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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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schen Völker Oestreichs gegen ihre gegenwärtige Regierung. Der General begann
fürchterlich auf die slavischen Völker zu fluchen und ihren Nationalcharacter gröb¬
lich 5" verdächtigem, er wollte seine ethnographischen Kenntnisse im Brande der
Leidenschaft leuchten lassen. Der Lieutenant, obschon ein ächter kurländischer Ger¬
mane, nahm sich, nachdem er seine erste liefe Verwunderung überwunden, der
armen slavischen Völker eifrigst an, und suchte endlich seinen Gegeukampfer durch
den Einwurf z" entwaffnen: "Aber, Herr Generalmajor, Sie sind ja selbst ein
Slave!" -- Ueber diese Behauptung empörte sich der Russe fürchterlich und
brüllte aufspringend: "Was Herr, ein Slave? ich ein Slave? O Hundsfott, ein
Russe bin ich, ein echter Russe, in Meleuki geboren; wie köunen Sie sich unter¬
stehen, mich zu beschimpfe", KuKy ip "M! jelnrt lxvoj mol! u. s. w." Unter
diesem Donner und Hagel schlug des Generals Faust uach russischer Sitte mehre
Male in das Genick des Oberlientenants; dieser sah sich von dem slavischen Dä¬
mon, den er erweckt hatte, beim Kragen gepackt und zur Thür hinausgeworfen.
Einige Stunden spater empfing er ans der Brigadekanzlei ein Schreiben, durch
welches ihm das Gluck, Adjutant des Generals zu sein, entzogen wurde.

Nun wäre es freilich kühn zu behaupten, daß eine ähnliche Treuherzigkeit
auch in dein andern Rußland, nämlich dem düsteren Cabinet des Kaisers herrsche.
Den Sophokles und Thucydides liest man allerdings auch da nicht, und um die
alte Stammheldin Libussa bekümmert man sich dort ebensowenig, als da unter, wo
es von struppigen Lippen stöhnt: "O Bog, Vater unsers Kaisers, schenke uns nur
bis an unser" Tod Kohl und Schwarzbrot "ud bewahre uns in Deiner Huld vor dem
kleinen Teufel, der Knute." Allein bedeutsame Worte, wie Slavismus, versteht man
recht gut. Cinst frug der Kaiser, so erzähl/e man in Petersburg, den Professor
Neu: "Sagen Sie nur, mein Lieber, aus welchem Grunde sind die Ausdrücke
Slave, slavisch, Slaviömns hervorgewachsen?"" "Majestät, in der Urzeit er,i-
stirte ein nordischer Volksstamln, der seinen Wohnsitz zwischen dein Jlmensee und
Seligersee, also zwischen den Quelle" der Wolga und der heutigen Stadt Sta-
raja Nussa (alte Russin) hatte. Dieser Volksstamm wurde mit Namen dein Slawjoni
bezeichnet. Da er uun der älteste bekannte Theil des nordischen Volks, und also
der eigentliche Staunn desselben ist, so hat man auf alle Völker, welche mit ihm
in Sprache und Sitte, also ihrer Entstehung verwandt find, den Namen übertragen
so, daß man nnn alle Voller, welche eine der russischen verwandte Sprache spre¬
chen, slavische nennt." -- Seine Majestät hörte die lange Definition des Pro¬
fessors aufmerksam an, lächelte vor sich hin und schritt so belehrt, schweigend in
sein mehr erwähntes düsteres Cabinet. -- Es war keine Frage, daß in diesem
der Panslavismus besser verstanden wurde, als vom Professor. Man pflegt in
diesem Zimmer kurze und gradanögehende Reflexionen anzustellen, indem man
die einfache Frage beantwortet: was kaun er uns nützen? was kann er uns scha¬
den? Nit der Sprache und Nationalität liegt uns wenig. Der große Stier


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schen Völker Oestreichs gegen ihre gegenwärtige Regierung. Der General begann
fürchterlich auf die slavischen Völker zu fluchen und ihren Nationalcharacter gröb¬
lich 5» verdächtigem, er wollte seine ethnographischen Kenntnisse im Brande der
Leidenschaft leuchten lassen. Der Lieutenant, obschon ein ächter kurländischer Ger¬
mane, nahm sich, nachdem er seine erste liefe Verwunderung überwunden, der
armen slavischen Völker eifrigst an, und suchte endlich seinen Gegeukampfer durch
den Einwurf z„ entwaffnen: „Aber, Herr Generalmajor, Sie sind ja selbst ein
Slave!" — Ueber diese Behauptung empörte sich der Russe fürchterlich und
brüllte aufspringend: „Was Herr, ein Slave? ich ein Slave? O Hundsfott, ein
Russe bin ich, ein echter Russe, in Meleuki geboren; wie köunen Sie sich unter¬
stehen, mich zu beschimpfe», KuKy ip «M! jelnrt lxvoj mol! u. s. w." Unter
diesem Donner und Hagel schlug des Generals Faust uach russischer Sitte mehre
Male in das Genick des Oberlientenants; dieser sah sich von dem slavischen Dä¬
mon, den er erweckt hatte, beim Kragen gepackt und zur Thür hinausgeworfen.
Einige Stunden spater empfing er ans der Brigadekanzlei ein Schreiben, durch
welches ihm das Gluck, Adjutant des Generals zu sein, entzogen wurde.

Nun wäre es freilich kühn zu behaupten, daß eine ähnliche Treuherzigkeit
auch in dein andern Rußland, nämlich dem düsteren Cabinet des Kaisers herrsche.
Den Sophokles und Thucydides liest man allerdings auch da nicht, und um die
alte Stammheldin Libussa bekümmert man sich dort ebensowenig, als da unter, wo
es von struppigen Lippen stöhnt: „O Bog, Vater unsers Kaisers, schenke uns nur
bis an unser» Tod Kohl und Schwarzbrot »ud bewahre uns in Deiner Huld vor dem
kleinen Teufel, der Knute." Allein bedeutsame Worte, wie Slavismus, versteht man
recht gut. Cinst frug der Kaiser, so erzähl/e man in Petersburg, den Professor
Neu: „Sagen Sie nur, mein Lieber, aus welchem Grunde sind die Ausdrücke
Slave, slavisch, Slaviömns hervorgewachsen?"" „Majestät, in der Urzeit er,i-
stirte ein nordischer Volksstamln, der seinen Wohnsitz zwischen dein Jlmensee und
Seligersee, also zwischen den Quelle» der Wolga und der heutigen Stadt Sta-
raja Nussa (alte Russin) hatte. Dieser Volksstamm wurde mit Namen dein Slawjoni
bezeichnet. Da er uun der älteste bekannte Theil des nordischen Volks, und also
der eigentliche Staunn desselben ist, so hat man auf alle Völker, welche mit ihm
in Sprache und Sitte, also ihrer Entstehung verwandt find, den Namen übertragen
so, daß man nnn alle Voller, welche eine der russischen verwandte Sprache spre¬
chen, slavische nennt." — Seine Majestät hörte die lange Definition des Pro¬
fessors aufmerksam an, lächelte vor sich hin und schritt so belehrt, schweigend in
sein mehr erwähntes düsteres Cabinet. -- Es war keine Frage, daß in diesem
der Panslavismus besser verstanden wurde, als vom Professor. Man pflegt in
diesem Zimmer kurze und gradanögehende Reflexionen anzustellen, indem man
die einfache Frage beantwortet: was kaun er uns nützen? was kann er uns scha¬
den? Nit der Sprache und Nationalität liegt uns wenig. Der große Stier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/81>, abgerufen am 22.07.2024.