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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Als nach dein Losbrnch der deutschen Revolution die Heeresmassen aus
dem innern Rußland ni das Königreich Polen geworfen wurden, erhielt auch der
wackere Oberst von U --vo, der Conunandant von W., deu Befehl, dem großen
Hceresstromc zu folgen. Der protestantische Prediger K., um'leder sich zufällig als
Reisender in seiner Stadt befand und durch de>l General Brözeniew an deu
Obersten empfohlen war, beeilte sich, diesem tüchtigen russischen Krieger einen Be¬
such zu machen. Natürlich ging das Gespräch bald ans die Ursache der Heeres¬
bewegungen, die Revolution im nahen Auslande, über, und der Pastor, sehr für
die Idee des Panslavismus eingenommen, wie die protestantischen Geistlichen der
Slaven, welche deutscheu Unterricht genossen haben, zu sein pflegen, begann
seinem Herzen Lust zu mache" und gewaltig Rußlands Weltherrschaft und den
Panslavismus zu demonstriren. Der Oberst hatte eine lange Weile verbinde, aber
aufmerksam zugehört, bis er endlich dem Pastor mit Würde sagte: "Mein Herr
Pastor, ich schäme mich nicht, zu bekennen, daß ich kein Gelehrter bin, nud daß
mich die gelehrten Ausdrücke bisweilen in Verlegenheit sehen. Ich verstehe das
Kommando, die Verwaltuugsgesetze und mein Rechnungswesen, das Uebrige ist
eine Sache, die andere Leute angeht. Der Kaiser Nicolaus versteht nichts von
Musik, deshalb würde kein Mensch zu behaupten wagen, daß er weniger Kennt¬
nisse und Bildung besitze, als sein Klavierspieler. Sagen Sie, wer ist Ihr
Panslavismus?

"O Herr Obrist, -- Panslavismus ist eine Idee, die Idee der Vereinigung
aller slavischen Stämme."

Der Oberst sah auch jetzt noch den Pastor ganz verlegen an. Nach einer
Weile wiederholte er, sinnend und in seinem Gedächtnisse suchend: "Slavische...
Stämme? -- ... hin, slavische... Stämme." Plötzlich erhob er sich sehr unge¬
duldig und rief: "Wissen Sie was, lassen Sie das fremde Zeug, sprechen Sie
von irgend etwas Anderem."

Die Anecdote wurde übrigens von dem betroffenen Pastor weiter erzählt,
und ein Kaufmann in demselben Ort machte sich ein Vergnügen daraus, sie in
einer kleinen Gesellschaft von Deutschen unter Jubel nud Triumph über die rus¬
sische Unwissenheit zu erzählen, bis er dafür sieben Tage laug in einem russischen
Gefängniß sitzen mußte.

Herr von U, ein würdiger, ehrenwerther Mann, verstand nicht, was Pan-
slawisMus ist, und der Generalmajor K - w. in Minsk wußte uicht einmal, was ein
Slave ist. Als der Premierlientenaut Berg, dessen näher Anverwandter der
bekannte Generallieutenant ist, in ein Regiment des Generals K-w versetzt
und,von diesem zum vierte" Adjutanten ernannt ward, wurde ihm das Glück zu
Theil, zur Morgcutasel seines Herrn Commandeurs gezogen zu werden. Das Ge¬
spräch gerieth natürlich auch hier auf die revolutionäre" Bewegungen im Auslande,
und der Lieutenant sprach mit großem Eifer von der Unzuverlässigkeit der slavi-


Als nach dein Losbrnch der deutschen Revolution die Heeresmassen aus
dem innern Rußland ni das Königreich Polen geworfen wurden, erhielt auch der
wackere Oberst von U —vo, der Conunandant von W., deu Befehl, dem großen
Hceresstromc zu folgen. Der protestantische Prediger K., um'leder sich zufällig als
Reisender in seiner Stadt befand und durch de>l General Brözeniew an deu
Obersten empfohlen war, beeilte sich, diesem tüchtigen russischen Krieger einen Be¬
such zu machen. Natürlich ging das Gespräch bald ans die Ursache der Heeres¬
bewegungen, die Revolution im nahen Auslande, über, und der Pastor, sehr für
die Idee des Panslavismus eingenommen, wie die protestantischen Geistlichen der
Slaven, welche deutscheu Unterricht genossen haben, zu sein pflegen, begann
seinem Herzen Lust zu mache» und gewaltig Rußlands Weltherrschaft und den
Panslavismus zu demonstriren. Der Oberst hatte eine lange Weile verbinde, aber
aufmerksam zugehört, bis er endlich dem Pastor mit Würde sagte: „Mein Herr
Pastor, ich schäme mich nicht, zu bekennen, daß ich kein Gelehrter bin, nud daß
mich die gelehrten Ausdrücke bisweilen in Verlegenheit sehen. Ich verstehe das
Kommando, die Verwaltuugsgesetze und mein Rechnungswesen, das Uebrige ist
eine Sache, die andere Leute angeht. Der Kaiser Nicolaus versteht nichts von
Musik, deshalb würde kein Mensch zu behaupten wagen, daß er weniger Kennt¬
nisse und Bildung besitze, als sein Klavierspieler. Sagen Sie, wer ist Ihr
Panslavismus?

„O Herr Obrist, — Panslavismus ist eine Idee, die Idee der Vereinigung
aller slavischen Stämme."

Der Oberst sah auch jetzt noch den Pastor ganz verlegen an. Nach einer
Weile wiederholte er, sinnend und in seinem Gedächtnisse suchend: „Slavische...
Stämme? — ... hin, slavische... Stämme." Plötzlich erhob er sich sehr unge¬
duldig und rief: „Wissen Sie was, lassen Sie das fremde Zeug, sprechen Sie
von irgend etwas Anderem."

Die Anecdote wurde übrigens von dem betroffenen Pastor weiter erzählt,
und ein Kaufmann in demselben Ort machte sich ein Vergnügen daraus, sie in
einer kleinen Gesellschaft von Deutschen unter Jubel nud Triumph über die rus¬
sische Unwissenheit zu erzählen, bis er dafür sieben Tage laug in einem russischen
Gefängniß sitzen mußte.

Herr von U, ein würdiger, ehrenwerther Mann, verstand nicht, was Pan-
slawisMus ist, und der Generalmajor K - w. in Minsk wußte uicht einmal, was ein
Slave ist. Als der Premierlientenaut Berg, dessen näher Anverwandter der
bekannte Generallieutenant ist, in ein Regiment des Generals K-w versetzt
und,von diesem zum vierte» Adjutanten ernannt ward, wurde ihm das Glück zu
Theil, zur Morgcutasel seines Herrn Commandeurs gezogen zu werden. Das Ge¬
spräch gerieth natürlich auch hier auf die revolutionäre» Bewegungen im Auslande,
und der Lieutenant sprach mit großem Eifer von der Unzuverlässigkeit der slavi-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/80>, abgerufen am 22.07.2024.