Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

späteren mit der Idee des Rechts; was in den MMreS, in dem ewigen Juden
n. s. w. zerstreut vorkommt, ist in den "sieben Todsünden" zu einer gewissen To¬
talität gesammelt. Was das Christenthum als Sünde betrachtet hat, soll vielmehr
das Gute sein: der sinnliche Genuß und die sinnliche Kraft. -- Es ist ein Capitel,
auf welches ich noch einmal zurückkommen mich.

Es ist kein selbstständiges Ideal, welches der moderne Dichter den Abstrac-
tionen des Christenthums entgegenstellt, souderu das altfranzösische, altkatholische.
Der Katholicismus -- nud das ist sein wesentlicher Unterschied von unserer Kirche
-- hat ein doppeltes Ideal, ein himmlisches und ein irdisches; bei ihm ist die
Ehe Sacrament wie die Priesterweihe; er weiht selbst den sinnlichen Genuß, indem
er durch das momentane Gebot der Fasten eine unberechtigte Wichtigkeit darauf
legt. -- Darum siud die neuen Evangelisten, welche die frohe Botschaft des gleich-
vertheilten sinnlichen Gewisses der leidenden Welt predigen, ganz eigentlich im
Katholicismus zu Hause; es ist das ein neuer Himmel, nur daß seine im Un¬
glauben aufgewachsenen Apostel ihn auf die Erde verlegen. Bei uns Protestanten,
die wir in alleil Dingen gewohnt sind, das geistige Moment aufzufassen, wird diese
Lehre kein großes Glück machen.

Bei Engen Sue aber ist dieses Verhältniß zum Socialismus sehr bezeich-
nend. Mau hat es ihm zum Norwurf gemacht, daß er Bücher für das Volk
schreibt, gegen die Bourgeoisie, gegen das Capital, während er sich selbst einen
Raffinement des Luxus und der wollüstigen Genüsse ergibt, an welches unsere
armen deutsche" Poeten kaum in ihren Träumen zu denken wagen. Eugen Sue
hat keinen andern Begriff von Glückseligkeit, als den ihm seine Zeit gibt; in
seinen Schilderungen wie in seinem Leben ist es nur das Fieber des Genusses,
der Wollust, die Fabelwelt von Aladdiu's Wunderlampe, was ihn begeistert.
Nun kommt aber der abstracte Idealismus dazu, der bei ihm das Wesen des
Rechts ergänzt. Eigentlich siud doch alle Menschen dazu bestimmt, glücklich zu
sein d. h. Champagner zu trinken, hübsche Grisetten zu küssen, und sich in Schlaf-
rocke aus Kaschmir einzuhüllen -- Das ist ebeu die positive Seite des Socia¬
lismus, und linker diesem Banner zieht er gegen das Reich der Selbstsucht zu Felde.

Sein "Jesuitismus der Tugend " ist daher ans sehr naheliegenden Gründen
immer demokratischer geworden. In den Mysteres ist es ein verkappter
Fürst, der das Princip des Guten vertritt; im ewigen Juden eine meist ans
Aristokraten zusammengesetzte Societät, die noble Familie des alten Ahasver, ge¬
führt und beschütt von ihrem fabelhaften Stammvater; die vornehmen Apostel
des sinnlichen Genusses im Kampfe mit den Jesuiten, den Priestern der christlichen
Abstraction, die mit den Sinnen bricht. In Martin ist es ein Kammerdiener,
der die Rolle der Vorsehung übernimmt; in der Ausführung so cynisch, abge¬
schmackt und lächerlich als möglich, der Anlage nach aber ein Repräsentant des
Götzen "Volk", den man sich um so brillanter ausgestattet denken kann, je un-


Grciizl'oder. II, I8S0. 12

späteren mit der Idee des Rechts; was in den MMreS, in dem ewigen Juden
n. s. w. zerstreut vorkommt, ist in den „sieben Todsünden" zu einer gewissen To¬
talität gesammelt. Was das Christenthum als Sünde betrachtet hat, soll vielmehr
das Gute sein: der sinnliche Genuß und die sinnliche Kraft. — Es ist ein Capitel,
auf welches ich noch einmal zurückkommen mich.

