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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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neugierig, endlich grüßte er, fuhr mit der linken Hand in feinem Schnurrbart
herum und begann die Unterhaltung, die ich schon längst als unvermeidlich erwar¬
tete. "Du bist kein Schwabe. Ich sehe Dir schon eine Weile zu und erkenne,
daß Dein Herz traurig ist über das schöne Haus, das hier zu Grunde geht. El,
war das ein Leben hier, zu Kragujevacz, als die Obrenovicze noch hausten, der
alte Milos, der süße Milan und der Brausekopf Michal, der nun ein weiser und
gesetzter Mann geworden ist. Der Alte hat's verdient, daß ihn das Volk ver¬
trieb, hat er doch schlimmer über uns regiert, als ein Vezier oder Pascha, er
über sein eigenes Volk, das mit ihm dieselben Lieder gehört, weißes Brod aß aus
derselben Muttererde und dieselben Gebete sprach vor dem Kreuzbild. Aber
was haben die Söhne verschuldet, die lieben Augäpfel, der Milan, den die Luft
der Schwaben ins frühe Grab warf*), und Michal, der heute noch auf unserm
Fürstenstuhle säße, ein gerechter Herr, wenn er kein Sohn des blutigen Maunes
war. Jetzt muß der junge Herr in fremden Landen irren und sein Kopfkissen'
auf schwäbischer Erde niederlege", das muß ihn drücken, und wär' es von Seide
und gefüllt mit dem weichsten Frauenhaar!"

Ich erzählte dem ehrlichen Patrioten, daß ich den Fürsten Michal Obrenovicz
von Wien aus kenne und auch den alten Milos gesehen zu Laibach, als er, ebeu
losgekauft aus dem Gefängniß, welches ihm Dr. Ljudevit Gay zu Agram bereitet
hatte**), finster weiter zog, um sich von den letzten Kränkungen -- ich weiß
nicht, ob zu Paris oder zu Se. Petersburg -- zu erholen. Da wollte das
Staunen und der geschwätzig losbrechende Redefluß des Alten gar nicht enden.
"Du hast also den Fürsten Michal gesehen, meinen Augapfel. Ist er stark
und stattlich geworden? Wir hören, er, dessen Vater nicht einmal schreiben kann,
und dessen starrer Kopf nicht einmal recht türkisch gelernt hat, er soll ein weiser
Mann geworden sein, ein Gelehrter, der die Sprache aller sieben christlichen Könige
spricht. Er redet auch gern und freundlich mit unfern Leuten, die Vieh treiben
nach Budapest!) oder Schafwolle nach Becz (Wien) auf den Markt bringen. Weißt
Du auch, daß der Michal im letzten Kriege in Sreiu (Syrmien) war? -- Im vorletzten
Herbste, als unsere Brüder, die über der save uuter den Schwaben wohnen,
gegen die Magyaren -- ein Diacz (Dämon) wolle diesen die Seele verunreinigen!
-- die Waffen ergriffe", Herr Kuicanin, der weiße Edelfalke, dessen Ende glücklich




*) Milan, MiloS's Erstgeborner und d-S serbischen Volkes Liebling, starb jung an
einem Brustiibcl, das ihm die glänzenden Feste der ungarischen Magnaten zu Pesch zuge¬
Die Red. zogen hatten. -> -
**) Bekanntlich wurde Fürst MiloS 1848, nachdem ihn Gay, wie es heißt, nach
Agram gelockt, zu Agram auf Gav'S Anstiftung gefangen genommen und In strenger Hast
gehalten. Den Ruf dieses Vorfalls übertäubte der Lärm des Slavencongresses, der prager
Junitage, die Achterklärung des Barus und die bunte Reihe der Tagesereignisse in Oest¬
rich. Die Sache ist Vis jetzt unaufgeklärt geblieben, vielleicht wisse" die Kroaten mehr davon.
Die Red.

