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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Die Empfindungsweise Currer Bell's ist so wenig sentimental, daß sie aus
Furcht vor Sentimentalität zuweilen barok wird. Die Männer, d. h. diejenigen
unter ihnen, von denen Notiz genommen wird, sind hart, rauh, schwer zu be¬
handeln, und hegen ihren Vorrat!) von Gefühlen tief im Herzen verborgen.
Currer Bell hat ein gutes Auge für Originale; namentlich in Shirlcy, dem ich
darin den Vorzug gebe, ist eine Reihe tüchtiger Bursche, voll ursprünglicher Natur.
Sie zeichnen sich vor den gewöhnlichen Helden der Franenromane dadurch aus,
daß jeder von ihnen eine bestimmte Beschäftigung, eine productive Stellung in
der Gesellschaft hat, daß sie nicht in Tapferkeit, Liebe, Mondschein und Schnurr-
bart aufgehn. In dieser Beziehung stechen Currer Beil's Figuren nicht uur
vor deu jungen Edelleuten unserer Hahn, sondern anch vor den Weltschmerz-
Philosophen Georg Sand's sehr vortheilhaft ab.

Die Frauen gehen mit ihrer Liebe, ihrem Empfinden freier heraus; sie
öffnen sich sogar viel leichter, als es die Sitte in England sonst mit sich bringt.
Aber es ist in dieser Hingebung eine tiefe Innigkeit, ein gesundes und lebhaftes
Gefühl, das sich nie in Spielereien verflüchtigt. Sie. haben alle eine gewisse
Tendenz auf Emancipation, aber in anderem Sinn, als die sentimentalen Tita-
uidcu von Jean Paul's Seraphen herüber bis zu deu Fanstinen und Lelia's; sie
wollen in der Welt eine nützliche Stellung ausfüllen; wo möglich, wollen sie
lieben und geliebt werdeu, wenn das ihnen aber vom Schicksale versagt wird,
so springen sie nicht ins Wasser, gehen nicht ins Kloster, werdeu uicht verrückt,
sondern sie suchen eine Beschäftigung, die ihr Leben wenigstens theilweise auszu¬
füllen im Stande ist, und wenn sie darüber sterbe", so geschieht eS wenigstens
uicht ohne Kampf und Widerstand. -- In der Regel sterben sie aber nicht, denn
Currer Bell ist uicht unnöthig grausam, eine Eigenschaft, die in uuserer Zeit,
wo ein Abenteuer ohne ein paar herumwandelnde Vampyre gar nichts mehr
sagen will, sehr anerkennenswert!) ist.

Currer Bell hat ihre Werke Thackeray gewidmet, den sie einen Propheten
der Zukunft nennt. Warum, ist mir uicht klar geworden. Thackeray gibt uns die
Auslösung des Lebens in die nackte Prosa, sein Skepticismus zerreißt die Empfin¬
dungen und Handlungen der Menschen mit einer so unerbittlichen Virtuosität, daß
alles Ideal zu Grunde geht, nicht mit dem Leichtsinn eines Voltaire, der sich über
die Tollheiten der Welt amüsirt, sondern mit dem bittern Schmerz eines gefühl¬
vollen Mensche", der an seinen eignen Gefühlen irre geworden ist. Eine solche
Weltanschauung ist unfruchtbar für die Zukunft, und unsere Dichterin selbst steht
auf einem höhern Standpunkt. Sie hat "och Freude am Leben, Glauben an
das Gute, Kraft, mit den Widerwärtigkeiten wie mit deu Schwächen und Irr¬
thümern zu ringen, ohne darin nnterzugehn. Es ist eine Freude, sich in ihrer
kleinen, engen aber heimlichen Welt nmzuschann.




Die Empfindungsweise Currer Bell's ist so wenig sentimental, daß sie aus
Furcht vor Sentimentalität zuweilen barok wird. Die Männer, d. h. diejenigen
unter ihnen, von denen Notiz genommen wird, sind hart, rauh, schwer zu be¬
handeln, und hegen ihren Vorrat!) von Gefühlen tief im Herzen verborgen.
Currer Bell hat ein gutes Auge für Originale; namentlich in Shirlcy, dem ich
darin den Vorzug gebe, ist eine Reihe tüchtiger Bursche, voll ursprünglicher Natur.
Sie zeichnen sich vor den gewöhnlichen Helden der Franenromane dadurch aus,
daß jeder von ihnen eine bestimmte Beschäftigung, eine productive Stellung in
der Gesellschaft hat, daß sie nicht in Tapferkeit, Liebe, Mondschein und Schnurr-
bart aufgehn. In dieser Beziehung stechen Currer Beil's Figuren nicht uur
vor deu jungen Edelleuten unserer Hahn, sondern anch vor den Weltschmerz-
Philosophen Georg Sand's sehr vortheilhaft ab.

Die Frauen gehen mit ihrer Liebe, ihrem Empfinden freier heraus; sie
öffnen sich sogar viel leichter, als es die Sitte in England sonst mit sich bringt.
Aber es ist in dieser Hingebung eine tiefe Innigkeit, ein gesundes und lebhaftes
Gefühl, das sich nie in Spielereien verflüchtigt. Sie. haben alle eine gewisse
Tendenz auf Emancipation, aber in anderem Sinn, als die sentimentalen Tita-
uidcu von Jean Paul's Seraphen herüber bis zu deu Fanstinen und Lelia's; sie
wollen in der Welt eine nützliche Stellung ausfüllen; wo möglich, wollen sie
lieben und geliebt werdeu, wenn das ihnen aber vom Schicksale versagt wird,
so springen sie nicht ins Wasser, gehen nicht ins Kloster, werdeu uicht verrückt,
sondern sie suchen eine Beschäftigung, die ihr Leben wenigstens theilweise auszu¬
füllen im Stande ist, und wenn sie darüber sterbe», so geschieht eS wenigstens
uicht ohne Kampf und Widerstand. — In der Regel sterben sie aber nicht, denn
Currer Bell ist uicht unnöthig grausam, eine Eigenschaft, die in uuserer Zeit,
wo ein Abenteuer ohne ein paar herumwandelnde Vampyre gar nichts mehr
sagen will, sehr anerkennenswert!) ist.

Currer Bell hat ihre Werke Thackeray gewidmet, den sie einen Propheten
der Zukunft nennt. Warum, ist mir uicht klar geworden. Thackeray gibt uns die
Auslösung des Lebens in die nackte Prosa, sein Skepticismus zerreißt die Empfin¬
dungen und Handlungen der Menschen mit einer so unerbittlichen Virtuosität, daß
alles Ideal zu Grunde geht, nicht mit dem Leichtsinn eines Voltaire, der sich über
die Tollheiten der Welt amüsirt, sondern mit dem bittern Schmerz eines gefühl¬
vollen Mensche», der an seinen eignen Gefühlen irre geworden ist. Eine solche
Weltanschauung ist unfruchtbar für die Zukunft, und unsere Dichterin selbst steht
auf einem höhern Standpunkt. Sie hat »och Freude am Leben, Glauben an
das Gute, Kraft, mit den Widerwärtigkeiten wie mit deu Schwächen und Irr¬
thümern zu ringen, ohne darin nnterzugehn. Es ist eine Freude, sich in ihrer
kleinen, engen aber heimlichen Welt nmzuschann.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/496>, abgerufen am 28.09.2024.