Es ist kein selbstständiges Ideal, welches der moderne Dichter den Abstrac-
tionen des Christenthums entgegenstellt, souderu das altfranzösische, altkatholische.
Der Katholicismus — nud das ist sein wesentlicher Unterschied von unserer Kirche
— hat ein doppeltes Ideal, ein himmlisches und ein irdisches; bei ihm ist die
Ehe Sacrament wie die Priesterweihe; er weiht selbst den sinnlichen Genuß, indem
er durch das momentane Gebot der Fasten eine unberechtigte Wichtigkeit darauf
legt. — Darum siud die neuen Evangelisten, welche die frohe Botschaft des gleich-
vertheilten sinnlichen Gewisses der leidenden Welt predigen, ganz eigentlich im
Katholicismus zu Hause; es ist das ein neuer Himmel, nur daß seine im Un¬
glauben aufgewachsenen Apostel ihn auf die Erde verlegen. Bei uns Protestanten,
die wir in alleil Dingen gewohnt sind, das geistige Moment aufzufassen, wird diese
Lehre kein großes Glück machen.

Bei Engen Sue aber ist dieses Verhältniß zum Socialismus sehr bezeich-
nend. Mau hat es ihm zum Norwurf gemacht, daß er Bücher für das Volk
schreibt, gegen die Bourgeoisie, gegen das Capital, während er sich selbst einen
Raffinement des Luxus und der wollüstigen Genüsse ergibt, an welches unsere
armen deutsche» Poeten kaum in ihren Träumen zu denken wagen. Eugen Sue
hat keinen andern Begriff von Glückseligkeit, als den ihm seine Zeit gibt; in
seinen Schilderungen wie in seinem Leben ist es nur das Fieber des Genusses,
der Wollust, die Fabelwelt von Aladdiu's Wunderlampe, was ihn begeistert.
Nun kommt aber der abstracte Idealismus dazu, der bei ihm das Wesen des
Rechts ergänzt. Eigentlich siud doch alle Menschen dazu bestimmt, glücklich zu
sein d. h. Champagner zu trinken, hübsche Grisetten zu küssen, und sich in Schlaf-
rocke aus Kaschmir einzuhüllen — Das ist ebeu die positive Seite des Socia¬
lismus, und linker diesem Banner zieht er gegen das Reich der Selbstsucht zu Felde.

Sein „Jesuitismus der Tugend " ist daher ans sehr naheliegenden Gründen
immer demokratischer geworden. In den Mysteres ist es ein verkappter
Fürst, der das Princip des Guten vertritt; im ewigen Juden eine meist ans
Aristokraten zusammengesetzte Societät, die noble Familie des alten Ahasver, ge¬
führt und beschütt von ihrem fabelhaften Stammvater; die vornehmen Apostel
des sinnlichen Genusses im Kampfe mit den Jesuiten, den Priestern der christlichen
Abstraction, die mit den Sinnen bricht. In Martin ist es ein Kammerdiener,
der die Rolle der Vorsehung übernimmt; in der Ausführung so cynisch, abge¬
schmackt und lächerlich als möglich, der Anlage nach aber ein Repräsentant des
Götzen „Volk", den man sich um so brillanter ausgestattet denken kann, je un-


