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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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gerufen. Zwar hat noch in der letzten Präsidentenwahl der conservative Geist ge-
siegt, aber schon sind die Behörden nicht mehr im Stande, einen Kriegszug zu hin¬
dern, der ebenso dem Geist der jetzigen Regierung als den alten Sitten Amerika's
widerspricht. Nachdem die Squalterö der rohen Natur ein Terrain nach dem
andern abgenommen haben, wirft sich der altgermanische Wandertrieb auf die
Gegenden, die schon einer halben Cultur theilhaftig sind, und das Schwert und die
Büchse ergänzt, was die Art und die Pflugschaar begonnen. Und dieser sieber-
Hafte Drang wird nicht eher aufhören, als bis das gesammte Nordamerika mit
dem größern Theil der Westindischen Inseln in den Händen der Republik ist.

Dann wird der eigentliche Proceß der Staatenbildung erst angehen. Die
formlose Masse, von ihrem eignen Gewicht erdrückt, wird sich die verschiedenen
Schwerpunkte suchen, um welche sie sich krystallisirt. So wie Europa nach der
Völkerwanderung. Ich glaube nicht, daß irgendwo eine monarchische Tendenz
sich hervorwagen wird, selbst zu der Scheidung eigentlicher Nationalitäten ist weder
die Bodenvertheilung des Continents geeignet noch die geschichtliche Voraussetzung
der Bevölkerung, die eine gemeinsame aus Europa gegründete Bildung nicht
mehr verleugnen kann. Aber eine Gruppirung nach den Interessen wird stattfin¬
den. Dann wird sich die neue Welt aus die alte werfen, und von zwei Seiten
influencirt, von Europa und Amerika, wird die noch immer dunkle Natur des
Orients dem Geist der allgemeinen Cultur, dein eigentlich europäischen Geist,
nicht widerstehn können. Um diese Wirkung auszuüben, müssen die Mutees erst
vollständig Herren in ihrem eignen Lande sein, und von dieser Seite liegt in dem
Zug der wüsten Seeräuber ein culturhistorisches Moment.




E u r r e r Bell.



Der erste Roman von Cnrrer Bell, Jane Ehre, erschien im Jahre 1848;
das Werk machte ein seltenes Aufsehn, auch im Ausland, was um so mehr für
seinen Werth sprach, da es die raffinirten Gewürze, mit welchen die moderne Ro¬
mantik die erschlafften Nerven unsers überreizten Publikums zu kitzeln Pflegt, nur
rin großer Behutsamkeit anwendet. In diesem Jahre ist der zweite Roman er¬
schienen: Shirlcy.

Daß beide Romane von einer Iran herrühren, mußte ein geübtes Auge aus
der Stelle erkennen. Es gibt dafür ein untrügliches Kennzeichen. Die eigent¬
lichen Helden der Frauenromane sind Männer, wo möglich mit einem großen
Schnurrbart, blassem Gesicht und bedeutender Stirn. Der Säbel ist ans der
Mode gekommen. Aber ihre Schilderung ist nnr episch, sie sind nur Gegen¬
stand; die Empstndnugen, die den Leitton des Ganzen bilden, gehn von den
weiblichen Charakteren aus.


gerufen. Zwar hat noch in der letzten Präsidentenwahl der conservative Geist ge-
siegt, aber schon sind die Behörden nicht mehr im Stande, einen Kriegszug zu hin¬
dern, der ebenso dem Geist der jetzigen Regierung als den alten Sitten Amerika's
widerspricht. Nachdem die Squalterö der rohen Natur ein Terrain nach dem
andern abgenommen haben, wirft sich der altgermanische Wandertrieb auf die
Gegenden, die schon einer halben Cultur theilhaftig sind, und das Schwert und die
Büchse ergänzt, was die Art und die Pflugschaar begonnen. Und dieser sieber-
Hafte Drang wird nicht eher aufhören, als bis das gesammte Nordamerika mit
dem größern Theil der Westindischen Inseln in den Händen der Republik ist.

Dann wird der eigentliche Proceß der Staatenbildung erst angehen. Die
formlose Masse, von ihrem eignen Gewicht erdrückt, wird sich die verschiedenen
Schwerpunkte suchen, um welche sie sich krystallisirt. So wie Europa nach der
Völkerwanderung. Ich glaube nicht, daß irgendwo eine monarchische Tendenz
sich hervorwagen wird, selbst zu der Scheidung eigentlicher Nationalitäten ist weder
die Bodenvertheilung des Continents geeignet noch die geschichtliche Voraussetzung
der Bevölkerung, die eine gemeinsame aus Europa gegründete Bildung nicht
mehr verleugnen kann. Aber eine Gruppirung nach den Interessen wird stattfin¬
den. Dann wird sich die neue Welt aus die alte werfen, und von zwei Seiten
influencirt, von Europa und Amerika, wird die noch immer dunkle Natur des
Orients dem Geist der allgemeinen Cultur, dein eigentlich europäischen Geist,
nicht widerstehn können. Um diese Wirkung auszuüben, müssen die Mutees erst
vollständig Herren in ihrem eignen Lande sein, und von dieser Seite liegt in dem
Zug der wüsten Seeräuber ein culturhistorisches Moment.




