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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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der Sieger Friedrich erscheint als Fortinbras, um dem königlichen Todten die Trauer¬
rede zu halten. --

Von einem historischen Trauerspiel im höhern Sinn ist keine Rede. Der
Conflict ist kein tragischer, sondern ein lyrisch sentimentaler, ja er beruht aus
einem Gesühls-Raffinement, das seiner ganzen Natur nach ebenso unhistorisch,
als undramatisch ist. Und doch widerstrebt der Stoff an sich keineswegs einer
dramatischen Behandlung. Ich erinnere an eine Oper von Amber, die Favoritin,
in welcher die Macht der Liebe, der Stolz einer freien Persönlichkeit sich den ab-
stracten Betrachtungen der Politik und dem fanatischen Spiritualismus der Kirche
gegenüber geltend macht. Aber dann muß der widerstrebende Held ein Maun
sein, und die Träger des kirchlichen Princips erfüllt von ihrer einseitigen, aber
großen Idee. Hier ist die Kirche durch ein paar gefräßige Pfaffen und hab¬
süchtige Politiker repräsentirt, und der Held ist ein Spielball aller Winde. Was
soll da für ein Conflict herauskommen! Was nützen uns die lyrischen Momente
auf der Scene, wenn wir doch jedesmal erwarten müssen, im Zwischenacte werde
eine Veränderung vor sich gehen, die zu dem Vorhergehenden und Nachfolgenden
in keinem Verhältniß steht. Der Mangel an Kraft wird dann zuletzt durch un-
nöthige Grausamkeit ergänzt; der arme Otto muß gegen alle Geschichte ans dem
Schlachtfelde sterben, Cäcilie tödtet sich selbst und von den übrigen mitspielenden
Personen werdeu fast alle getödtet.-

Der Mangel an historischem Ernst und historischer Treue soll verdeckt wer¬
den durch das sorgfältig ausgearbeitete Detail. Wir haben die Volksscenen, in
denen seit Shakspeare die Unmündigkeit der Masse in einer nachgerade etwas
ermüdenden Breite sich ausspricht, Soldctteusceueu, und eine Masse romantischer
Figuren: geistreich sentimentale Harfner, aufopfernde Dienerinnen, Mönche,
treue Vasallen u. s. w. Die Sprache hat ihren Schiller'schen Schwung uicht
verloren, aber es ist dem Dichter nicht gelungen, jenen ernsten Stil, den z. B.
Kleist in seinem Prinzen von Homburg so glücklich getroffen hat, und der allein
uns gleichsam mit historischer Luft anwehe, wiederzufinden. Die Sentimentalität
des Inhalts geht auch auf die Form über.




Die Krisis in Frankfurt.

Unter allen Gemeinheiten, welche wir in zwei Jahren so reichlich genossen
haben, ist das zänkische und intriguante Treiben unserer Diplomaten zu Frankfurt
das Gemeinste, und es ist schwer zu sagen, ob der Gleichgültigkeit, mit welcher


der Sieger Friedrich erscheint als Fortinbras, um dem königlichen Todten die Trauer¬
rede zu halten. —

Von einem historischen Trauerspiel im höhern Sinn ist keine Rede. Der
Conflict ist kein tragischer, sondern ein lyrisch sentimentaler, ja er beruht aus
einem Gesühls-Raffinement, das seiner ganzen Natur nach ebenso unhistorisch,
als undramatisch ist. Und doch widerstrebt der Stoff an sich keineswegs einer
dramatischen Behandlung. Ich erinnere an eine Oper von Amber, die Favoritin,
in welcher die Macht der Liebe, der Stolz einer freien Persönlichkeit sich den ab-
stracten Betrachtungen der Politik und dem fanatischen Spiritualismus der Kirche
gegenüber geltend macht. Aber dann muß der widerstrebende Held ein Maun
sein, und die Träger des kirchlichen Princips erfüllt von ihrer einseitigen, aber
großen Idee. Hier ist die Kirche durch ein paar gefräßige Pfaffen und hab¬
süchtige Politiker repräsentirt, und der Held ist ein Spielball aller Winde. Was
soll da für ein Conflict herauskommen! Was nützen uns die lyrischen Momente
auf der Scene, wenn wir doch jedesmal erwarten müssen, im Zwischenacte werde
eine Veränderung vor sich gehen, die zu dem Vorhergehenden und Nachfolgenden
in keinem Verhältniß steht. Der Mangel an Kraft wird dann zuletzt durch un-
nöthige Grausamkeit ergänzt; der arme Otto muß gegen alle Geschichte ans dem
Schlachtfelde sterben, Cäcilie tödtet sich selbst und von den übrigen mitspielenden
Personen werdeu fast alle getödtet.-

