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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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moralischen Rigorismus, dem er das ganze Reich der Natur zum Opfer brachte,
Hegel mit der Restauration, die unprodnctiv und müde der vielen Stürme, sich
zur Legalisirnng alles Bestehenden ohne Unterschied hergab. So weit geht alles
gut, aber uun fehlt ein Mittelglied: zwischen Fichte und Hegel steht Schelling,
zwischen dem Convent und der Restauration Napoleon. Wie setzt er diese in
Verhältniß? -- Schelling'S Philosophie ist Pantheismus, Napoleon hat mit seinen
Kriegszügen die ganze Welt durch einander gewirrt, von den Pyramiden bis zum
Kreml. Die Pointe ist fertig. -- Bei andern Gelegenheiten fühlt man allzuge-
nau das Medium heraus, durch welches der Franzose seine Kenntniß vermittelt:
die romantische Schule. So wird Boß in seinen philologischen Studien ein
Bilderstürmer genannt, der die alte Poesie der G.leader und die poetische Em¬
pfänglichkeit der Deutschen seinen kalten Abstractionen zur Liebe untergraben habe,
während Voß nichts war, als der Vorfechter der alten, legitimen Poesie der
Griechen und der alten, natürlichen Anschauungsweise gegen die orientalischen Neu¬
erungen und die allegorischen Abstractionen eines Kreutzer und seiner Gesellen.
"Er sah nicht, daß er mit dein symbolischen Princip auch das ganze deutsche Leben
zerstörte!!" -- Abgesehen von dem Leichtsinn und dem Schematismus der fran¬
zösischen Kritik ist ^ es noch die Reminiscenz an Hoffmann und Heine, die be¬
liebtesten Repräsentanten des deutschen Wesens in Frankreich, die belletristische
Vermischung heterogener Gebiete der Literatur, durch welche die bestimmtesten Fragen
in einen problematischen Anstrich, die klarsten Verhältnisse in dämmernde Umrisse
gezogen werden. Don Juan, Faust, Werther, Hamlet u. s. w., alle diese Nebel¬
gestalten werden heraufbeschworen, um der nüchternen Aufeinanderfolge der Sätze
einen romantischen Hintergrund zu geben.

Im Uebrigen ist in seinen Vorwürfen gegen die deutsche Literatur viel Gegrün¬
detes; nur ist Qniuet nie klar genug, um fest zu bleiben. So wirft er ganz mit
Recht der deutschen Poesie jenen gehaltloser Individualismus vor, jene epikureische,
für allgemeine stoffliche Interessen unempfängliche Gesinnung, die durch den syste¬
matischen Geist der Nation zu eiuer Art Methode und Regel für alle Poeten ge¬
worden; aber er führt deu im Princip verurtheilten Individualismus im Einzelnen
wieder ein. So eifert er gegen den Formalismus der deutschen Philosophie, der
seine Gegenstände blos mit der Reflexion, nicht mit dem Herzen durchforscht, und
dabei zu keinem Glauben kommt, weil er ohne Leidenschaft, ohne Liebe, ohne Be¬
geisterung ist, aber er stellt ihm ein Gemisch ans Gefühl und Verstand entgegen,
das noch viel tiefer steht, weil es noch unklarer und trüber aussieht, als selbst die aus
Abstractionen, deren Ursprung man vergessen hat, in einander gewebte Schulsprache.
So tadelt er an der deutschen Kritik -- deren Koryphäen er ganz richtig in Wolff,
Niebtthr und Strauß herausfindet, ohne über ihren Zusammenhang unter einander
und mit der Entwickelung des wissenschaftlichen Geistes überhaupt eine gründliche
Untersuchung anzustellen -- nicht blos das Resultat, die Zersetzung concreter, ge-


moralischen Rigorismus, dem er das ganze Reich der Natur zum Opfer brachte,
Hegel mit der Restauration, die unprodnctiv und müde der vielen Stürme, sich
zur Legalisirnng alles Bestehenden ohne Unterschied hergab. So weit geht alles
gut, aber uun fehlt ein Mittelglied: zwischen Fichte und Hegel steht Schelling,
zwischen dem Convent und der Restauration Napoleon. Wie setzt er diese in
Verhältniß? — Schelling'S Philosophie ist Pantheismus, Napoleon hat mit seinen
Kriegszügen die ganze Welt durch einander gewirrt, von den Pyramiden bis zum
Kreml. Die Pointe ist fertig. — Bei andern Gelegenheiten fühlt man allzuge-
nau das Medium heraus, durch welches der Franzose seine Kenntniß vermittelt:
die romantische Schule. So wird Boß in seinen philologischen Studien ein
Bilderstürmer genannt, der die alte Poesie der G.leader und die poetische Em¬
pfänglichkeit der Deutschen seinen kalten Abstractionen zur Liebe untergraben habe,
während Voß nichts war, als der Vorfechter der alten, legitimen Poesie der
Griechen und der alten, natürlichen Anschauungsweise gegen die orientalischen Neu¬
erungen und die allegorischen Abstractionen eines Kreutzer und seiner Gesellen.
„Er sah nicht, daß er mit dein symbolischen Princip auch das ganze deutsche Leben
zerstörte!!" — Abgesehen von dem Leichtsinn und dem Schematismus der fran¬
zösischen Kritik ist ^ es noch die Reminiscenz an Hoffmann und Heine, die be¬
liebtesten Repräsentanten des deutschen Wesens in Frankreich, die belletristische
Vermischung heterogener Gebiete der Literatur, durch welche die bestimmtesten Fragen
in einen problematischen Anstrich, die klarsten Verhältnisse in dämmernde Umrisse
gezogen werden. Don Juan, Faust, Werther, Hamlet u. s. w., alle diese Nebel¬
gestalten werden heraufbeschworen, um der nüchternen Aufeinanderfolge der Sätze
einen romantischen Hintergrund zu geben.

Im Uebrigen ist in seinen Vorwürfen gegen die deutsche Literatur viel Gegrün¬
detes; nur ist Qniuet nie klar genug, um fest zu bleiben. So wirft er ganz mit
Recht der deutschen Poesie jenen gehaltloser Individualismus vor, jene epikureische,
für allgemeine stoffliche Interessen unempfängliche Gesinnung, die durch den syste¬
matischen Geist der Nation zu eiuer Art Methode und Regel für alle Poeten ge¬
worden; aber er führt deu im Princip verurtheilten Individualismus im Einzelnen
wieder ein. So eifert er gegen den Formalismus der deutschen Philosophie, der
seine Gegenstände blos mit der Reflexion, nicht mit dem Herzen durchforscht, und
dabei zu keinem Glauben kommt, weil er ohne Leidenschaft, ohne Liebe, ohne Be¬
geisterung ist, aber er stellt ihm ein Gemisch ans Gefühl und Verstand entgegen,
das noch viel tiefer steht, weil es noch unklarer und trüber aussieht, als selbst die aus
Abstractionen, deren Ursprung man vergessen hat, in einander gewebte Schulsprache.
So tadelt er an der deutschen Kritik — deren Koryphäen er ganz richtig in Wolff,
Niebtthr und Strauß herausfindet, ohne über ihren Zusammenhang unter einander
und mit der Entwickelung des wissenschaftlichen Geistes überhaupt eine gründliche
Untersuchung anzustellen — nicht blos das Resultat, die Zersetzung concreter, ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/55>, abgerufen am 22.07.2024.