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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Sie müssen jedoch unter "usem Kleindentschcn keine lebhasteir Sympathien für '
die preußische Regierung suchen. In Mai 18/>9, da blickten wir allerdings be¬
geistert nach Berlin. Seitdem ist der Glaube an den Unteruehmuttgsgeist des
preußischen Cabinets vielfach erschüttert worden. Die Idee des Bundesstaats hält
man noch jetzt für groß und zukuuftrcich, allein an den Männern, die gelobt ha¬
ben, sie zu verwirklichen, vermißt mau Energie und Couseguenz. So hat eine
Stelle i" der Erfurter Rede des Herrn von Nadowitz hier bittern Tadel gefun¬
den; Preußen, sagte er, wollte im Sonnner -49 die Verlegenheiten Oestreichs
zum rascheru Aufbau des Bundesstaats uicht benutzen, weil eine solche Politik "un¬
moralisch" gewesen wäre. -- Das ist wahrlich ein Zartgefühl am unrechten Ort.
Zum ersten Mal hören wir ans Diplomatenmuud, daß in der auswärtiger Po¬
litik die Moral des Privatlebens gilt. Es ist wohl nur Moral uuter Brüdern,
im Verhältniß von Fürst zu Fürst, nicht in dem von Fürsten zu Völkern gemeint.
Wir leugnen aber, daß jenes angeblich unmoralische Verfahren die Lage Oestreichs
zu erschweren geeignet war. Hätte doch Preußen damals das glühende Eisen ge¬
schmiedet, es stände jetzt auch mit uus besser. Ein geeinigtes Deutschland im
Rücken, könnten wir Deutschöstreicher das Ministerium anhalten, ein bischen auf¬
richtiger und eifriger zu reformiren, und jede Reform ist an sich ein Schritt aus den:
Wege der Germanisirung. Eine Allianz mit einem geeinigten Deutschland würde den
Slaven mehr imponiren, als der zweideutige und unfruchtbare Ruhm, die Zer¬
rissenheit und Ohnmacht Deutschlands zu verewigen. Ein Bündniß mit einem
erstarkenden Deutschland würde uns von der, überzärtlichen Umarmung unseres
Gönners in Se. Petersburg erlösen! --

Welche Frucht hat uus bis jetzt die rücksichtsvolle Zauderpolitik Preußens
getragen? Hat der provisorische Zustand Deutschlands unsere Zustände minder
provisorisch gemacht?. Wohin wir in Oestreich blicken, ist Alles bange Ungewi߬
heit und dunkles Chaos. Was die Revolution zertrümmert hat, ist, mit Aus¬
nahme von Kasernen und Gefängnissen, noch uicht im Wiederaufbau begriffen;
zwischen deu Trümmern aber schießt giftiges Unkraut empor. In Ungarn und
Italien grassirt die wildeste Nänberromautik unter der Nase des über- und all¬
mächtigen Militärs; die Rechtsunsicherheit kann nach dein dreißigjährigen Krieg in
Deutschland uicht furchtbarer gewesen sein; so verstehn die Generäle zu verwalten
und zu regieren. So glücklich organisirt es sich uuter dem Schirm des Belage¬
rungszustands. In Böhmen verschiebt man die Einrichtung der neuen Criminal-
behördcu wieder zum Juni; so in allen Stücken Aufschub von einer Frist zur
andern, bis das Volk Glauben und Vertrauen gründlich verloren hat. Dafür
erwacht phantastischer Aberglaube in deu Gemüthern, und die Gespensterseher, die
Schrcckensprvpheten, die adamitischen und swcdenborgiauischeu Setteustifter finden
gierige Ohren für ihre Offenbarungen; denn das Volksgemüth ist krank, gefähr¬
lich krank. Der Zwang, der die Lippen schließt, der eine volle Erleichterung des


Sie müssen jedoch unter »usem Kleindentschcn keine lebhasteir Sympathien für '
die preußische Regierung suchen. In Mai 18/>9, da blickten wir allerdings be¬
geistert nach Berlin. Seitdem ist der Glaube an den Unteruehmuttgsgeist des
preußischen Cabinets vielfach erschüttert worden. Die Idee des Bundesstaats hält
man noch jetzt für groß und zukuuftrcich, allein an den Männern, die gelobt ha¬
ben, sie zu verwirklichen, vermißt mau Energie und Couseguenz. So hat eine
Stelle i» der Erfurter Rede des Herrn von Nadowitz hier bittern Tadel gefun¬
den; Preußen, sagte er, wollte im Sonnner -49 die Verlegenheiten Oestreichs
zum rascheru Aufbau des Bundesstaats uicht benutzen, weil eine solche Politik „un¬
moralisch" gewesen wäre. — Das ist wahrlich ein Zartgefühl am unrechten Ort.
Zum ersten Mal hören wir ans Diplomatenmuud, daß in der auswärtiger Po¬
litik die Moral des Privatlebens gilt. Es ist wohl nur Moral uuter Brüdern,
im Verhältniß von Fürst zu Fürst, nicht in dem von Fürsten zu Völkern gemeint.
Wir leugnen aber, daß jenes angeblich unmoralische Verfahren die Lage Oestreichs
zu erschweren geeignet war. Hätte doch Preußen damals das glühende Eisen ge¬
schmiedet, es stände jetzt auch mit uus besser. Ein geeinigtes Deutschland im
Rücken, könnten wir Deutschöstreicher das Ministerium anhalten, ein bischen auf¬
richtiger und eifriger zu reformiren, und jede Reform ist an sich ein Schritt aus den:
Wege der Germanisirung. Eine Allianz mit einem geeinigten Deutschland würde den
Slaven mehr imponiren, als der zweideutige und unfruchtbare Ruhm, die Zer¬
rissenheit und Ohnmacht Deutschlands zu verewigen. Ein Bündniß mit einem
erstarkenden Deutschland würde uns von der, überzärtlichen Umarmung unseres
Gönners in Se. Petersburg erlösen! —

Welche Frucht hat uus bis jetzt die rücksichtsvolle Zauderpolitik Preußens
getragen? Hat der provisorische Zustand Deutschlands unsere Zustände minder
provisorisch gemacht?. Wohin wir in Oestreich blicken, ist Alles bange Ungewi߬
heit und dunkles Chaos. Was die Revolution zertrümmert hat, ist, mit Aus¬
nahme von Kasernen und Gefängnissen, noch uicht im Wiederaufbau begriffen;
zwischen deu Trümmern aber schießt giftiges Unkraut empor. In Ungarn und
Italien grassirt die wildeste Nänberromautik unter der Nase des über- und all¬
mächtigen Militärs; die Rechtsunsicherheit kann nach dein dreißigjährigen Krieg in
Deutschland uicht furchtbarer gewesen sein; so verstehn die Generäle zu verwalten
und zu regieren. So glücklich organisirt es sich uuter dem Schirm des Belage¬
rungszustands. In Böhmen verschiebt man die Einrichtung der neuen Criminal-
behördcu wieder zum Juni; so in allen Stücken Aufschub von einer Frist zur
andern, bis das Volk Glauben und Vertrauen gründlich verloren hat. Dafür
erwacht phantastischer Aberglaube in deu Gemüthern, und die Gespensterseher, die
Schrcckensprvpheten, die adamitischen und swcdenborgiauischeu Setteustifter finden
gierige Ohren für ihre Offenbarungen; denn das Volksgemüth ist krank, gefähr¬
lich krank. Der Zwang, der die Lippen schließt, der eine volle Erleichterung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/60>, abgerufen am 03.07.2024.