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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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und seiner Nachfolger" (I.loof ok ^adomecl auel ins 8aeee88ors, 2 vol.) erschien
von ihn: bei Murray in. London. Mancherlei findet die englische Kritik an dem
reizenden Werk auszustellen; Irving hat sich nicht den Zugang zu den arabischen
Quellen verschaffen können, da er kein Orientalist ist; er gibt nicht einmal eine
historische Einleitung über den Rückfall der christlichen Kirchen des Morgen- und
Abendlandes in faktisches Heidenthum, über den Beginn politischer und moralischer
Auflösung des byzantinischen Reichs, kurz, über die verzweifelten Zustände des
siebenten Jahrhunderts, die dem raschen Aufschwung des Mohamedanismus so
günstig waren; er verschmäht es nicht, Legenden und Sagen, die einer späteren
Zeit ihren Ursprung verdanken, so daß selbst der Araber Abulfeda keinen Gebrauch
von ihnen machte, in seine Biographie Mahomed's zu verweben; er hat überhaupt
dem Bedürfniß nach einer Geschichte Mahomed's, welches seit Gibbon'S qnellen-
armcr Zeit in England empfunden wird, uicht abgeholfen. ES sei ein Roman,
meint das Athenäum nach verdientem Lob der glänzenden, oft unwiderstehlich
fesselnden Schönheit der Darstellung; ein Roman, der Aussicht habe, in alle
Sprachen Europas übersehe und von Alt und Jung verschlungen zu werden, uicht
mehr und nicht weniger.

Das Athenäum mag im Wesentlichen Recht haben; jedenfalls trägt das Buch,
wie ein echter historischer Roman, das Gepräge innerer Wahrheit. Wo die Lul-
len, welche die Forschung der Geschichtskundigen oder selbst die nationale Tradi¬
tion leer ließ, durch graziöse Fiction ausgefüllt sind, wurzelt diese Dichtung doch tief
im Charakter der orientalischen Völker, tief in dem Wesen der menschlichen
Natur überhaupt. Wir sehen, wie Mahomet, der ursprünglich nur als
Reformator auftreten wollte, allmälig gedrängt wird, Stifter eines neuen Glau¬
bens zu werden; wie der Glanbensstifter, indem er die nationalen Eigenthümlich¬
keiten seines Stammes und die Individualität seiner Jünger klug benutzt, mit der
Zeit von seineu Organen beherrscht und fortgerissen wird. Glorreiche Abkunft
und persönliche Schönheit sind die unerläßlichen aristokratischen Vorzüge eines
GlanbensstisterS; Armuth, einfaches Leben, tiefsinnige Melancholie und das
Schicksal des Verfolgten sind die demokratischen Tugenden, die in den Augen
des Volkes ihn mit geheimnißvollem Zauber umkleiden und die Schwärmerei
für seiue Lehre immer weiter verbreiten.

Mahomed ist von Haus ans der friedliebendste unter allen Visionären des
Morgen- und Abendlandes. Wäre seine Scheu vor Blutvergießen nicht zum
Theil eine Folge diplomatischer Klugheit, seine Sanftmuth erschiene uus für einen
Araber unnatürlich. Zehn Jahre lang sind er und sein Koran Gegenstand der
bittersten. Verfolgung, mehr als die Dolche, die ihn: nach dem Leben trachten,
verwunden ihn die Spöttereien und Satyren des skeptischen und witzigen Araber¬
volks; und binnen dieser Zeit gelingt es ihm nicht mehr als etwa vierzig Prose-
lyten zu werben; darunter sind jedoch leidenschaftliche Anhänger, die als Meuchel-


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und seiner Nachfolger" (I.loof ok ^adomecl auel ins 8aeee88ors, 2 vol.) erschien
von ihn: bei Murray in. London. Mancherlei findet die englische Kritik an dem
reizenden Werk auszustellen; Irving hat sich nicht den Zugang zu den arabischen
Quellen verschaffen können, da er kein Orientalist ist; er gibt nicht einmal eine
historische Einleitung über den Rückfall der christlichen Kirchen des Morgen- und
Abendlandes in faktisches Heidenthum, über den Beginn politischer und moralischer
Auflösung des byzantinischen Reichs, kurz, über die verzweifelten Zustände des
siebenten Jahrhunderts, die dem raschen Aufschwung des Mohamedanismus so
günstig waren; er verschmäht es nicht, Legenden und Sagen, die einer späteren
Zeit ihren Ursprung verdanken, so daß selbst der Araber Abulfeda keinen Gebrauch
von ihnen machte, in seine Biographie Mahomed's zu verweben; er hat überhaupt
dem Bedürfniß nach einer Geschichte Mahomed's, welches seit Gibbon'S qnellen-
armcr Zeit in England empfunden wird, uicht abgeholfen. ES sei ein Roman,
meint das Athenäum nach verdientem Lob der glänzenden, oft unwiderstehlich
fesselnden Schönheit der Darstellung; ein Roman, der Aussicht habe, in alle
Sprachen Europas übersehe und von Alt und Jung verschlungen zu werden, uicht
mehr und nicht weniger.

Das Athenäum mag im Wesentlichen Recht haben; jedenfalls trägt das Buch,
wie ein echter historischer Roman, das Gepräge innerer Wahrheit. Wo die Lul-
len, welche die Forschung der Geschichtskundigen oder selbst die nationale Tradi¬
tion leer ließ, durch graziöse Fiction ausgefüllt sind, wurzelt diese Dichtung doch tief
im Charakter der orientalischen Völker, tief in dem Wesen der menschlichen
Natur überhaupt. Wir sehen, wie Mahomet, der ursprünglich nur als
Reformator auftreten wollte, allmälig gedrängt wird, Stifter eines neuen Glau¬
bens zu werden; wie der Glanbensstifter, indem er die nationalen Eigenthümlich¬
keiten seines Stammes und die Individualität seiner Jünger klug benutzt, mit der
Zeit von seineu Organen beherrscht und fortgerissen wird. Glorreiche Abkunft
und persönliche Schönheit sind die unerläßlichen aristokratischen Vorzüge eines
GlanbensstisterS; Armuth, einfaches Leben, tiefsinnige Melancholie und das
Schicksal des Verfolgten sind die demokratischen Tugenden, die in den Augen
des Volkes ihn mit geheimnißvollem Zauber umkleiden und die Schwärmerei
für seiue Lehre immer weiter verbreiten.

Mahomed ist von Haus ans der friedliebendste unter allen Visionären des
Morgen- und Abendlandes. Wäre seine Scheu vor Blutvergießen nicht zum
Theil eine Folge diplomatischer Klugheit, seine Sanftmuth erschiene uus für einen
Araber unnatürlich. Zehn Jahre lang sind er und sein Koran Gegenstand der
bittersten. Verfolgung, mehr als die Dolche, die ihn: nach dem Leben trachten,
verwunden ihn die Spöttereien und Satyren des skeptischen und witzigen Araber¬
volks; und binnen dieser Zeit gelingt es ihm nicht mehr als etwa vierzig Prose-
lyten zu werben; darunter sind jedoch leidenschaftliche Anhänger, die als Meuchel-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/99>, abgerufen am 01.07.2024.