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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Arten veräußern, und gab auch ein Blatt heraus unter dem Namen: "Der wahre
Ungar." Da nun die Aufgabe des "Wahren Ungar" war, mit dem "Ungar"
zu concurriren, und der letztere eines der radicalsten Blätter der Hauptstadt wurde,
so mußte der erstere noch radicaler sein, und Herr Saphir ließ in dieser Hinsicht
nichts zu wünschen übrig. So traf ihn die Occupation Pesths durch Windisch-
grätz, und die Einwohner der Hauptstadt glaubten ganz sicher, unter den vielen
nach Debreczin geflüchteten Patrioten auch den Redacteur des "Wahren Ungar"
beklagen zu müsse"; aber Herr Saphir hatte schon gezeigt, daß er von dem Ei¬
genthümer eines Journals seine ganz eigenen Begriffe habe, und am Morgen uach
dem Einzuge der Oestreicher erschien der "Wahre Ungar" mit seinem bisherigen
Redacteur an der Spitze, nur ein ganz kleiner Unterschied war daran wahrzu¬
nehmen, denn gestern waren uoch alle seine Adern von Wuth gegen die Tyran¬
nen und Haß gegen Habsburg angeschwellt, und heute war sein Löschpapiergesicht
in geschmeidige Doppelfalten gelegt, aus dem sich einerseits Ironie und spottende
Witze (?) über die "davongelaufenen Maulhelden", andrerseits freundliche Grüße
lind hohe Verwunderung an die "Bezwinger der Rebellion" ergossen. Zum höch¬
sten Staunen der Hauptstadt wurde Herrn Saphir nnr die Herausgabe seiner
Zeitschrift verboten, während ein junger Mann, Namens Hofmann, der in sein
Blatt nur die Uebersetzung eines ungarischen revolutionären Gedichtes lieferte,
zu zwei Jahren Festlingsarrest verurtheilt wurde. Als die Ungarn im April in
Pesth einzogen, ging Herr Saphir nach Wien, kehrte mit Haynan wieder zurück,
und gab seinen "Spiegel" heraus, bis am 2. d. seine Begriffe von dem Eigen¬
thümer eines Journals mit denen des Obercommandanten in Kollision geriethen,
und Herr Saphir sitzt jetzt in Gesellschaft mehrer der im Januar 18-59 "davon¬
gelaufenen Maulhelden" im neugebaute. Tempora innwntui'.

Uebrigens ist unsere Militärherrschaft mich bemüht, von Zeit zu Zeit unser
Zwerchfell in Bewegung zu setzen. So hat ein in diesen Tagen an den Vorstand
der Judengemeinde erlassener Besehl derselben in unserm Barerlande manch guten
und schlechten Witz in die Welt gefördert. In diesem Erlaß heißt es unter An¬
dern!: "Der Vorstand soll darauf Acht haben, und wird dafür verantwortlich
gemacht, daß die Juden die rebellischen Kossnthhüte ablegen, und sich die an¬
stößigen Kossuthbärte abnehmen lassen sollen." Ich erinnere mich,
im October vorigen Jahres in Bäucrle's "Oestreichischen Courier" eiuen Aussatz
gelesen zu habe", wo mit der Gründlichkeit eines Göttinger "U!8torie"s prokes8c"r"
nachgewiesen wurde, daß alle Rebellen, voll dem ersten Brudermörder Kain bis
aus Hecker, Ledrn-Nollin und Kossuth, Bärte getragen haben, und es sich alle
loyalen Oestreicher zur Ausgabe machen sollten, dies giftige Gewächs auszurotten.
Dem guten Bäuerle müssen die Thränen der Freude aus den alten Augen ge¬
flossen sem, als er diese Verordnung gelesen hat; nnr leidet das Princip in sei¬
ner diesfälligen Anwendung an einem großen Uebelstand. Es ist nämlich welt-


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Arten veräußern, und gab auch ein Blatt heraus unter dem Namen: „Der wahre
Ungar." Da nun die Aufgabe des „Wahren Ungar" war, mit dem „Ungar"
zu concurriren, und der letztere eines der radicalsten Blätter der Hauptstadt wurde,
so mußte der erstere noch radicaler sein, und Herr Saphir ließ in dieser Hinsicht
nichts zu wünschen übrig. So traf ihn die Occupation Pesths durch Windisch-
grätz, und die Einwohner der Hauptstadt glaubten ganz sicher, unter den vielen
nach Debreczin geflüchteten Patrioten auch den Redacteur des „Wahren Ungar"
beklagen zu müsse»; aber Herr Saphir hatte schon gezeigt, daß er von dem Ei¬
genthümer eines Journals seine ganz eigenen Begriffe habe, und am Morgen uach
dem Einzuge der Oestreicher erschien der „Wahre Ungar" mit seinem bisherigen
Redacteur an der Spitze, nur ein ganz kleiner Unterschied war daran wahrzu¬
nehmen, denn gestern waren uoch alle seine Adern von Wuth gegen die Tyran¬
nen und Haß gegen Habsburg angeschwellt, und heute war sein Löschpapiergesicht
in geschmeidige Doppelfalten gelegt, aus dem sich einerseits Ironie und spottende
Witze (?) über die „davongelaufenen Maulhelden", andrerseits freundliche Grüße
lind hohe Verwunderung an die „Bezwinger der Rebellion" ergossen. Zum höch¬
sten Staunen der Hauptstadt wurde Herrn Saphir nnr die Herausgabe seiner
Zeitschrift verboten, während ein junger Mann, Namens Hofmann, der in sein
Blatt nur die Uebersetzung eines ungarischen revolutionären Gedichtes lieferte,
zu zwei Jahren Festlingsarrest verurtheilt wurde. Als die Ungarn im April in
Pesth einzogen, ging Herr Saphir nach Wien, kehrte mit Haynan wieder zurück,
und gab seinen „Spiegel" heraus, bis am 2. d. seine Begriffe von dem Eigen¬
thümer eines Journals mit denen des Obercommandanten in Kollision geriethen,
und Herr Saphir sitzt jetzt in Gesellschaft mehrer der im Januar 18-59 „davon¬
gelaufenen Maulhelden" im neugebaute. Tempora innwntui'.

