Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Schönheit gesagt. . . Ja, wenn ich mir im Gedächtniß die Portraits der drei
jüngern Double-UonS neben einander stelle, finde ich selbst ihre leiblichen Phy¬
siognomien wesentlich verschiede"; in den Gesichtern des englischen und seiner
Kinder sehe ich Züge um den Mund, eine Art des Blicks, kurz ein Etwas, das
specifisch britisch ist, und vor dem selbst die uuvert'euubare Familienähnlichkeit mit
den continentalen Verwandte" zurücktritt.

Mehr als mau gewöhnlich denkt, nimmt die untermischte jüdische Race vom
Temperament und Charakter der Völker an, unter die sie verstreut ist; das gilt
auch vou solche" Länder", wo die moderne Cultur sie kaum oberflächlich beleckt
hat. Dem polnischen, dem magyarischen Juden ist etwas von dem physischen Muth
und dem aufbrausenden Geist seiner christlichen Landsleute eigen; der italienische
betrachtet seine transalpinischen Glaubensgenossen als Barbaren; der eingeborene
englische Jude ist in religiösen Dinge" rechtgläubig, wie die Anglikaner, obwohl
er in den gelehrten Bücher" der Synagoge weniger bewandert sein soll als der
Deutsche, und er hängt mit merkwürdiger Pietät an den Institutionen Nlteng-
landS, obwohl ihm diese Institutionen uoch heute die Thüren des Parlaments
verschliefen. In der Regel zeigt er einen englischen Nationalstolz, als wär' er
ein leibliches Kind John Bull'S oder seit Heiigist u"d Horsa'S Tage" ema"cipirt
gewesen.

Diese Erscheinung hat nichts Räthselhaftes. Aliengland schließt aus kirch¬
lichem Skrupel den Juden aus dem Rath seiner Gesetzgeber, aber seit Menschen¬
altern war es fern von ihm, dem Juden das Privatleben zu verbittern. Die
Bigotterie des Anglikanerö hat niemals kleinlichen Krämerneid zum Deckmantel
gedient, nie warf sie Unglimpf aus die gleichberechtigte Bigotterie des Hebräers,
oder suchte in seinem Abscheu vor Schweinfleisch einen Vorwand, ihn ein feind¬
seliges Glied der Gesellschaft zu nennen, und in seiner Feier des Sonnabends
einen Grund, ihm vou Montag bis Freitag el" beliebiges ehrliches Handwerk zu
legen. Ueber solche engbrüstige Mißgunst ist das freie Albion erhaben, die Gast¬
lichkeit Altenglands "läßt sich uicht lumpen", wie ma" zu sage" pflegt, selbst uicht
dem ausländische" Obdach suchende" Sohn Abrahams gegenüber; der einge¬
borene oder uaturalisirte aber gciüeßt i" alleil Welttheile" de" vollen Schnjz "ut
die weitreichende Freiheit eines englische" Bürgers. Fast scheint mir, daß der
"ichtemailcipirte englische Jude zuweilen anstehen würde, mit dem emancipirte"
deutscheu -- Christen zu tauschen. Ferner -trägt der herrschende Handelsgeist deö
heutigen Brite", welcher friedlich erworbenen Reichthum für ein ""zweideutiges
Verdienst, und ein Zeugniß von gottgefälligen Lebenswandel hält, dazu bei, die
Jude" zu uatioualistreu. Ciu Motiv endlich wirkt mehr als Alles: England
imponirt der Welt, es gebietet Ehrfurcht daheim und in der Fremde. Ohne Haß
bewundern zu dürfe", ist el" wohlthuendes Gefühl, welches i" jedem Gemüth
dankbare Anhänglichkeit an de" bewunderten Gegenstaud weckt. Auch das Stief-


Schönheit gesagt. . . Ja, wenn ich mir im Gedächtniß die Portraits der drei
jüngern Double-UonS neben einander stelle, finde ich selbst ihre leiblichen Phy¬
siognomien wesentlich verschiede»; in den Gesichtern des englischen und seiner
Kinder sehe ich Züge um den Mund, eine Art des Blicks, kurz ein Etwas, das
specifisch britisch ist, und vor dem selbst die uuvert'euubare Familienähnlichkeit mit
den continentalen Verwandte» zurücktritt.

