erwähnte Flucht
des Herrn Andrassy, Adjutant und geheimer Secretair Hayuau'S. Die Sache
verhielt sich so. Andrassy, der hier allgemein und uoch mehr gehaßt wurde, weil
er selbst Ungar war und für die rechte Hand Hayuau'S galt, verlangte vor vier¬
zehn Tagen Urlaub, um nach Huret ins Bad zu reisen; dieser wurde ihm be¬
willigt; allein einige Tage nach der Abreise Andrassy's bemerkte der Obercom¬
mandant, daß sein ganzes Archiv und besonders die aus die russische Intervention
ans die Uebergabe Görgey's und der Ungarischen Festungen, so wie auf die Hin¬
richtungen der Patrioten bezüglichen Documente verschwunden waren; sogleich
schickte er nach Huret, aber von dort kam die Nachricht, daß Andrassy dort gar
nicht eingetroffen sei. Die Sache wurde bald in der ganzen Stadt bekannt, und
Haynau ließ in den Zeitungen einrücken: "Andrassy sei zur Herstellung seiner
Gesundheit nach Gräfenberg gereist." Die Blätter nahmen die Notiz ans, hatten
aber die Malice, das "Eingesendet" hinzuzusetzen; später hieß es, Andrassy sei
in ein Bad nach Deutschland gereist, aber Andrassy ist nach sichern Nachrichten
in Constantinopel angelangt, und wie die Fama berichtet, will er die höchstwich-
tigcn Actenstücke an Kossuth ausliefern, um durch ihn deu europäische" Cabineten
manch' interessante Enthüllungen über die Freundschaft zwischen Oestreich und
Rußland und die Svldatcnwirthschaft in Ungarn zu macheu. Kslgta retei-o.

Uebrigens gehen bei uus uoch täglich neue Transporte von assentirten Honved
durch, obwohl der böse Geist, den diese in die Armee tragen, wie die Pest um
sich greift, und mau, wie ich mich selbst überzeugt habe, in Komorn jeden Monat
die Garnison wechseln muß, denn "sie werden liberal". --

Dieser Tage siud mehrere Literaten aus der Revolutionszeit hier angelangt,
unter diesen der geniale, als Novellist rühmlich bekannte Jokai, letzter Redacteur
des "pegt lui'ox" und der "llsü WM" (Abendblätter) und sein Hauptmitarbeiter
^ Ludasi. Bis jetzt siud sie unangefochten geblieben.




Die Redaction der Grenzboten hülle sich in Flor, ihr Journal ist endlich auch in
Prag und seinem Belagcrungsrayon kncgsrcchtlich verboten, und zwar wie das mili¬
tärische, an die Buchhandlungen erlassene Circular ausspricht, blos aus dem Grunde,
weil die Grenzboten seit längerer Zeit auch in Wien verboten sind. Sie sehen, man
ist bemüht, die Rechtsgleichheit aller Staatsbürger möglichst praktisch zu machen. Da¬
für leiden die einheimischen Journale an einer Trostlosigkeit und Monotonie, welche die


andere dergleichen arme Leute mit einer sehr geringen Beimischung von zwei
Professoren, einigen Notaren und einem Grafen, Stefan Karolyi, in die Hand
geriethen.

Mit dem Amncstireu wills also auch nicht mehr gehen.

Bevor die Nachricht von der Abberufung Hayuau'S zu uns gelaugte, war
ein anderes Ereigniß an der Tagesordnung, nämlich die oben erwähnte Flucht
des Herrn Andrassy, Adjutant und geheimer Secretair Hayuau'S. Die Sache
verhielt sich so. Andrassy, der hier allgemein und uoch mehr gehaßt wurde, weil
er selbst Ungar war und für die rechte Hand Hayuau'S galt, verlangte vor vier¬
zehn Tagen Urlaub, um nach Huret ins Bad zu reisen; dieser wurde ihm be¬
willigt; allein einige Tage nach der Abreise Andrassy's bemerkte der Obercom¬
mandant, daß sein ganzes Archiv und besonders die aus die russische Intervention
ans die Uebergabe Görgey's und der Ungarischen Festungen, so wie auf die Hin¬
richtungen der Patrioten bezüglichen Documente verschwunden waren; sogleich
schickte er nach Huret, aber von dort kam die Nachricht, daß Andrassy dort gar
nicht eingetroffen sei. Die Sache wurde bald in der ganzen Stadt bekannt, und
Haynau ließ in den Zeitungen einrücken: „Andrassy sei zur Herstellung seiner
Gesundheit nach Gräfenberg gereist." Die Blätter nahmen die Notiz ans, hatten
aber die Malice, das „Eingesendet" hinzuzusetzen; später hieß es, Andrassy sei
in ein Bad nach Deutschland gereist, aber Andrassy ist nach sichern Nachrichten
in Constantinopel angelangt, und wie die Fama berichtet, will er die höchstwich-
tigcn Actenstücke an Kossuth ausliefern, um durch ihn deu europäische» Cabineten
manch' interessante Enthüllungen über die Freundschaft zwischen Oestreich und
Rußland und die Svldatcnwirthschaft in Ungarn zu macheu. Kslgta retei-o.

Uebrigens gehen bei uus uoch täglich neue Transporte von assentirten Honved
durch, obwohl der böse Geist, den diese in die Armee tragen, wie die Pest um
sich greift, und mau, wie ich mich selbst überzeugt habe, in Komorn jeden Monat
die Garnison wechseln muß, denn „sie werden liberal". —

Dieser Tage siud mehrere Literaten aus der Revolutionszeit hier angelangt,
unter diesen der geniale, als Novellist rühmlich bekannte Jokai, letzter Redacteur
des „pegt lui'ox" und der „llsü WM" (Abendblätter) und sein Hauptmitarbeiter
^ Ludasi. Bis jetzt siud sie unangefochten geblieben.




Die Redaction der Grenzboten hülle sich in Flor, ihr Journal ist endlich auch in
Prag und seinem Belagcrungsrayon kncgsrcchtlich verboten, und zwar wie das mili¬
tärische, an die Buchhandlungen erlassene Circular ausspricht, blos aus dem Grunde,
weil die Grenzboten seit längerer Zeit auch in Wien verboten sind. Sie sehen, man
ist bemüht, die Rechtsgleichheit aller Staatsbürger möglichst praktisch zu machen. Da¬
für leiden die einheimischen Journale an einer Trostlosigkeit und Monotonie, welche die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/166>, abgerufen am 27.07.2024.