neugierig, endlich grüßte er, fuhr mit der linken Hand in feinem Schnurrbart
herum und begann die Unterhaltung, die ich schon längst als unvermeidlich erwar¬
tete. „Du bist kein Schwabe. Ich sehe Dir schon eine Weile zu und erkenne,
daß Dein Herz traurig ist über das schöne Haus, das hier zu Grunde geht. El,
war das ein Leben hier, zu Kragujevacz, als die Obrenovicze noch hausten, der
alte Milos, der süße Milan und der Brausekopf Michal, der nun ein weiser und
gesetzter Mann geworden ist. Der Alte hat's verdient, daß ihn das Volk ver¬
trieb, hat er doch schlimmer über uns regiert, als ein Vezier oder Pascha, er
über sein eigenes Volk, das mit ihm dieselben Lieder gehört, weißes Brod aß aus
derselben Muttererde und dieselben Gebete sprach vor dem Kreuzbild. Aber
was haben die Söhne verschuldet, die lieben Augäpfel, der Milan, den die Luft
der Schwaben ins frühe Grab warf*), und Michal, der heute noch auf unserm
Fürstenstuhle säße, ein gerechter Herr, wenn er kein Sohn des blutigen Maunes
war. Jetzt muß der junge Herr in fremden Landen irren und sein Kopfkissen'
auf schwäbischer Erde niederlege», das muß ihn drücken, und wär' es von Seide
und gefüllt mit dem weichsten Frauenhaar!"

Ich erzählte dem ehrlichen Patrioten, daß ich den Fürsten Michal Obrenovicz
von Wien aus kenne und auch den alten Milos gesehen zu Laibach, als er, ebeu
losgekauft aus dem Gefängniß, welches ihm Dr. Ljudevit Gay zu Agram bereitet
hatte**), finster weiter zog, um sich von den letzten Kränkungen — ich weiß
nicht, ob zu Paris oder zu Se. Petersburg — zu erholen. Da wollte das
Staunen und der geschwätzig losbrechende Redefluß des Alten gar nicht enden.
„Du hast also den Fürsten Michal gesehen, meinen Augapfel. Ist er stark
und stattlich geworden? Wir hören, er, dessen Vater nicht einmal schreiben kann,
und dessen starrer Kopf nicht einmal recht türkisch gelernt hat, er soll ein weiser
Mann geworden sein, ein Gelehrter, der die Sprache aller sieben christlichen Könige
spricht. Er redet auch gern und freundlich mit unfern Leuten, die Vieh treiben
nach Budapest!) oder Schafwolle nach Becz (Wien) auf den Markt bringen. Weißt
Du auch, daß der Michal im letzten Kriege in Sreiu (Syrmien) war? — Im vorletzten
Herbste, als unsere Brüder, die über der save uuter den Schwaben wohnen,
gegen die Magyaren — ein Diacz (Dämon) wolle diesen die Seele verunreinigen!
— die Waffen ergriffe», Herr Kuicanin, der weiße Edelfalke, dessen Ende glücklich




*) Milan, MiloS's Erstgeborner und d-S serbischen Volkes Liebling, starb jung an
einem Brustiibcl, das ihm die glänzenden Feste der ungarischen Magnaten zu Pesch zuge¬
Die Red. zogen hatten. -> -
**) Bekanntlich wurde Fürst MiloS 1848, nachdem ihn Gay, wie es heißt, nach
Agram gelockt, zu Agram auf Gav'S Anstiftung gefangen genommen und In strenger Hast
gehalten. Den Ruf dieses Vorfalls übertäubte der Lärm des Slavencongresses, der prager
Junitage, die Achterklärung des Barus und die bunte Reihe der Tagesereignisse in Oest¬
rich. Die Sache ist Vis jetzt unaufgeklärt geblieben, vielleicht wisse» die Kroaten mehr davon.
Die Red.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/141>, abgerufen am 01.09.2024.