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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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sich unter den Pantoffel seiner Frau schmiegt, als ein ebenso tapferer als einsichts¬
voller Officier. Der Hauptheld aber ist ein gewisser Herr von S^iffie, der sich zu
dieser verschrobenen Wirthschaft ironisch verhält. Er gilt daher dein Dichter für
einen ausgemachten Teufel, obgleich er nichts thut, was diesen Ruf rechtfertigen
total. -- Ein anderer Seeroman, in vigio et" Koat-Veo, breitet sich ausführlicher
über die Nichtigkeit aller irdischen Größe ans. Er versucht zu zeigen, daß Alles,
was in der öffentlichen Meinung als erhaben und würdig gefeiert'wird, ans den
nichtswürdigsteu Motiven entspringe. Der Held, ein rafftnirter Egoist, der Alles,
was mit ihm zu thun hat, betrügt und zu niedrigen Zwecken mißbraucht, lebt glücklich
bis an sein Eude, geehrt und geliebt von aller Welt; die braven Leute gehen zu
Grunde; die liberale Gesinnung beruht ans Gemeinheit u. s. w. Den Chorus
bildet ein aufgeklärter Priester, der über diese Verkehrtheit der Welt den größten
Jammer empfindet, und die Ungerechtigkeit des Schicksals dadurch auszugleichen
sucht, daß er jenen Egoisten ans dein Sterbebett einschüchtert. Aber es gelingt
ihm nicht, und verzweifelt ruft er aus: Wer sollte uun noch darau zweifeln, daß
in einem Jenseits dieses Unrecht ausgeglichen, das Gute belohnt und das Böse
bestraft werden muß? Und heizt nach einer längern, erschütternden Pause (vier
Reihen Gedankenstriche), mit fürchterlichem Blick gen Himmel hinzu: Noi!!!! --
Es siud in diesem Romane noch eine Reihe anmuthiger Episoden, z. B. eine
Herzogin, die von jenem Egoisten betrogen, sich rächen will, um unkenntlich zu
sein, sich das Gesicht mit Scheidewasser verstümmelt, und in dem untern Raume
des Schisses allerlei Intriguen spinnt, bis sie endlich als Hexe über Bord geworfen
wird. -- Am meisten Virtuos ist aber Eugen Sue in der Schilderung jeuer teuf¬
lisch en Blasirtheit, die aus zu stark angespannter Liederlichkeit hervorgeht, obgleich
ihm Balzac darin in mancher Beziehung den Rang abläuft. Leider läßt sich bei
Beiden eine gewisse brutale Portrait-Treue nicht verkennen. -- Die Geschichte des
Doppcllebens im Atar Gull habe ich bei einer andern Gelegenheit erzählt, neben
jenem Seeräuber aus getäuschter Liebe ist der Hauptheld ein Negersklave, der
sich mit dem ganzen Haß seines Stammes ans einen übrigens gutmüthigen Pflanzer
wirft, denselben ins Unglück bringt, ihn, als er vom Schlage getroffen ist, ans
jede mögliche Weise peinigt und sich dabei vor der Welt ein solches Ansehen auf-
opfernder Treue zu geben weiß, daß er den Monthyvnschen Tugendpreis erhält.
Alles ist Lüge in der Welt, am meisten die angebliche Tugend! das ist die Pointe,
aus welche all diese wunderlichen Erfindungen herauskommen.

