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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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lich aber die Hegelianer bis auf die große Entzweiung innerhalb der Schule selbst,
sind saimut und sonders ronlantische Kritiker: sie bringen nicht ein festes Ideal
des Schönen den Werken, die sie beurtheilen wollen, entgegen, sondern sie suchen
in dem, was da ist, die Idealität heraus zu finden.

Dem ersten Anschein nach ist das in jeder Weise dein Terrorismus einer
methodischen Kritik vorzuziehen. Aber auch nur dein Anschein nach. Denn auch in
dem einfältigsten, auch in dem verschrobensten Product des menschlichen Geistes
muß sich immer eine Spur von Vernunft finden, wenn man nur ernstlich darnach
sucht, weil der menschliche Geist ohne Vernunft überhaupt nicht zu denken ist.
ES ist eine sehr dankbare Mühe, selbst in einem Clauren, Kohebne u. s. w. die
Vernunft zu analysiren, d. h. psychologische oder moralische Bemerkungen an
einanderzureihcn, die zu dem Inhalt jener Werke in einer gewissen Beziehung
stehen. Wenn man aber an diese Art Kritik die Frage stellt: langt nun das,
worüber sie gesprochen hat, etwas, oder taugt es nichts? so wird sie in Verlegen¬
heit gerathen, und da es doch unschicklich wäre, überall zu loben, so wird sie deu
Grund ihrer Billigung oder Mißbilligung in irgend einem äußerlichen Umstand,
vielleicht geradezu in einer Caprice finden.

Allein selbst dieser ttebelstand ist noch gering gegen den zweiten. Nicht mir
im Endurtheil über ein poetisches Werk, oder eine in's sittliche Gebiet fallende
Handlung wird die romantische Kritik unsicher sein, sondern auch im Verständniß
desselben. Ich führe Nvtscher's Schrift über Aristophanes als Beispiel an --
Röhscher ist überhaupt das Muster eines romantischen Kritikers. Die Schrift
enthält eine ganze Masse liebenswürdiger, zum Theil richtiger, zum Theil selbst
geistreicher Reste.rionen, und wer den alten Komöden ernstlich studirt hat, wird auch
wohl herausfinden, wie mau bei einer Lectüre desselben aus solche Reflexionen hat
kommen könne". Wenn man sich aber daraus über den Gehalt des Dichters
unterrichten wollte, so würde man Nichts, aber auch Nichts sinden; Aristophanes
selbst würde mit Staunen und Mißtrauen anhören, was dem modernen Philoso¬
phen alles bei seinen Werken eingefallen ist. Diese anscheinend sehr objective
Kritik ist also eigentlich die snbjeetivste, die man sich denken kann; denn jede
Stufe der Bildung kann nach ihrem Standpunkt el" ähnliches, aber sehr ver¬
schiedenes Werk über Aristophanes schreiben, und jedem wird man eine relative
Berechtigung zuschreiben müssen.

Der romantischen Kritik kommt es weniger darauf an, ihrem Gegenstand ge¬
recht zu werde", als etwas Geistreiches darüber zu sagen. Sie liebt daher die
Bilder, die Nuancen, überhaupt die colorirte Sprache -- die sogenannte Schul-
sprache der Hegelianer ist nichts als eine in Pedanterie verstockte Blnniensprache;
sie liebt den Humor, wo mau Ja! oder Nein! erwartet, und das graciöse Ge¬
tändel, wo es sich "in eine ernsthafte Sache handelt. Der unbestimmten Phraseo¬
logie, welche heutzutage allen gesunden Menscheiwerstand zu. ersticken droht, wird


lich aber die Hegelianer bis auf die große Entzweiung innerhalb der Schule selbst,
sind saimut und sonders ronlantische Kritiker: sie bringen nicht ein festes Ideal
des Schönen den Werken, die sie beurtheilen wollen, entgegen, sondern sie suchen
in dem, was da ist, die Idealität heraus zu finden.

Dem ersten Anschein nach ist das in jeder Weise dein Terrorismus einer
methodischen Kritik vorzuziehen. Aber auch nur dein Anschein nach. Denn auch in
dem einfältigsten, auch in dem verschrobensten Product des menschlichen Geistes
muß sich immer eine Spur von Vernunft finden, wenn man nur ernstlich darnach
sucht, weil der menschliche Geist ohne Vernunft überhaupt nicht zu denken ist.
ES ist eine sehr dankbare Mühe, selbst in einem Clauren, Kohebne u. s. w. die
Vernunft zu analysiren, d. h. psychologische oder moralische Bemerkungen an
einanderzureihcn, die zu dem Inhalt jener Werke in einer gewissen Beziehung
stehen. Wenn man aber an diese Art Kritik die Frage stellt: langt nun das,
worüber sie gesprochen hat, etwas, oder taugt es nichts? so wird sie in Verlegen¬
heit gerathen, und da es doch unschicklich wäre, überall zu loben, so wird sie deu
Grund ihrer Billigung oder Mißbilligung in irgend einem äußerlichen Umstand,
vielleicht geradezu in einer Caprice finden.

Allein selbst dieser ttebelstand ist noch gering gegen den zweiten. Nicht mir
im Endurtheil über ein poetisches Werk, oder eine in's sittliche Gebiet fallende
Handlung wird die romantische Kritik unsicher sein, sondern auch im Verständniß
desselben. Ich führe Nvtscher's Schrift über Aristophanes als Beispiel an —
Röhscher ist überhaupt das Muster eines romantischen Kritikers. Die Schrift
enthält eine ganze Masse liebenswürdiger, zum Theil richtiger, zum Theil selbst
geistreicher Reste.rionen, und wer den alten Komöden ernstlich studirt hat, wird auch
wohl herausfinden, wie mau bei einer Lectüre desselben aus solche Reflexionen hat
kommen könne». Wenn man sich aber daraus über den Gehalt des Dichters
unterrichten wollte, so würde man Nichts, aber auch Nichts sinden; Aristophanes
selbst würde mit Staunen und Mißtrauen anhören, was dem modernen Philoso¬
phen alles bei seinen Werken eingefallen ist. Diese anscheinend sehr objective
Kritik ist also eigentlich die snbjeetivste, die man sich denken kann; denn jede
Stufe der Bildung kann nach ihrem Standpunkt el» ähnliches, aber sehr ver¬
schiedenes Werk über Aristophanes schreiben, und jedem wird man eine relative
Berechtigung zuschreiben müssen.

Der romantischen Kritik kommt es weniger darauf an, ihrem Gegenstand ge¬
recht zu werde», als etwas Geistreiches darüber zu sagen. Sie liebt daher die
Bilder, die Nuancen, überhaupt die colorirte Sprache — die sogenannte Schul-
sprache der Hegelianer ist nichts als eine in Pedanterie verstockte Blnniensprache;
sie liebt den Humor, wo mau Ja! oder Nein! erwartet, und das graciöse Ge¬
tändel, wo es sich »in eine ernsthafte Sache handelt. Der unbestimmten Phraseo¬
logie, welche heutzutage allen gesunden Menscheiwerstand zu. ersticken droht, wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/50>, abgerufen am 01.07.2024.