Mehr als mau gewöhnlich denkt, nimmt die untermischte jüdische Race vom
Temperament und Charakter der Völker an, unter die sie verstreut ist; das gilt
auch vou solche» Länder», wo die moderne Cultur sie kaum oberflächlich beleckt
hat. Dem polnischen, dem magyarischen Juden ist etwas von dem physischen Muth
und dem aufbrausenden Geist seiner christlichen Landsleute eigen; der italienische
betrachtet seine transalpinischen Glaubensgenossen als Barbaren; der eingeborene
englische Jude ist in religiösen Dinge» rechtgläubig, wie die Anglikaner, obwohl
er in den gelehrten Bücher» der Synagoge weniger bewandert sein soll als der
Deutsche, und er hängt mit merkwürdiger Pietät an den Institutionen Nlteng-
landS, obwohl ihm diese Institutionen uoch heute die Thüren des Parlaments
verschliefen. In der Regel zeigt er einen englischen Nationalstolz, als wär' er
ein leibliches Kind John Bull'S oder seit Heiigist u»d Horsa'S Tage» ema»cipirt
gewesen.

Diese Erscheinung hat nichts Räthselhaftes. Aliengland schließt aus kirch¬
lichem Skrupel den Juden aus dem Rath seiner Gesetzgeber, aber seit Menschen¬
altern war es fern von ihm, dem Juden das Privatleben zu verbittern. Die
Bigotterie des Anglikanerö hat niemals kleinlichen Krämerneid zum Deckmantel
gedient, nie warf sie Unglimpf aus die gleichberechtigte Bigotterie des Hebräers,
oder suchte in seinem Abscheu vor Schweinfleisch einen Vorwand, ihn ein feind¬
seliges Glied der Gesellschaft zu nennen, und in seiner Feier des Sonnabends
einen Grund, ihm vou Montag bis Freitag el» beliebiges ehrliches Handwerk zu
legen. Ueber solche engbrüstige Mißgunst ist das freie Albion erhaben, die Gast¬
lichkeit Altenglands „läßt sich uicht lumpen", wie ma» zu sage» pflegt, selbst uicht
dem ausländische» Obdach suchende» Sohn Abrahams gegenüber; der einge¬
borene oder uaturalisirte aber gciüeßt i» alleil Welttheile» de» vollen Schnjz »ut
die weitreichende Freiheit eines englische» Bürgers. Fast scheint mir, daß der
»ichtemailcipirte englische Jude zuweilen anstehen würde, mit dem emancipirte»
deutscheu — Christen zu tauschen. Ferner -trägt der herrschende Handelsgeist deö
heutigen Brite», welcher friedlich erworbenen Reichthum für ein »»zweideutiges
Verdienst, und ein Zeugniß von gottgefälligen Lebenswandel hält, dazu bei, die
Jude» zu uatioualistreu. Ciu Motiv endlich wirkt mehr als Alles: England
imponirt der Welt, es gebietet Ehrfurcht daheim und in der Fremde. Ohne Haß
bewundern zu dürfe», ist el» wohlthuendes Gefühl, welches i» jedem Gemüth
dankbare Anhänglichkeit an de» bewunderten Gegenstaud weckt. Auch das Stief-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185410"/>
            <p xml:id="ID_209" prev="#ID_208"> Schönheit gesagt. . . Ja, wenn ich mir im Gedächtniß die Portraits der drei<lb/>
jüngern Double-UonS neben einander stelle, finde ich selbst ihre leiblichen Phy¬<lb/>
siognomien wesentlich verschiede»; in den Gesichtern des englischen und seiner<lb/>
Kinder sehe ich Züge um den Mund, eine Art des Blicks, kurz ein Etwas, das<lb/>
specifisch britisch ist, und vor dem selbst die uuvert'euubare Familienähnlichkeit mit<lb/>