Uebrigens ist unsere Militärherrschaft mich bemüht, von Zeit zu Zeit unser
Zwerchfell in Bewegung zu setzen. So hat ein in diesen Tagen an den Vorstand
der Judengemeinde erlassener Besehl derselben in unserm Barerlande manch guten
und schlechten Witz in die Welt gefördert. In diesem Erlaß heißt es unter An¬
dern!: „Der Vorstand soll darauf Acht haben, und wird dafür verantwortlich
gemacht, daß die Juden die rebellischen Kossnthhüte ablegen, und sich die an¬
stößigen Kossuthbärte abnehmen lassen sollen." Ich erinnere mich,
im October vorigen Jahres in Bäucrle's „Oestreichischen Courier" eiuen Aussatz
gelesen zu habe», wo mit der Gründlichkeit eines Göttinger „U!8torie«s prokes8c»r"
nachgewiesen wurde, daß alle Rebellen, voll dem ersten Brudermörder Kain bis
aus Hecker, Ledrn-Nollin und Kossuth, Bärte getragen haben, und es sich alle
loyalen Oestreicher zur Ausgabe machen sollten, dies giftige Gewächs auszurotten.
Dem guten Bäuerle müssen die Thränen der Freude aus den alten Augen ge¬
flossen sem, als er diese Verordnung gelesen hat; nnr leidet das Princip in sei¬
ner diesfälligen Anwendung an einem großen Uebelstand. Es ist nämlich welt-


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[0465] Arten veräußern, und gab auch ein Blatt heraus unter dem Namen: „Der wahre Ungar." Da nun die Aufgabe des „Wahren Ungar" war, mit dem „Ungar" zu concurriren, und der letztere eines der radicalsten Blätter der Hauptstadt wurde, so mußte der erstere noch radicaler sein, und Herr Saphir ließ in dieser Hinsicht nichts zu wünschen übrig. So traf ihn die Occupation Pesths durch Windisch- grätz, und die Einwohner der Hauptstadt glaubten ganz sicher, unter den vielen nach Debreczin geflüchteten Patrioten auch den Redacteur des „Wahren Ungar" beklagen zu müsse»; aber Herr Saphir hatte schon gezeigt, daß er von dem Ei¬ genthümer eines Journals seine ganz eigenen Begriffe habe, und am Morgen uach dem Einzuge der Oestreicher erschien der „Wahre Ungar" mit seinem bisherigen Redacteur an der Spitze, nur ein ganz kleiner Unterschied war daran wahrzu¬ nehmen, denn gestern waren uoch alle seine Adern von Wuth gegen die Tyran¬ nen und Haß gegen Habsburg angeschwellt, und heute war sein Löschpapiergesicht in geschmeidige Doppelfalten gelegt, aus dem sich einerseits Ironie und spottende Witze (?) über die „davongelaufenen Maulhelden", andrerseits freundliche Grüße lind hohe Verwunderung an die „Bezwinger der Rebellion" ergossen. Zum höch¬ sten Staunen der Hauptstadt wurde Herrn Saphir nnr die Herausgabe seiner Zeitschrift verboten, während ein junger Mann, Namens Hofmann, der in sein Blatt nur die Uebersetzung eines ungarischen revolutionären Gedichtes lieferte, zu zwei Jahren Festlingsarrest verurtheilt wurde. Als die Ungarn im April in Pesth einzogen, ging Herr Saphir nach Wien, kehrte mit Haynan wieder zurück, und gab seinen „Spiegel" heraus, bis am 2. d. seine Begriffe von dem Eigen¬ thümer eines Journals mit denen des Obercommandanten in Kollision geriethen, und Herr Saphir sitzt jetzt in Gesellschaft mehrer der im Januar 18-59 „davon¬ gelaufenen Maulhelden" im neugebaute. Tempora innwntui'. Uebrigens ist unsere Militärherrschaft mich bemüht, von Zeit zu Zeit unser Zwerchfell in Bewegung zu setzen. So hat ein in diesen Tagen an den Vorstand der Judengemeinde erlassener Besehl derselben in unserm Barerlande manch guten und schlechten Witz in die Welt gefördert. In diesem Erlaß heißt es unter An¬ dern!: „Der Vorstand soll darauf Acht haben, und wird dafür verantwortlich gemacht, daß die Juden die rebellischen Kossnthhüte ablegen, und sich die an¬ stößigen Kossuthbärte abnehmen lassen sollen." Ich erinnere mich, im October vorigen Jahres in Bäucrle's „Oestreichischen Courier" eiuen Aussatz gelesen zu habe», wo mit der Gründlichkeit eines Göttinger „U!8torie«s prokes8c»r" nachgewiesen wurde, daß alle Rebellen, voll dem ersten Brudermörder Kain bis aus Hecker, Ledrn-Nollin und Kossuth, Bärte getragen haben, und es sich alle loyalen Oestreicher zur Ausgabe machen sollten, dies giftige Gewächs auszurotten. Dem guten Bäuerle müssen die Thränen der Freude aus den alten Augen ge¬ flossen sem, als er diese Verordnung gelesen hat; nnr leidet das Princip in sei¬ ner diesfälligen Anwendung an einem großen Uebelstand. Es ist nämlich welt- Grcnzvotcn II. I8SU. S8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/465>, abgerufen am 26.06.2024.