Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.wie zarter Schonung der Gegensätze! Das rachsüchtige Judenthum schließt mit einem Weiter konnte man in der Aufklärung nicht füglich gehen, und das sittlich Schon damals habe ichauf die beideu Hauptpunkte aufmerksam gemacht, Die eigentliche Dialektik der sittlichen und psychischen Bewegung geht hinter Dieser ästhetische Vorwurf geht nothwcndig auch in einen sittlichen über. Beide Vorwürfe finden aus das neue Drama unseres Dichters vollkommen Freilich hatte ich im Anfang die Ueberzeugung, wir wären mitten in unsere eignen *) Grenzboten 1849 Heft. 43.
wie zarter Schonung der Gegensätze! Das rachsüchtige Judenthum schließt mit einem Weiter konnte man in der Aufklärung nicht füglich gehen, und das sittlich Schon damals habe ichauf die beideu Hauptpunkte aufmerksam gemacht, Die eigentliche Dialektik der sittlichen und psychischen Bewegung geht hinter Dieser ästhetische Vorwurf geht nothwcndig auch in einen sittlichen über. Beide Vorwürfe finden aus das neue Drama unseres Dichters vollkommen Freilich hatte ich im Anfang die Ueberzeugung, wir wären mitten in unsere eignen *) Grenzboten 1849 Heft. 43.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0130" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85713"/> <p xml:id="ID_459" prev="#ID_458"> wie zarter Schonung der Gegensätze! Das rachsüchtige Judenthum schließt mit einem<lb/> vergehenden Blick, und der Hochmut!) der christlichen Einseitigkeit bekehrt sich so<lb/> weit, daß er schließlich jüdische Schulmeister anstellt, um die Kinder in der allge¬<lb/> meinen Naturreligion zu unterrichten.</p><lb/> <p xml:id="ID_460"> Weiter konnte man in der Aufklärung nicht füglich gehen, und das sittlich<lb/> erhobene Publikum legte wenig Gewicht darauf, daß diese totale Versöhnung nur<lb/> darum möglich wurde, weil die Träger der beiden Principien sich einer mollusken¬<lb/> artigen Natur erfreuten, und darum Jahrhunderte lang sich an einander reiben<lb/> konnten, ohne das eine am andern zu zerschellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_461"> Schon damals habe ichauf die beideu Hauptpunkte aufmerksam gemacht,<lb/> welche, trotz des lyrischen Schwunges, der dem Dichter keineswegs fehlt, die<lb/> Kritik zu eiuer absoluten Verwerfung des Stücks bestimmen mußten.</p><lb/> <p xml:id="ID_462"> Die eigentliche Dialektik der sittlichen und psychischen Bewegung geht hinter<lb/> den Coulissen vor, und fällt in die Zwischenacte. Was ans der Bühne vorgeht, ist<lb/> nur das Resultat dieses nicht dargestellten Processes: ruhende Momente lyrischer<lb/> Stimmung, oder Gruppirungen mit Musikbegleitung und bengalischer Flamme.<lb/> Eine Reihe lyrischer Stimmungen, die in einer gewissen Snccessivität zu einan¬<lb/> der stehn, macht aber noch kein Drama aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_463"> Dieser ästhetische Vorwurf geht nothwcndig auch in einen sittlichen über.<lb/> Personen, die uns nur in einer Reihe von Stimmungen erscheinen, verlieren<lb/> die Einheit deö Charakters, nud haben kein Recht, sich als Träger sittlicher<lb/> Principien zu gebärden. Ich habe das damals, nach meiner Weise, etwas pla¬<lb/> stisch, aber wie mich dünkt, sachgemäß, ungefähr so ausgedrückt: der Held ist ein<lb/> Lump, der mit seinen Empfindungen schachert, und bei dem es daher vollkommen<lb/> gleichgültig ist, was er zu empfinden vorgibt, und die Heldin ist eine hysterische<lb/> Person, die mit ihrer Leidenschaft uur große Anläufe macht, um gleich wieder in<lb/> den Sumpf unbestimmter Sentimentalität zu versinken; ein melodramatischer Ak¬<lb/> kord, der aus der jedesmaligen Situation entspringt, aber in keiner harmonischen<lb/> Verbindung zu den Tönen steht, die ihm vorangehen, und die ihm folgen; eine<lb/> dramatische Figur also, deren Drohung Niemand einschüchtern, deren angeb¬<lb/> liches Leiden Niemand rühren darf, denn sie gibt sich nur die Miene, zu hassen<lb/> und zu leiden..