den continentalen Verwandte» zurücktritt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_210"> Mehr als mau gewöhnlich denkt, nimmt die untermischte jüdische Race vom<lb/>
Temperament und Charakter der Völker an, unter die sie verstreut ist; das gilt<lb/>
auch vou solche» Länder», wo die moderne Cultur sie kaum oberflächlich beleckt<lb/>
hat. Dem polnischen, dem magyarischen Juden ist etwas von dem physischen Muth<lb/>
und dem aufbrausenden Geist seiner christlichen Landsleute eigen; der italienische<lb/>
betrachtet seine transalpinischen Glaubensgenossen als Barbaren; der eingeborene<lb/>
englische Jude ist in religiösen Dinge» rechtgläubig, wie die Anglikaner, obwohl<lb/>
er in den gelehrten Bücher» der Synagoge weniger bewandert sein soll als der<lb/>
Deutsche, und er hängt mit merkwürdiger Pietät an den Institutionen Nlteng-<lb/>
landS, obwohl ihm diese Institutionen uoch heute die Thüren des Parlaments<lb/>
verschliefen. In der Regel zeigt er einen englischen Nationalstolz, als wär' er<lb/>
ein leibliches Kind John Bull'S oder seit Heiigist u»d Horsa'S Tage» ema»cipirt<lb/>
gewesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_211" next="#ID_212"> Diese Erscheinung hat nichts Räthselhaftes. Aliengland schließt aus kirch¬<lb/>
lichem Skrupel den Juden aus dem Rath seiner Gesetzgeber, aber seit Menschen¬<lb/>
altern war es fern von ihm, dem Juden das Privatleben zu verbittern. Die<lb/>
Bigotterie des Anglikanerö hat niemals kleinlichen Krämerneid zum Deckmantel<lb/>
gedient, nie warf sie Unglimpf aus die gleichberechtigte Bigotterie des Hebräers,<lb/>
oder suchte in seinem Abscheu vor Schweinfleisch einen Vorwand, ihn ein feind¬<lb/>
seliges Glied der Gesellschaft zu nennen, und in seiner Feier des Sonnabends<lb/>
einen Grund, ihm vou Montag bis Freitag el» beliebiges ehrliches Handwerk zu<lb/>
legen. Ueber solche engbrüstige Mißgunst ist das freie Albion erhaben, die Gast¬<lb/>
lichkeit Altenglands &#x201E;läßt sich uicht lumpen", wie ma» zu sage» pflegt, selbst uicht<lb/>
dem ausländische» Obdach suchende» Sohn Abrahams gegenüber; der einge¬<lb/>
borene oder uaturalisirte aber gciüeßt i» alleil Welttheile» de» vollen Schnjz »ut<lb/>
die weitreichende Freiheit eines englische» Bürgers. Fast scheint mir, daß der<lb/>
»ichtemailcipirte englische Jude zuweilen anstehen würde, mit dem emancipirte»<lb/>
deutscheu &#x2014; Christen zu tauschen. Ferner -trägt der herrschende Handelsgeist deö<lb/>
heutigen Brite», welcher friedlich erworbenen Reichthum für ein »»zweideutiges<lb/>
Verdienst, und ein Zeugniß von gottgefälligen Lebenswandel hält, dazu bei, die<lb/>
Jude» zu uatioualistreu. Ciu Motiv endlich wirkt mehr als Alles: England<lb/>
imponirt der Welt, es gebietet Ehrfurcht daheim und in der Fremde. Ohne Haß<lb/>
bewundern zu dürfe», ist el» wohlthuendes Gefühl, welches i» jedem Gemüth<lb/>
