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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Herzens durch Schrift und Rede unmöglich macht, steigert und verdichtet im Stil¬
len die Fiebergluth der allgemeinen Stimmung. Ein böses Symptom sind in
Wien die häufigen Wahnsinnsfälle. Keine Woche vergeht, in der nicht vier bis
fünf Personen, theils aus dem Volk, theils aus den gebildeten Stauden in Folge
politischer Aufregung tobsichtig oder blödsinnig werden. So sieht es aus im
lebenslustigen Wien.

Ueber die auswärtige Politik unserer Regierung herrscht noch größere Unge¬
wißheit wie über die innere; beide hängen zusammen. Wenn sich die bizarrsten
Gerüchte von bevorstehenden Staatsstreichen, von der Abdankung des Kaisers, von
der Ernennung eines absolutistischen Ministeriums zehnmal in einem Tage wieder¬
holen können, so ist es noch weniger zu verwundern, daß die Phantasie des Pub¬
likums uach Außen hin selbst das Unmögliche für wahrscheinlich hält. Bald er¬
klärt das Ministerium England den Krieg', und gründet eine östreichisch - ostin¬
dische Compagnie, bald erobern wir die türkische Provinz Hcrzegvvina sammt Bos¬
nien und theilen uns mit Rußland in die türkische Erbschaft, endlich leihen wir,
ohne vorher in der Türkei entschädigt zu sein, die Bucht von Cattaro dem Kai¬
ser von Rußland als Station sür seine Flotte. Letztere Mähr brachte zuerst die
Laibacher Zeitung, darauf der hiesige Neuigkeitübvtc, und keine Berichtigung er¬
folgte bis jetzt von Seiten der Oestreichischen Korrespondenz und der andern
offiziellen Organe. Vielleicht scheint der Regierung das monströse Gerücht keiner
Widerlegung werth. Sind aber nicht schon ungeheuerlichere Dinge in Erfüllung
gegangen? --

Leider ist bei der allgemeinen Ungewißheit Eins gewiß: Das Heer wird
vergrößert, und das Silberagio steht aus 19!




Herzens durch Schrift und Rede unmöglich macht, steigert und verdichtet im Stil¬
len die Fiebergluth der allgemeinen Stimmung. Ein böses Symptom sind in
Wien die häufigen Wahnsinnsfälle. Keine Woche vergeht, in der nicht vier bis
fünf Personen, theils aus dem Volk, theils aus den gebildeten Stauden in Folge
politischer Aufregung tobsichtig oder blödsinnig werden. So sieht es aus im
lebenslustigen Wien.

Ueber die auswärtige Politik unserer Regierung herrscht noch größere Unge¬
wißheit wie über die innere; beide hängen zusammen. Wenn sich die bizarrsten
Gerüchte von bevorstehenden Staatsstreichen, von der Abdankung des Kaisers, von
der Ernennung eines absolutistischen Ministeriums zehnmal in einem Tage wieder¬
holen können, so ist es noch weniger zu verwundern, daß die Phantasie des Pub¬
likums uach Außen hin selbst das Unmögliche für wahrscheinlich hält. Bald er¬
klärt das Ministerium England den Krieg', und gründet eine östreichisch - ostin¬
dische Compagnie, bald erobern wir die türkische Provinz Hcrzegvvina sammt Bos¬
nien und theilen uns mit Rußland in die türkische Erbschaft, endlich leihen wir,
ohne vorher in der Türkei entschädigt zu sein, die Bucht von Cattaro dem Kai¬
ser von Rußland als Station sür seine Flotte. Letztere Mähr brachte zuerst die
Laibacher Zeitung, darauf der hiesige Neuigkeitübvtc, und keine Berichtigung er¬
folgte bis jetzt von Seiten der Oestreichischen Korrespondenz und der andern
offiziellen Organe. Vielleicht scheint der Regierung das monströse Gerücht keiner
Widerlegung werth. Sind aber nicht schon ungeheuerlichere Dinge in Erfüllung
gegangen? —

Leider ist bei der allgemeinen Ungewißheit Eins gewiß: Das Heer wird
vergrößert, und das Silberagio steht aus 19!




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[0061] Herzens durch Schrift und Rede unmöglich macht, steigert und verdichtet im Stil¬ len die Fiebergluth der allgemeinen Stimmung. Ein böses Symptom sind in Wien die häufigen Wahnsinnsfälle. Keine Woche vergeht, in der nicht vier bis fünf Personen, theils aus dem Volk, theils aus den gebildeten Stauden in Folge politischer Aufregung tobsichtig oder blödsinnig werden. So sieht es aus im lebenslustigen Wien. Ueber die auswärtige Politik unserer Regierung herrscht noch größere Unge¬ wißheit wie über die innere; beide hängen zusammen. Wenn sich die bizarrsten Gerüchte von bevorstehenden Staatsstreichen, von der Abdankung des Kaisers, von der Ernennung eines absolutistischen Ministeriums zehnmal in einem Tage wieder¬ holen können, so ist es noch weniger zu verwundern, daß die Phantasie des Pub¬ likums uach Außen hin selbst das Unmögliche für wahrscheinlich hält. Bald er¬ klärt das Ministerium England den Krieg', und gründet eine östreichisch - ostin¬ dische Compagnie, bald erobern wir die türkische Provinz Hcrzegvvina sammt Bos¬ nien und theilen uns mit Rußland in die türkische Erbschaft, endlich leihen wir, ohne vorher in der Türkei entschädigt zu sein, die Bucht von Cattaro dem Kai¬ ser von Rußland als Station sür seine Flotte. Letztere Mähr brachte zuerst die Laibacher Zeitung, darauf der hiesige Neuigkeitübvtc, und keine Berichtigung er¬ folgte bis jetzt von Seiten der Oestreichischen Korrespondenz und der andern offiziellen Organe. Vielleicht scheint der Regierung das monströse Gerücht keiner Widerlegung werth. Sind aber nicht schon ungeheuerlichere Dinge in Erfüllung gegangen? — Leider ist bei der allgemeinen Ungewißheit Eins gewiß: Das Heer wird vergrößert, und das Silberagio steht aus 19!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/61>, abgerufen am 03.07.2024.