</p><lb/> <p xml:id="ID_464"> Beide Vorwürfe finden aus das neue Drama unseres Dichters vollkommen<lb/> ihre Anwendung, und diesmal hat das Publikum seine Schwächen darum bemerkt,<lb/> weil sie nicht mehr durch einen populären.Gegenstand verdeckt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_465" next="#ID_466"> Freilich hatte ich im Anfang die Ueberzeugung, wir wären mitten in unsere eignen<lb/> politischen Wirren geschleudert. Ein norddeutscher Fürst, geistvoller Protector der<lb/> schönen Künste und Wissenschaften, dem man von Seiten der Nation die Kaiser-</p><lb/> <note xml:id="FID_10" place="foot"> *) Grenzboten 1849 Heft. 43.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0130]
wie zarter Schonung der Gegensätze! Das rachsüchtige Judenthum schließt mit einem
vergehenden Blick, und der Hochmut!) der christlichen Einseitigkeit bekehrt sich so
weit, daß er schließlich jüdische Schulmeister anstellt, um die Kinder in der allge¬
meinen Naturreligion zu unterrichten.
Weiter konnte man in der Aufklärung nicht füglich gehen, und das sittlich
erhobene Publikum legte wenig Gewicht darauf, daß diese totale Versöhnung nur
darum möglich wurde, weil die Träger der beiden Principien sich einer mollusken¬
artigen Natur erfreuten, und darum Jahrhunderte lang sich an einander reiben
konnten, ohne das eine am andern zu zerschellen.
Schon damals habe ichauf die beideu Hauptpunkte aufmerksam gemacht,
welche, trotz des lyrischen Schwunges, der dem Dichter keineswegs fehlt, die
Kritik zu eiuer absoluten Verwerfung des Stücks bestimmen mußten.
Die eigentliche Dialektik der sittlichen und psychischen Bewegung geht hinter
den Coulissen vor, und fällt in die Zwischenacte. Was ans der Bühne vorgeht, ist
nur das Resultat dieses nicht dargestellten Processes: ruhende Momente lyrischer
Stimmung, oder Gruppirungen mit Musikbegleitung und bengalischer Flamme.
Eine Reihe lyrischer Stimmungen, die in einer gewissen Snccessivität zu einan¬
der stehn, macht aber noch kein Drama aus.
Dieser ästhetische Vorwurf geht nothwcndig auch in einen sittlichen über.
Personen, die uns nur in einer Reihe von Stimmungen erscheinen, verlieren
die Einheit deö Charakters, nud haben kein Recht, sich als Träger sittlicher
Principien zu gebärden. Ich habe das damals, nach meiner Weise, etwas pla¬
stisch, aber wie mich dünkt, sachgemäß, ungefähr so ausgedrückt: der Held ist ein
Lump, der mit seinen Empfindungen schachert, und bei dem es daher vollkommen
gleichgültig ist, was er zu empfinden vorgibt, und die Heldin ist eine hysterische
Person, die mit ihrer Leidenschaft uur große Anläufe macht, um gleich wieder in
den Sumpf unbestimmter Sentimentalität zu versinken; ein melodramatischer Ak¬
kord, der aus der jedesmaligen Situation entspringt, aber in keiner harmonischen
Verbindung zu den Tönen steht, die ihm vorangehen, und die ihm folgen; eine
dramatische Figur also, deren Drohung Niemand einschüchtern, deren angeb¬
liches Leiden Niemand rühren darf, denn sie gibt sich nur die Miene, zu hassen
und zu leiden..
Beide Vorwürfe finden aus das neue Drama unseres Dichters vollkommen
ihre Anwendung, und diesmal hat das Publikum seine Schwächen darum bemerkt,
weil sie nicht mehr durch einen populären.Gegenstand verdeckt werden.
Freilich hatte ich im Anfang die Ueberzeugung, wir wären mitten in unsere eignen
politischen Wirren geschleudert. Ein norddeutscher Fürst, geistvoller Protector der
schönen Künste und Wissenschaften, dem man von Seiten der Nation die Kaiser-
*) Grenzboten 1849 Heft. 43.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |