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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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und von dem politischen Leben seiner Stammgenossen, von der europäischen (Zivili¬
sation ausgeschlossen. --

Das ist keine gute "Gleichberechtigung". -- .


^


öl-. Siegfried Becher über die östreichisch-deutsche Zoll- und
Hlmdelseinigung.

Die materiellen Interessen drängen wieder in den Vordergrund, und der alte Er-
fahrungssatz: daß der Magen der größte Revolutionär sei, hat auch die Regierungen
dahin gebracht, sich mehr als sonst nach neuen, mit den politischen Verhältnissen eng
verknüpften Modalitäten dieser Frage umzusehn und wenigstens am Leibe gut zu
machen, was man an dem Geiste gesündigt.

Man muß gestehen, daß an Virtuosität des guten Scheins es hierin keine mit der
östreichischen aufzunehmen im Stande ist. Wir wollen den handelspolitischen und staats¬
männischen Kenntnissen des Hrn. v. Bruck nicht im Geringsten nahe treten, aber es
würde gewiß kein kleiner Grad von Naivetät dazu gehören, alle seine Zoll- und
Handclseinignngs-Vorschläge, womit er die östreichisch-deutsche Einheit herstellen wollte,
ihm ohne Rückhalt aufs Wort zu glauben. Es wird uns, wie so vielen Andern, ver¬
gönnt sein, zu glauben, daß neben der großen nationalökonomischen Idee auch ein klein
wenig politisches Fühlen dabei im Spiele sei.

Bisher haben sich nun natürlich alle Verhandlungen zerschlagen, und doch ist es etwas
Großes um die Idee eines mitteleuropäischen Zollvereins. Der Neichthum, die Pro-
ductionskraft und die Gewerbthätigkeit der Länder, ihre erleichterten Verbindungen nach
den Nachbarstaaten n"d durch ein Meer im Norden und ein anderes im Süden auch
für die Ferne, der gesicherte Markt von 70 Mill. Menschen, zu welchen in nicht sehr
langer Zeit mich neue 30 Mill. -- Italien, Dänemark, Holland -- hinzutreten
dürften, würden dieser Handelseinheit in Europa ein Uebergewicht verschaffen, wogegen selbst
das englische in den Hintergrund treten müßte. Es ist aber bemerkenswerth, wie die
nationalökonomischen Begriffe und Ansichten über diesen so wichtigen Akt der Einigung
gegenseitig im Unklaren sind, und wir müssen deßwegen mit doppelter Aufmerksamkeit
jeden Beitrag zur Verständigung entgegennehme".

Vor einigen Tagen erst ist das östreichische Handelsministerium wieder mit einer
neuen Denkschrift, aber leider ebenfalls wieder mit einer nicht glücklicheren als der ersten
aufgetreten. Man hatte in der ersten ein näheres Eingehen auf die als Ganzes hinge¬
worfene Idee vermißt, und sieht sich in der zweiten wieder schmerzlich getäuscht, wenn
man die darin enthaltenen Vorschläge aus praktischen Boden verpflanzen will. ^ Die
Denkschrift erkennt zwar gleich im Anfange an, daß die mitteleuropäische Handels-


und von dem politischen Leben seiner Stammgenossen, von der europäischen (Zivili¬
sation ausgeschlossen. —

Das ist keine gute „Gleichberechtigung". — .


^


öl-. Siegfried Becher über die östreichisch-deutsche Zoll- und
Hlmdelseinigung.

Die materiellen Interessen drängen wieder in den Vordergrund, und der alte Er-
fahrungssatz: daß der Magen der größte Revolutionär sei, hat auch die Regierungen
dahin gebracht, sich mehr als sonst nach neuen, mit den politischen Verhältnissen eng
verknüpften Modalitäten dieser Frage umzusehn und wenigstens am Leibe gut zu
machen, was man an dem Geiste gesündigt.

Man muß gestehen, daß an Virtuosität des guten Scheins es hierin keine mit der
östreichischen aufzunehmen im Stande ist. Wir wollen den handelspolitischen und staats¬
männischen Kenntnissen des Hrn. v. Bruck nicht im Geringsten nahe treten, aber es
würde gewiß kein kleiner Grad von Naivetät dazu gehören, alle seine Zoll- und
Handclseinignngs-Vorschläge, womit er die östreichisch-deutsche Einheit herstellen wollte,
ihm ohne Rückhalt aufs Wort zu glauben. Es wird uns, wie so vielen Andern, ver¬
gönnt sein, zu glauben, daß neben der großen nationalökonomischen Idee auch ein klein
wenig politisches Fühlen dabei im Spiele sei.

