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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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nannte abgekürzte Verfahren, eine kleine Pistvlenkugel statt eines langen Crimi-
nalprozesses. Der Postknecht kömmt deßhalb fast nie in den Fall, seinen Passa¬
gier zu schützen, öfter aber, wenn dieser ein schlechter Reiter ist, die Pferde
an dem Zügel zu führen, oder, wenn sie müde geworden, mit einem spitzen
Stock uuter gräßlichen Kernflüchen zum raschen Trott anzustacheln. Ein Tartarin
(Courier) reitet jedesmal zwei Stationen vor dem Postreisenden voraus, um die
Pferde zu bestellen, welche hänfig erst auf den weiten Weideplätzen mit Anstren¬
gung eingefangen werden müssen.

Ich schreibe dies im ersten und letzten Gasthof von Kragujevacz und habe
sein unscheinbares Dach in einem Nest von abendländischen Unabhängigkeits-
gefühl gewählt. Man ist hier nicht sehr auf Herbergsgäste eingerichtet, weil sel¬
ten welche kommen. Die Minister und höhern Staatsbeamten steigen nie im
Gasthof ab, gewöhnlich besitzen sie im Orte einen eigenen Konak oder eine schlichte
Villa in der Nahe. Andere Serben, die etwas in Kragujevacz zu schaffen haben,
haben ihre Privateiukehr, da die sprüchwörtliche Gastfreundschaft der Slaven in
Serbien noch in voller Blüthe besteht. Mein Gasthof liegt ziemlich am Eingange
des Orts, etwas erhöht, so daß ich von dem holzgezimmerten Balkon fast die
ganze Stadt -- ein romantisches Bild -- bequem übersehen kann. Ich lagere
auf dem grüngepolsterten Baltonsopha und rauche in der Abendkühle zum duf¬
tigen Mokkatrank den noch duftigen Cibnk.

Die Stadt vor mir hat 3i>0 Häuser, welche von Holz und Fachwerk im
morgenländischen Stile erbaut siud, viele mit frischem Farbenanstrich bunt verziert.
Am höchsten erhebt sich die griechische, nicht nnirte Kirche, ein Neubau des Für¬
sten Milos Obreuovicz, der hier zuerst seinen Fürstcnstnhl ausschlug; im neuita-
lienischen Stile, prunkhaft, mit einer unheimlichen, zwiebelähnlichen Kuppel des
Thurmes, die zum Ueberfluß mit blankem Blech beschlagen ist. Die guten Ser¬
ben sträuben sich, den byzantinischen Stil, welchen böhmische Architekten hier, ein¬
führen wollten, für ihre neuen Kirchenbauten anzunehmen, obgleich derselbe
doch an den ältesten Kirchen in Serbien und Bulgarien vorkömmt, dem Klima
wie dem serbischen Kultus vollkommen entspricht und so angenehm panslavistisch
ist. Das Volk schätzt einmal plumpe Zwiebelthürme, mit Blech gedeckt und recht
hell polirt, wo möglich an den Thurmspitzen dicke im Feuer vergoldete Knäufe
und recht monströse Kreuze mit doppelten Querbalken. Das Jnnere des kraguje-
vaczcr Gotteshauses gleicht ziemlich dem der übrigen serbischen Kirchen, nur ist
es reicher und mit mehr Ueberladung geziert. Es theilt sich in das Schiff für
das Volk und in das Presbyterium. Dies ist wieder durch den kolossalen Hoch¬
altar in zwei Theile geschieden, in deren einem der Diakonuö steht mit den
Meßknaben und Chorsängern; hier wird das Evangelium gelesen, die Commu-
nion gespendet, das gewöhnliche Gebet verrichtet und irgend ein passender
Psalm oder Hymnus gesungen. Die zweite Abtheilung, gleichsam das Sanctis-


nannte abgekürzte Verfahren, eine kleine Pistvlenkugel statt eines langen Crimi-
nalprozesses. Der Postknecht kömmt deßhalb fast nie in den Fall, seinen Passa¬
gier zu schützen, öfter aber, wenn dieser ein schlechter Reiter ist, die Pferde
an dem Zügel zu führen, oder, wenn sie müde geworden, mit einem spitzen
Stock uuter gräßlichen Kernflüchen zum raschen Trott anzustacheln. Ein Tartarin
(Courier) reitet jedesmal zwei Stationen vor dem Postreisenden voraus, um die
Pferde zu bestellen, welche hänfig erst auf den weiten Weideplätzen mit Anstren¬
gung eingefangen werden müssen.

Ich schreibe dies im ersten und letzten Gasthof von Kragujevacz und habe
sein unscheinbares Dach in einem Nest von abendländischen Unabhängigkeits-
gefühl gewählt. Man ist hier nicht sehr auf Herbergsgäste eingerichtet, weil sel¬
ten welche kommen. Die Minister und höhern Staatsbeamten steigen nie im
Gasthof ab, gewöhnlich besitzen sie im Orte einen eigenen Konak oder eine schlichte
Villa in der Nahe. Andere Serben, die etwas in Kragujevacz zu schaffen haben,
haben ihre Privateiukehr, da die sprüchwörtliche Gastfreundschaft der Slaven in
Serbien noch in voller Blüthe besteht. Mein Gasthof liegt ziemlich am Eingange
des Orts, etwas erhöht, so daß ich von dem holzgezimmerten Balkon fast die
ganze Stadt — ein romantisches Bild — bequem übersehen kann. Ich lagere
auf dem grüngepolsterten Baltonsopha und rauche in der Abendkühle zum duf¬
tigen Mokkatrank den noch duftigen Cibnk.

Die Stadt vor mir hat 3i>0 Häuser, welche von Holz und Fachwerk im
morgenländischen Stile erbaut siud, viele mit frischem Farbenanstrich bunt verziert.
Am höchsten erhebt sich die griechische, nicht nnirte Kirche, ein Neubau des Für¬
sten Milos Obreuovicz, der hier zuerst seinen Fürstcnstnhl ausschlug; im neuita-
lienischen Stile, prunkhaft, mit einer unheimlichen, zwiebelähnlichen Kuppel des
Thurmes, die zum Ueberfluß mit blankem Blech beschlagen ist. Die guten Ser¬
ben sträuben sich, den byzantinischen Stil, welchen böhmische Architekten hier, ein¬
führen wollten, für ihre neuen Kirchenbauten anzunehmen, obgleich derselbe
doch an den ältesten Kirchen in Serbien und Bulgarien vorkömmt, dem Klima
wie dem serbischen Kultus vollkommen entspricht und so angenehm panslavistisch
ist. Das Volk schätzt einmal plumpe Zwiebelthürme, mit Blech gedeckt und recht
hell polirt, wo möglich an den Thurmspitzen dicke im Feuer vergoldete Knäufe
und recht monströse Kreuze mit doppelten Querbalken. Das Jnnere des kraguje-
vaczcr Gotteshauses gleicht ziemlich dem der übrigen serbischen Kirchen, nur ist
es reicher und mit mehr Ueberladung geziert. Es theilt sich in das Schiff für
das Volk und in das Presbyterium. Dies ist wieder durch den kolossalen Hoch¬
altar in zwei Theile geschieden, in deren einem der Diakonuö steht mit den
Meßknaben und Chorsängern; hier wird das Evangelium gelesen, die Commu-
nion gespendet, das gewöhnliche Gebet verrichtet und irgend ein passender
Psalm oder Hymnus gesungen. Die zweite Abtheilung, gleichsam das Sanctis-


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[0138] nannte abgekürzte Verfahren, eine kleine Pistvlenkugel statt eines langen Crimi- nalprozesses. Der Postknecht kömmt deßhalb fast nie in den Fall, seinen Passa¬ gier zu schützen, öfter aber, wenn dieser ein schlechter Reiter ist, die Pferde an dem Zügel zu führen, oder, wenn sie müde geworden, mit einem spitzen Stock uuter gräßlichen Kernflüchen zum raschen Trott anzustacheln. Ein Tartarin (Courier) reitet jedesmal zwei Stationen vor dem Postreisenden voraus, um die Pferde zu bestellen, welche hänfig erst auf den weiten Weideplätzen mit Anstren¬ gung eingefangen werden müssen. Ich schreibe dies im ersten und letzten Gasthof von Kragujevacz und habe sein unscheinbares Dach in einem Nest von abendländischen Unabhängigkeits- gefühl gewählt. Man ist hier nicht sehr auf Herbergsgäste eingerichtet, weil sel¬ ten welche kommen. Die Minister und höhern Staatsbeamten steigen nie im Gasthof ab, gewöhnlich besitzen sie im Orte einen eigenen Konak oder eine schlichte Villa in der Nahe. Andere Serben, die etwas in Kragujevacz zu schaffen haben, haben ihre Privateiukehr, da die sprüchwörtliche Gastfreundschaft der Slaven in Serbien noch in voller Blüthe besteht. Mein Gasthof liegt ziemlich am Eingange des Orts, etwas erhöht, so daß ich von dem holzgezimmerten Balkon fast die ganze Stadt — ein romantisches Bild — bequem übersehen kann. Ich lagere auf dem grüngepolsterten Baltonsopha und rauche in der Abendkühle zum duf¬ tigen Mokkatrank den noch duftigen Cibnk. Die Stadt vor mir hat 3i>0 Häuser, welche von Holz und Fachwerk im morgenländischen Stile erbaut siud, viele mit frischem Farbenanstrich bunt verziert. Am höchsten erhebt sich die griechische, nicht nnirte Kirche, ein Neubau des Für¬ sten Milos Obreuovicz, der hier zuerst seinen Fürstcnstnhl ausschlug; im neuita- lienischen Stile, prunkhaft, mit einer unheimlichen, zwiebelähnlichen Kuppel des Thurmes, die zum Ueberfluß mit blankem Blech beschlagen ist. Die guten Ser¬ ben sträuben sich, den byzantinischen Stil, welchen böhmische Architekten hier, ein¬ führen wollten, für ihre neuen Kirchenbauten anzunehmen, obgleich derselbe doch an den ältesten Kirchen in Serbien und Bulgarien vorkömmt, dem Klima wie dem serbischen Kultus vollkommen entspricht und so angenehm panslavistisch ist. Das Volk schätzt einmal plumpe Zwiebelthürme, mit Blech gedeckt und recht hell polirt, wo möglich an den Thurmspitzen dicke im Feuer vergoldete Knäufe und recht monströse Kreuze mit doppelten Querbalken. Das Jnnere des kraguje- vaczcr Gotteshauses gleicht ziemlich dem der übrigen serbischen Kirchen, nur ist es reicher und mit mehr Ueberladung geziert. Es theilt sich in das Schiff für das Volk und in das Presbyterium. Dies ist wieder durch den kolossalen Hoch¬ altar in zwei Theile geschieden, in deren einem der Diakonuö steht mit den Meßknaben und Chorsängern; hier wird das Evangelium gelesen, die Commu- nion gespendet, das gewöhnliche Gebet verrichtet und irgend ein passender Psalm oder Hymnus gesungen. Die zweite Abtheilung, gleichsam das Sanctis-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/138>, abgerufen am 27.07.2024.