Der Mangel an historischem Ernst und historischer Treue soll verdeckt wer¬
den durch das sorgfältig ausgearbeitete Detail. Wir haben die Volksscenen, in
denen seit Shakspeare die Unmündigkeit der Masse in einer nachgerade etwas
ermüdenden Breite sich ausspricht, Soldctteusceueu, und eine Masse romantischer
Figuren: geistreich sentimentale Harfner, aufopfernde Dienerinnen, Mönche,
treue Vasallen u. s. w. Die Sprache hat ihren Schiller'schen Schwung uicht
verloren, aber es ist dem Dichter nicht gelungen, jenen ernsten Stil, den z. B.
Kleist in seinem Prinzen von Homburg so glücklich getroffen hat, und der allein
uns gleichsam mit historischer Luft anwehe, wiederzufinden. Die Sentimentalität
des Inhalts geht auch auf die Form über.




Die Krisis in Frankfurt.

Unter allen Gemeinheiten, welche wir in zwei Jahren so reichlich genossen
haben, ist das zänkische und intriguante Treiben unserer Diplomaten zu Frankfurt
das Gemeinste, und es ist schwer zu sagen, ob der Gleichgültigkeit, mit welcher


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[0134] der Sieger Friedrich erscheint als Fortinbras, um dem königlichen Todten die Trauer¬ rede zu halten. — Von einem historischen Trauerspiel im höhern Sinn ist keine Rede. Der Conflict ist kein tragischer, sondern ein lyrisch sentimentaler, ja er beruht aus einem Gesühls-Raffinement, das seiner ganzen Natur nach ebenso unhistorisch, als undramatisch ist. Und doch widerstrebt der Stoff an sich keineswegs einer dramatischen Behandlung. Ich erinnere an eine Oper von Amber, die Favoritin, in welcher die Macht der Liebe, der Stolz einer freien Persönlichkeit sich den ab- stracten Betrachtungen der Politik und dem fanatischen Spiritualismus der Kirche gegenüber geltend macht. Aber dann muß der widerstrebende Held ein Maun sein, und die Träger des kirchlichen Princips erfüllt von ihrer einseitigen, aber großen Idee. Hier ist die Kirche durch ein paar gefräßige Pfaffen und hab¬ süchtige Politiker repräsentirt, und der Held ist ein Spielball aller Winde. Was soll da für ein Conflict herauskommen! Was nützen uns die lyrischen Momente auf der Scene, wenn wir doch jedesmal erwarten müssen, im Zwischenacte werde eine Veränderung vor sich gehen, die zu dem Vorhergehenden und Nachfolgenden in keinem Verhältniß steht. Der Mangel an Kraft wird dann zuletzt durch un- nöthige Grausamkeit ergänzt; der arme Otto muß gegen alle Geschichte ans dem Schlachtfelde sterben, Cäcilie tödtet sich selbst und von den übrigen mitspielenden Personen werdeu fast alle getödtet.- Der Mangel an historischem Ernst und historischer Treue soll verdeckt wer¬ den durch das sorgfältig ausgearbeitete Detail. Wir haben die Volksscenen, in denen seit Shakspeare die Unmündigkeit der Masse in einer nachgerade etwas ermüdenden Breite sich ausspricht, Soldctteusceueu, und eine Masse romantischer Figuren: geistreich sentimentale Harfner, aufopfernde Dienerinnen, Mönche, treue Vasallen u. s. w. Die Sprache hat ihren Schiller'schen Schwung uicht verloren, aber es ist dem Dichter nicht gelungen, jenen ernsten Stil, den z. B. Kleist in seinem Prinzen von Homburg so glücklich getroffen hat, und der allein uns gleichsam mit historischer Luft anwehe, wiederzufinden. Die Sentimentalität des Inhalts geht auch auf die Form über. Die Krisis in Frankfurt. Unter allen Gemeinheiten, welche wir in zwei Jahren so reichlich genossen haben, ist das zänkische und intriguante Treiben unserer Diplomaten zu Frankfurt das Gemeinste, und es ist schwer zu sagen, ob der Gleichgültigkeit, mit welcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/134>, abgerufen am 27.07.2024.