dankbare Anhänglichkeit an de» bewunderten Gegenstaud weckt. Auch das Stief-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0074] Schönheit gesagt. . . Ja, wenn ich mir im Gedächtniß die Portraits der drei jüngern Double-UonS neben einander stelle, finde ich selbst ihre leiblichen Phy¬ siognomien wesentlich verschiede»; in den Gesichtern des englischen und seiner Kinder sehe ich Züge um den Mund, eine Art des Blicks, kurz ein Etwas, das specifisch britisch ist, und vor dem selbst die uuvert'euubare Familienähnlichkeit mit den continentalen Verwandte» zurücktritt. Mehr als mau gewöhnlich denkt, nimmt die untermischte jüdische Race vom Temperament und Charakter der Völker an, unter die sie verstreut ist; das gilt auch vou solche» Länder», wo die moderne Cultur sie kaum oberflächlich beleckt hat. Dem polnischen, dem magyarischen Juden ist etwas von dem physischen Muth und dem aufbrausenden Geist seiner christlichen Landsleute eigen; der italienische betrachtet seine transalpinischen Glaubensgenossen als Barbaren; der eingeborene englische Jude ist in religiösen Dinge» rechtgläubig, wie die Anglikaner, obwohl er in den gelehrten Bücher» der Synagoge weniger bewandert sein soll als der Deutsche, und er hängt mit merkwürdiger Pietät an den Institutionen Nlteng- landS, obwohl ihm diese Institutionen uoch heute die Thüren des Parlaments verschliefen. In der Regel zeigt er einen englischen Nationalstolz, als wär' er ein leibliches Kind John Bull'S oder seit Heiigist u»d Horsa'S Tage» ema»cipirt gewesen. Diese Erscheinung hat nichts Räthselhaftes. Aliengland schließt aus kirch¬ lichem Skrupel den Juden aus dem Rath seiner Gesetzgeber, aber seit Menschen¬ altern war es fern von ihm, dem Juden das Privatleben zu verbittern. Die Bigotterie des Anglikanerö hat niemals kleinlichen Krämerneid zum Deckmantel gedient, nie warf sie Unglimpf aus die gleichberechtigte Bigotterie des Hebräers, oder suchte in seinem Abscheu vor Schweinfleisch einen Vorwand, ihn ein feind¬ seliges Glied der Gesellschaft zu nennen, und in seiner Feier des Sonnabends einen Grund, ihm vou Montag bis Freitag el» beliebiges ehrliches Handwerk zu legen. Ueber solche engbrüstige Mißgunst ist das freie Albion erhaben, die Gast¬ lichkeit Altenglands „läßt sich uicht lumpen", wie ma» zu sage» pflegt, selbst uicht dem ausländische» Obdach suchende» Sohn Abrahams gegenüber; der einge¬ borene oder uaturalisirte aber gciüeßt i» alleil Welttheile» de» vollen Schnjz »ut die weitreichende Freiheit eines englische» Bürgers. Fast scheint mir, daß der »ichtemailcipirte englische Jude zuweilen anstehen würde, mit dem emancipirte» deutscheu — Christen zu tauschen. Ferner -trägt der herrschende Handelsgeist deö heutigen Brite», welcher friedlich erworbenen Reichthum für ein »»zweideutiges Verdienst, und ein Zeugniß von gottgefälligen Lebenswandel hält, dazu bei, die Jude» zu uatioualistreu. Ciu Motiv endlich wirkt mehr als Alles: England imponirt der Welt, es gebietet Ehrfurcht daheim und in der Fremde. Ohne Haß bewundern zu dürfe», ist el» wohlthuendes Gefühl, welches i» jedem Gemüth dankbare Anhänglichkeit an de» bewunderten Gegenstaud weckt. Auch das Stief-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/74
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/74>, abgerufen am 22.07.2024.