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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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sind so scharf wie die ihrigen. Wir nehmen den Kampf an, ohne den Staat zu
Hülse zu rufen. Vertheilt die Sonne und den Wind. Die Kirche hat ihre
Kanzeln und Beichtstühle, wir haben (??!) den Katheder und die Presse. Wir
wollen sehen, wer am Ende das Feld behauptet.

Aber die Kirchenstrafen, die Excommunication? Nun, das Episkopat hat
bereits darauf geantwortet und zwar sehr triftig. Die Frommen treffen die
Kirchenstrafen nicht, für die Andern aber sind sie nicht sehr empfindlich. Dies
Dilemma ist richtig. Ist man ein frommer Katholik, ein treuer und gehorsamer
Sohn der Kirche, und glaubt an ihre Unfehlbarkeit, so muß man auch darnach leben,
sich ihren Aussprüchen demüthig unterwerfen, und dann treffen Einen die Kirchen¬
strafen nicht. Ist man aber Ketzer, wenn anch nur ein Kleinwcnig, so muß man
anch den Muth haben, sür seine Ueberzeugung einzustehen, nud darf sich durch
kirchliche Schreckschüsse nicht beirren lassen. Also wie gesagt, entweder man braucht
den Schutz des Staates gegen die Kirche nicht, oder er kann Einem nichts helfen.
Denn das wäre doch eine erbärmliche Feigheit, sich vor seinem eignen Gewissen
hinter den Staat zu verstecken, und sich dabei zu beruhigen, daß dieser die Kirche
die Rüge auszusprechen hindert, die man verdient zu haben, sich doch wohl be¬
wußt ist.

Es genügt also vollkommen, wenn der Staat nur neutral bleibt und der
Kirche uicht seinen weltlichen Arm leiht gegen die Ketzer. Ihre geistlichen Waffen
machen uns die wenigste Sorge. Möge sie die Absolution verweigern, excom-
mnuiciren, soviel sie Lust hat, was thut das? Die Ketzer werdeu doch nicht
mehr verbrannt, und das ist die Hauptsache. Wäre der Scheiterhaufen nicht ge¬
wesen, an der Ezcominnnication wäre Huß gewiß nicht gestorben, und seinem
Landsmanne, I>e. Santana, wird sie hoffentlich anch nicht schaden.

Aber diese thörichte Furchtsamkeit ist charakteristisch sür unsere Liberalen, und
die hat nus der Polizeistaat anerzogen. Man hat sich da so viel um uns ge¬
kümmert und sich so viele Mühe gegeben, uns vor allem möglichen Schaden zu
bewahren, daß wir am Ende alles Vertrauen zu uns selbst verloren haben und
uns vor jedem Schatten fürchten.

Diese Furcht hat uns im Jahre 1858 zum Radicalismus getrieben. Wir
witterten von allen Seiten Gefahren für unsere Freiheit und konnten nie genng
Garantien sür sie haben. Um die Gleichheit vor dem Gesetze zu sichern, genügte
es uns uicht, die Vorrechte des Adels abzuschaffen, sondern nur fürchteten noch
die bloßen Titel, und sogar die armseligen Orden machten uns Angst. Wir haben
Alles abgeschafft, wo wir Grundrechte machten, aber dadurch eine zahlreiche
und einflußreiche Classe zu Feinden der neuen Ordnung gemacht, und so der
Reaction in die Hände gearbeitet. Hätte man lieber den Leuten ihr Spielzeug
gelassen, darau wäre die Freiheit gewiß nicht zu Grunde gegangen.


sind so scharf wie die ihrigen. Wir nehmen den Kampf an, ohne den Staat zu
Hülse zu rufen. Vertheilt die Sonne und den Wind. Die Kirche hat ihre
Kanzeln und Beichtstühle, wir haben (??!) den Katheder und die Presse. Wir
wollen sehen, wer am Ende das Feld behauptet.

Aber die Kirchenstrafen, die Excommunication? Nun, das Episkopat hat
bereits darauf geantwortet und zwar sehr triftig. Die Frommen treffen die
Kirchenstrafen nicht, für die Andern aber sind sie nicht sehr empfindlich. Dies
Dilemma ist richtig. Ist man ein frommer Katholik, ein treuer und gehorsamer
Sohn der Kirche, und glaubt an ihre Unfehlbarkeit, so muß man auch darnach leben,
sich ihren Aussprüchen demüthig unterwerfen, und dann treffen Einen die Kirchen¬
strafen nicht. Ist man aber Ketzer, wenn anch nur ein Kleinwcnig, so muß man
anch den Muth haben, sür seine Ueberzeugung einzustehen, nud darf sich durch
kirchliche Schreckschüsse nicht beirren lassen. Also wie gesagt, entweder man braucht
den Schutz des Staates gegen die Kirche nicht, oder er kann Einem nichts helfen.
Denn das wäre doch eine erbärmliche Feigheit, sich vor seinem eignen Gewissen
hinter den Staat zu verstecken, und sich dabei zu beruhigen, daß dieser die Kirche
die Rüge auszusprechen hindert, die man verdient zu haben, sich doch wohl be¬
wußt ist.

Es genügt also vollkommen, wenn der Staat nur neutral bleibt und der
Kirche uicht seinen weltlichen Arm leiht gegen die Ketzer. Ihre geistlichen Waffen
machen uns die wenigste Sorge. Möge sie die Absolution verweigern, excom-
mnuiciren, soviel sie Lust hat, was thut das? Die Ketzer werdeu doch nicht
mehr verbrannt, und das ist die Hauptsache. Wäre der Scheiterhaufen nicht ge¬
wesen, an der Ezcominnnication wäre Huß gewiß nicht gestorben, und seinem
Landsmanne, I>e. Santana, wird sie hoffentlich anch nicht schaden.

Aber diese thörichte Furchtsamkeit ist charakteristisch sür unsere Liberalen, und
die hat nus der Polizeistaat anerzogen. Man hat sich da so viel um uns ge¬
kümmert und sich so viele Mühe gegeben, uns vor allem möglichen Schaden zu
bewahren, daß wir am Ende alles Vertrauen zu uns selbst verloren haben und
uns vor jedem Schatten fürchten.

Diese Furcht hat uns im Jahre 1858 zum Radicalismus getrieben. Wir
witterten von allen Seiten Gefahren für unsere Freiheit und konnten nie genng
Garantien sür sie haben. Um die Gleichheit vor dem Gesetze zu sichern, genügte
es uns uicht, die Vorrechte des Adels abzuschaffen, sondern nur fürchteten noch
die bloßen Titel, und sogar die armseligen Orden machten uns Angst. Wir haben
Alles abgeschafft, wo wir Grundrechte machten, aber dadurch eine zahlreiche
und einflußreiche Classe zu Feinden der neuen Ordnung gemacht, und so der
Reaction in die Hände gearbeitet. Hätte man lieber den Leuten ihr Spielzeug
gelassen, darau wäre die Freiheit gewiß nicht zu Grunde gegangen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/470>, abgerufen am 22.07.2024.