Grciizl'oder. II, I8S0. 12
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185433"/>
          <p xml:id="ID_271" prev="#ID_270"> späteren mit der Idee des Rechts; was in den MMreS, in dem ewigen Juden<lb/>
n. s. w. zerstreut vorkommt, ist in den &#x201E;sieben Todsünden" zu einer gewissen To¬<lb/>
talität gesammelt. Was das Christenthum als Sünde betrachtet hat, soll vielmehr<lb/>
das Gute sein: der sinnliche Genuß und die sinnliche Kraft. &#x2014; Es ist ein Capitel,<lb/>
auf welches ich noch einmal zurückkommen mich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_272"> Es ist kein selbstständiges Ideal, welches der moderne Dichter den Abstrac-<lb/>
tionen des Christenthums entgegenstellt, souderu das altfranzösische, altkatholische.<lb/>
Der Katholicismus &#x2014; nud das ist sein wesentlicher Unterschied von unserer Kirche<lb/>
&#x2014; hat ein doppeltes Ideal, ein himmlisches und ein irdisches; bei ihm ist die<lb/>
Ehe Sacrament wie die Priesterweihe; er weiht selbst den sinnlichen Genuß, indem<lb/>
er durch das momentane Gebot der Fasten eine unberechtigte Wichtigkeit darauf<lb/>
legt. &#x2014; Darum siud die neuen Evangelisten, welche die frohe Botschaft des gleich-<lb/>
vertheilten sinnlichen Gewisses der leidenden Welt predigen, ganz eigentlich im<lb/>
Katholicismus zu Hause; es ist das ein neuer Himmel, nur daß seine im Un¬<lb/>
glauben aufgewachsenen Apostel ihn auf die Erde verlegen. Bei uns Protestanten,<lb/>
die wir in alleil Dingen gewohnt sind, das geistige Moment aufzufassen, wird diese<lb/>
Lehre kein großes Glück machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_273"> Bei Engen Sue aber ist dieses Verhältniß zum Socialismus sehr bezeich-<lb/>
nend. Mau hat es ihm zum Norwurf gemacht, daß er Bücher für das Volk<lb/>
schreibt, gegen die Bourgeoisie, gegen das Capital, während er sich selbst einen<lb/>
Raffinement des Luxus und der wollüstigen Genüsse ergibt, an welches unsere<lb/>
armen deutsche» Poeten kaum in ihren Träumen zu denken wagen. Eugen Sue<lb/>
hat keinen andern Begriff von Glückseligkeit, als den ihm seine Zeit gibt; in<lb/>
seinen Schilderungen wie in seinem Leben ist es nur das Fieber des Genusses,<lb/>
der Wollust, die Fabelwelt von Aladdiu's Wunderlampe, was ihn begeistert.<lb/>
Nun kommt aber der abstracte Idealismus dazu, der bei ihm das Wesen des<lb/>
Rechts ergänzt. Eigentlich siud doch alle Menschen dazu bestimmt, glücklich zu<lb/>
sein d. h. Champagner zu trinken, hübsche Grisetten zu küssen, und sich in Schlaf-<lb/>
rocke aus Kaschmir einzuhüllen &#x2014; Das ist ebeu die positive Seite des Socia¬<lb/>
lismus, und linker diesem Banner zieht er gegen das Reich der Selbstsucht zu Felde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_274" next="#ID_275"> Sein &#x201E;Jesuitismus der Tugend " ist daher ans sehr naheliegenden Gründen<lb/>
immer demokratischer geworden. In den Mysteres ist es ein verkappter<lb/>
Fürst, der das Princip des Guten vertritt; im ewigen Juden eine meist ans<lb/>
Aristokraten zusammengesetzte Societät, die noble Familie des alten Ahasver, ge¬<lb/>
führt und beschütt von ihrem fabelhaften Stammvater; die vornehmen Apostel<lb/>
des sinnlichen Genusses im Kampfe mit den Jesuiten, den Priestern der christlichen<lb/>
Abstraction, die mit den Sinnen bricht. In Martin ist es ein Kammerdiener,<lb/>
der die Rolle der Vorsehung übernimmt; in der Ausführung so cynisch, abge¬<lb/>
schmackt und lächerlich als möglich, der Anlage nach aber ein Repräsentant des<lb/>