E u r r e r Bell.



Der erste Roman von Cnrrer Bell, Jane Ehre, erschien im Jahre 1848;
das Werk machte ein seltenes Aufsehn, auch im Ausland, was um so mehr für
seinen Werth sprach, da es die raffinirten Gewürze, mit welchen die moderne Ro¬
mantik die erschlafften Nerven unsers überreizten Publikums zu kitzeln Pflegt, nur
rin großer Behutsamkeit anwendet. In diesem Jahre ist der zweite Roman er¬
schienen: Shirlcy.

Daß beide Romane von einer Iran herrühren, mußte ein geübtes Auge aus
der Stelle erkennen. Es gibt dafür ein untrügliches Kennzeichen. Die eigent¬
lichen Helden der Frauenromane sind Männer, wo möglich mit einem großen
Schnurrbart, blassem Gesicht und bedeutender Stirn. Der Säbel ist ans der
Mode gekommen. Aber ihre Schilderung ist nnr episch, sie sind nur Gegen¬
stand; die Empstndnugen, die den Leitton des Ganzen bilden, gehn von den
weiblichen Charakteren aus.


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[0495] gerufen. Zwar hat noch in der letzten Präsidentenwahl der conservative Geist ge- siegt, aber schon sind die Behörden nicht mehr im Stande, einen Kriegszug zu hin¬ dern, der ebenso dem Geist der jetzigen Regierung als den alten Sitten Amerika's widerspricht. Nachdem die Squalterö der rohen Natur ein Terrain nach dem andern abgenommen haben, wirft sich der altgermanische Wandertrieb auf die Gegenden, die schon einer halben Cultur theilhaftig sind, und das Schwert und die Büchse ergänzt, was die Art und die Pflugschaar begonnen. Und dieser sieber- Hafte Drang wird nicht eher aufhören, als bis das gesammte Nordamerika mit dem größern Theil der Westindischen Inseln in den Händen der Republik ist. Dann wird der eigentliche Proceß der Staatenbildung erst angehen. Die formlose Masse, von ihrem eignen Gewicht erdrückt, wird sich die verschiedenen Schwerpunkte suchen, um welche sie sich krystallisirt. So wie Europa nach der Völkerwanderung. Ich glaube nicht, daß irgendwo eine monarchische Tendenz sich hervorwagen wird, selbst zu der Scheidung eigentlicher Nationalitäten ist weder die Bodenvertheilung des Continents geeignet noch die geschichtliche Voraussetzung der Bevölkerung, die eine gemeinsame aus Europa gegründete Bildung nicht mehr verleugnen kann. Aber eine Gruppirung nach den Interessen wird stattfin¬ den. Dann wird sich die neue Welt aus die alte werfen, und von zwei Seiten influencirt, von Europa und Amerika, wird die noch immer dunkle Natur des Orients dem Geist der allgemeinen Cultur, dein eigentlich europäischen Geist, nicht widerstehn können. Um diese Wirkung auszuüben, müssen die Mutees erst vollständig Herren in ihrem eignen Lande sein, und von dieser Seite liegt in dem Zug der wüsten Seeräuber ein culturhistorisches Moment. E u r r e r Bell. Der erste Roman von Cnrrer Bell, Jane Ehre, erschien im Jahre 1848; das Werk machte ein seltenes Aufsehn, auch im Ausland, was um so mehr für seinen Werth sprach, da es die raffinirten Gewürze, mit welchen die moderne Ro¬ mantik die erschlafften Nerven unsers überreizten Publikums zu kitzeln Pflegt, nur rin großer Behutsamkeit anwendet. In diesem Jahre ist der zweite Roman er¬ schienen: Shirlcy. Daß beide Romane von einer Iran herrühren, mußte ein geübtes Auge aus der Stelle erkennen. Es gibt dafür ein untrügliches Kennzeichen. Die eigent¬ lichen Helden der Frauenromane sind Männer, wo möglich mit einem großen Schnurrbart, blassem Gesicht und bedeutender Stirn. Der Säbel ist ans der Mode gekommen. Aber ihre Schilderung ist nnr episch, sie sind nur Gegen¬ stand; die Empstndnugen, die den Leitton des Ganzen bilden, gehn von den weiblichen Charakteren aus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/495>, abgerufen am 26.06.2024.