Bisher haben sich nun natürlich alle Verhandlungen zerschlagen, und doch ist es etwas
Großes um die Idee eines mitteleuropäischen Zollvereins. Der Neichthum, die Pro-
ductionskraft und die Gewerbthätigkeit der Länder, ihre erleichterten Verbindungen nach
den Nachbarstaaten n»d durch ein Meer im Norden und ein anderes im Süden auch
für die Ferne, der gesicherte Markt von 70 Mill. Menschen, zu welchen in nicht sehr
langer Zeit mich neue 30 Mill. — Italien, Dänemark, Holland — hinzutreten
dürften, würden dieser Handelseinheit in Europa ein Uebergewicht verschaffen, wogegen selbst
das englische in den Hintergrund treten müßte. Es ist aber bemerkenswerth, wie die
nationalökonomischen Begriffe und Ansichten über diesen so wichtigen Akt der Einigung
gegenseitig im Unklaren sind, und wir müssen deßwegen mit doppelter Aufmerksamkeit
jeden Beitrag zur Verständigung entgegennehme».

Vor einigen Tagen erst ist das östreichische Handelsministerium wieder mit einer
neuen Denkschrift, aber leider ebenfalls wieder mit einer nicht glücklicheren als der ersten
aufgetreten. Man hatte in der ersten ein näheres Eingehen auf die als Ganzes hinge¬
worfene Idee vermißt, und sieht sich in der zweiten wieder schmerzlich getäuscht, wenn
man die darin enthaltenen Vorschläge aus praktischen Boden verpflanzen will. ^ Die
Denkschrift erkennt zwar gleich im Anfange an, daß die mitteleuropäische Handels-


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[0119] und von dem politischen Leben seiner Stammgenossen, von der europäischen (Zivili¬ sation ausgeschlossen. — Das ist keine gute „Gleichberechtigung". — . ^ öl-. Siegfried Becher über die östreichisch-deutsche Zoll- und Hlmdelseinigung. Die materiellen Interessen drängen wieder in den Vordergrund, und der alte Er- fahrungssatz: daß der Magen der größte Revolutionär sei, hat auch die Regierungen dahin gebracht, sich mehr als sonst nach neuen, mit den politischen Verhältnissen eng verknüpften Modalitäten dieser Frage umzusehn und wenigstens am Leibe gut zu machen, was man an dem Geiste gesündigt. Man muß gestehen, daß an Virtuosität des guten Scheins es hierin keine mit der östreichischen aufzunehmen im Stande ist. Wir wollen den handelspolitischen und staats¬ männischen Kenntnissen des Hrn. v. Bruck nicht im Geringsten nahe treten, aber es würde gewiß kein kleiner Grad von Naivetät dazu gehören, alle seine Zoll- und Handclseinignngs-Vorschläge, womit er die östreichisch-deutsche Einheit herstellen wollte, ihm ohne Rückhalt aufs Wort zu glauben. Es wird uns, wie so vielen Andern, ver¬ gönnt sein, zu glauben, daß neben der großen nationalökonomischen Idee auch ein klein wenig politisches Fühlen dabei im Spiele sei. Bisher haben sich nun natürlich alle Verhandlungen zerschlagen, und doch ist es etwas Großes um die Idee eines mitteleuropäischen Zollvereins. Der Neichthum, die Pro- ductionskraft und die Gewerbthätigkeit der Länder, ihre erleichterten Verbindungen nach den Nachbarstaaten n»d durch ein Meer im Norden und ein anderes im Süden auch für die Ferne, der gesicherte Markt von 70 Mill. Menschen, zu welchen in nicht sehr langer Zeit mich neue 30 Mill. — Italien, Dänemark, Holland — hinzutreten dürften, würden dieser Handelseinheit in Europa ein Uebergewicht verschaffen, wogegen selbst das englische in den Hintergrund treten müßte. Es ist aber bemerkenswerth, wie die nationalökonomischen Begriffe und Ansichten über diesen so wichtigen Akt der Einigung gegenseitig im Unklaren sind, und wir müssen deßwegen mit doppelter Aufmerksamkeit jeden Beitrag zur Verständigung entgegennehme». Vor einigen Tagen erst ist das östreichische Handelsministerium wieder mit einer neuen Denkschrift, aber leider ebenfalls wieder mit einer nicht glücklicheren als der ersten aufgetreten. Man hatte in der ersten ein näheres Eingehen auf die als Ganzes hinge¬ worfene Idee vermißt, und sieht sich in der zweiten wieder schmerzlich getäuscht, wenn man die darin enthaltenen Vorschläge aus praktischen Boden verpflanzen will. ^ Die Denkschrift erkennt zwar gleich im Anfange an, daß die mitteleuropäische Handels-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/119>, abgerufen am 27.07.2024.