Götzen &#x201E;Volk", den man sich um so brillanter ausgestattet denken kann, je un-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grciizl'oder. II, I8S0. 12</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0097] späteren mit der Idee des Rechts; was in den MMreS, in dem ewigen Juden n. s. w. zerstreut vorkommt, ist in den „sieben Todsünden" zu einer gewissen To¬ talität gesammelt. Was das Christenthum als Sünde betrachtet hat, soll vielmehr das Gute sein: der sinnliche Genuß und die sinnliche Kraft. — Es ist ein Capitel, auf welches ich noch einmal zurückkommen mich. Es ist kein selbstständiges Ideal, welches der moderne Dichter den Abstrac- tionen des Christenthums entgegenstellt, souderu das altfranzösische, altkatholische. Der Katholicismus — nud das ist sein wesentlicher Unterschied von unserer Kirche — hat ein doppeltes Ideal, ein himmlisches und ein irdisches; bei ihm ist die Ehe Sacrament wie die Priesterweihe; er weiht selbst den sinnlichen Genuß, indem er durch das momentane Gebot der Fasten eine unberechtigte Wichtigkeit darauf legt. — Darum siud die neuen Evangelisten, welche die frohe Botschaft des gleich- vertheilten sinnlichen Gewisses der leidenden Welt predigen, ganz eigentlich im Katholicismus zu Hause; es ist das ein neuer Himmel, nur daß seine im Un¬ glauben aufgewachsenen Apostel ihn auf die Erde verlegen. Bei uns Protestanten, die wir in alleil Dingen gewohnt sind, das geistige Moment aufzufassen, wird diese Lehre kein großes Glück machen. Bei Engen Sue aber ist dieses Verhältniß zum Socialismus sehr bezeich- nend. Mau hat es ihm zum Norwurf gemacht, daß er Bücher für das Volk schreibt, gegen die Bourgeoisie, gegen das Capital, während er sich selbst einen Raffinement des Luxus und der wollüstigen Genüsse ergibt, an welches unsere armen deutsche» Poeten kaum in ihren Träumen zu denken wagen. Eugen Sue hat keinen andern Begriff von Glückseligkeit, als den ihm seine Zeit gibt; in seinen Schilderungen wie in seinem Leben ist es nur das Fieber des Genusses, der Wollust, die Fabelwelt von Aladdiu's Wunderlampe, was ihn begeistert. Nun kommt aber der abstracte Idealismus dazu, der bei ihm das Wesen des Rechts ergänzt. Eigentlich siud doch alle Menschen dazu bestimmt, glücklich zu sein d. h. Champagner zu trinken, hübsche Grisetten zu küssen, und sich in Schlaf- rocke aus Kaschmir einzuhüllen — Das ist ebeu die positive Seite des Socia¬ lismus, und linker diesem Banner zieht er gegen das Reich der Selbstsucht zu Felde. Sein „Jesuitismus der Tugend " ist daher ans sehr naheliegenden Gründen immer demokratischer geworden. In den Mysteres ist es ein verkappter Fürst, der das Princip des Guten vertritt; im ewigen Juden eine meist ans Aristokraten zusammengesetzte Societät, die noble Familie des alten Ahasver, ge¬ führt und beschütt von ihrem fabelhaften Stammvater; die vornehmen Apostel des sinnlichen Genusses im Kampfe mit den Jesuiten, den Priestern der christlichen Abstraction, die mit den Sinnen bricht. In Martin ist es ein Kammerdiener, der die Rolle der Vorsehung übernimmt; in der Ausführung so cynisch, abge¬ schmackt und lächerlich als möglich, der Anlage nach aber ein Repräsentant des Götzen „Volk", den man sich um so brillanter ausgestattet denken kann, je un- Grciizl'oder. II, I8S0. 12

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/97
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/97>, abgerufen am 01.07.2024.