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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Kleine Bilder aus Gnglond.
3. Großvater Double-Uou")

sitzt im Erker der großen Nosastnbe zu ebener Erde, im Sorgcnstnhl; die L^ritte
hat er abgelegt und die Times als Schürze um den Leib geschlagen, denn ans
dem runden Seitentisch von glänzendem Mahagony blinken appetitliche Teller,
Gläser und Flaschen, der Alte genießt aber von dem Ueberfluß nur ein paar ein¬
gemachten Früchte, und mehr noch als diese Labung erquickt ihn seie gewöhnliche
Tafelmusik, ich meine das helle Gekicher seiner jüngsten Enkelinnen, Marianne und
Judh, die bald hinter dem Lehnstuhl, bald unter dem Tisch mit einander Ver-
steckens spielen. Zur Abwechslung pflegt die kohlschivarzhaarige Judy vorzusprin¬
gen und sich mit geschlossenen Augen zwischen die Kniee des Großvaters zu stellen,
worauf dieser, entzückt über die bekannte Kriegslist, dem Schelm Orangenschnitte
in den kleinen, aber weitaufgerissenen Mund steckt. Diese Judy ist eine höchst
unternehmende Bnmette von fünf Jahren; seit sie einmal in's Drury-Lane-Theater
mitgenommen wordeu, zwingt sie ihre ältere Schwester mit ihr Komödie zu spielen,
steigt mit pathetischen Geberden, den Feuerschnrer als Szepter im Arm , durch
die Stube, hält possirliche Reden in den schauerlichen Schlund des Kamins hin¬
ein und schneidet noch possirlichere Gesichter dazu. Da Marianne nur ans Nach¬
giebigfeit ans die Possen eingeht, so stellt sie sich oft sehr ungeschickt an und
verdirbt dnrch ihre Lauheit das Ensemble des Spiels, wofür sie von der Kleinen
gehörig gezaust und gebeutelt wird, natürlich ohne zu klagen oder sich zu wehren;
und doch ist Marianne eine gesetzte Person von acht Jahren, die im Nothfall sich
Morgens eigenhändig das aschblonde Haar kämmt und schon mehrmals unbegleitet
im Omnibus zur Schule fuhr; das runde Gesichtchen mit den hellgrauen Aeuglein
blickt so sorglich gutmüthig in die Welt: hängt ihr einen Schlüsselbund an das
Schürzenband, und das Hansmüttcrchen in Miniatur ist fertig.

In dieser Nosastube zu Brighton, die ich jetzt wieder betrete, lernte ich Gro߬
vater Double-Uott kennen. Gleich an der Thüre kann ich die ungeduldige Frende
gewahren, mit der er meine Heimkehr vom Spaziergang erwartet. Ein Sonnen¬
strahl dringt dnrch die hohe Scheibe des Erkerfensters, die ganze Gruppe beleuch¬
tend bis auf das rothe Sammetkäppchen, unter welchem das graugemischte Haar
des Alten schlicht aus die breite Stiru fällt; Wohlwollen leuchtet aus jeder der
zahllosen Runzeln seines regelmäßigen Gesichtes, die Augenbrauen sind erwartungs¬
voll in die Höhe gezogen, und mit zitternder Hand nach einem Spitzglas voll Ale
greifend, schreit er mir schon vom Weiten entgegen: Aha, Sie Deserteur, haben
Sie wieder nach Haus getroffen? Nun kommen Sie, um Gotteswillen, setzen Sie



Sich- Ur. 1!) der Grcnzboicn.
Kleine Bilder aus Gnglond.
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sitzt im Erker der großen Nosastnbe zu ebener Erde, im Sorgcnstnhl; die L^ritte
hat er abgelegt und die Times als Schürze um den Leib geschlagen, denn ans
dem runden Seitentisch von glänzendem Mahagony blinken appetitliche Teller,
Gläser und Flaschen, der Alte genießt aber von dem Ueberfluß nur ein paar ein¬
gemachten Früchte, und mehr noch als diese Labung erquickt ihn seie gewöhnliche
Tafelmusik, ich meine das helle Gekicher seiner jüngsten Enkelinnen, Marianne und
Judh, die bald hinter dem Lehnstuhl, bald unter dem Tisch mit einander Ver-
steckens spielen. Zur Abwechslung pflegt die kohlschivarzhaarige Judy vorzusprin¬
gen und sich mit geschlossenen Augen zwischen die Kniee des Großvaters zu stellen,
worauf dieser, entzückt über die bekannte Kriegslist, dem Schelm Orangenschnitte
in den kleinen, aber weitaufgerissenen Mund steckt. Diese Judy ist eine höchst
unternehmende Bnmette von fünf Jahren; seit sie einmal in's Drury-Lane-Theater
mitgenommen wordeu, zwingt sie ihre ältere Schwester mit ihr Komödie zu spielen,
steigt mit pathetischen Geberden, den Feuerschnrer als Szepter im Arm , durch
die Stube, hält possirliche Reden in den schauerlichen Schlund des Kamins hin¬
ein und schneidet noch possirlichere Gesichter dazu. Da Marianne nur ans Nach¬
giebigfeit ans die Possen eingeht, so stellt sie sich oft sehr ungeschickt an und
verdirbt dnrch ihre Lauheit das Ensemble des Spiels, wofür sie von der Kleinen
gehörig gezaust und gebeutelt wird, natürlich ohne zu klagen oder sich zu wehren;
und doch ist Marianne eine gesetzte Person von acht Jahren, die im Nothfall sich
Morgens eigenhändig das aschblonde Haar kämmt und schon mehrmals unbegleitet
im Omnibus zur Schule fuhr; das runde Gesichtchen mit den hellgrauen Aeuglein
blickt so sorglich gutmüthig in die Welt: hängt ihr einen Schlüsselbund an das
Schürzenband, und das Hansmüttcrchen in Miniatur ist fertig.

In dieser Nosastube zu Brighton, die ich jetzt wieder betrete, lernte ich Gro߬
vater Double-Uott kennen. Gleich an der Thüre kann ich die ungeduldige Frende
gewahren, mit der er meine Heimkehr vom Spaziergang erwartet. Ein Sonnen¬
strahl dringt dnrch die hohe Scheibe des Erkerfensters, die ganze Gruppe beleuch¬
tend bis auf das rothe Sammetkäppchen, unter welchem das graugemischte Haar
des Alten schlicht aus die breite Stiru fällt; Wohlwollen leuchtet aus jeder der
zahllosen Runzeln seines regelmäßigen Gesichtes, die Augenbrauen sind erwartungs¬
voll in die Höhe gezogen, und mit zitternder Hand nach einem Spitzglas voll Ale
greifend, schreit er mir schon vom Weiten entgegen: Aha, Sie Deserteur, haben
Sie wieder nach Haus getroffen? Nun kommen Sie, um Gotteswillen, setzen Sie



Sich- Ur. 1!) der Grcnzboicn.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/71>, abgerufen am 22.07.2024.