Auch der historische Roman, in welchem sich Eugen Sue einige Male mit
sehr geringem Glücke versucht hat, dient diesem Zwecke. Es kommt ihm vorzugs¬
weise darauf an, die öffentliche Meinung über stark hervorragende Charaktere zu
widerlegen. So wird in dem einen Ludwig XIV. uicht uur als ein gemeiner
Schurke, souderu auch als ein ziemlich unbedeutender Mensch geschildert, in einem
andern Ludwig XV. als leidlich ruhmvoller König. Mit dem historischen Costüm


sich unter den Pantoffel seiner Frau schmiegt, als ein ebenso tapferer als einsichts¬
voller Officier. Der Hauptheld aber ist ein gewisser Herr von S^iffie, der sich zu
dieser verschrobenen Wirthschaft ironisch verhält. Er gilt daher dein Dichter für
einen ausgemachten Teufel, obgleich er nichts thut, was diesen Ruf rechtfertigen
total. — Ein anderer Seeroman, in vigio et« Koat-Veo, breitet sich ausführlicher
über die Nichtigkeit aller irdischen Größe ans. Er versucht zu zeigen, daß Alles,
was in der öffentlichen Meinung als erhaben und würdig gefeiert'wird, ans den
nichtswürdigsteu Motiven entspringe. Der Held, ein rafftnirter Egoist, der Alles,
was mit ihm zu thun hat, betrügt und zu niedrigen Zwecken mißbraucht, lebt glücklich
bis an sein Eude, geehrt und geliebt von aller Welt; die braven Leute gehen zu
Grunde; die liberale Gesinnung beruht ans Gemeinheit u. s. w. Den Chorus
bildet ein aufgeklärter Priester, der über diese Verkehrtheit der Welt den größten
Jammer empfindet, und die Ungerechtigkeit des Schicksals dadurch auszugleichen
sucht, daß er jenen Egoisten ans dein Sterbebett einschüchtert. Aber es gelingt
ihm nicht, und verzweifelt ruft er aus: Wer sollte uun noch darau zweifeln, daß
in einem Jenseits dieses Unrecht ausgeglichen, das Gute belohnt und das Böse
bestraft werden muß? Und heizt nach einer längern, erschütternden Pause (vier
Reihen Gedankenstriche), mit fürchterlichem Blick gen Himmel hinzu: Noi!!!! —
Es siud in diesem Romane noch eine Reihe anmuthiger Episoden, z. B. eine
Herzogin, die von jenem Egoisten betrogen, sich rächen will, um unkenntlich zu
sein, sich das Gesicht mit Scheidewasser verstümmelt, und in dem untern Raume
des Schisses allerlei Intriguen spinnt, bis sie endlich als Hexe über Bord geworfen
wird. — Am meisten Virtuos ist aber Eugen Sue in der Schilderung jeuer teuf¬
lisch en Blasirtheit, die aus zu stark angespannter Liederlichkeit hervorgeht, obgleich
ihm Balzac darin in mancher Beziehung den Rang abläuft. Leider läßt sich bei
Beiden eine gewisse brutale Portrait-Treue nicht verkennen. — Die Geschichte des
Doppcllebens im Atar Gull habe ich bei einer andern Gelegenheit erzählt, neben
jenem Seeräuber aus getäuschter Liebe ist der Hauptheld ein Negersklave, der
sich mit dem ganzen Haß seines Stammes ans einen übrigens gutmüthigen Pflanzer
wirft, denselben ins Unglück bringt, ihn, als er vom Schlage getroffen ist, ans
jede mögliche Weise peinigt und sich dabei vor der Welt ein solches Ansehen auf-
opfernder Treue zu geben weiß, daß er den Monthyvnschen Tugendpreis erhält.
Alles ist Lüge in der Welt, am meisten die angebliche Tugend! das ist die Pointe,
aus welche all diese wunderlichen Erfindungen herauskommen.

Auch der historische Roman, in welchem sich Eugen Sue einige Male mit
sehr geringem Glücke versucht hat, dient diesem Zwecke. Es kommt ihm vorzugs¬
weise darauf an, die öffentliche Meinung über stark hervorragende Charaktere zu
widerlegen. So wird in dem einen Ludwig XIV. uicht uur als ein gemeiner
Schurke, souderu auch als ein ziemlich unbedeutender Mensch geschildert, in einem
andern Ludwig XV. als leidlich ruhmvoller König. Mit dem historischen Costüm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/95>, abgerufen am 22.07.2024.