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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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kreuzigten. -- Der Priester nähert sich einem mit dein Tode ringenden Krieger,
gibt ihm die leiste Oelung, verrichtet im Nilgesicht der beiden feindlichen Heere
sein Gebet und entfernt sich mit langsamen Schritten wieder. Die Krieger blicken
dem frommen Hirten mit verklärter Verwunderung nach; doch kaum ist seine
geisterhafte Gestalt am Horizonte verschwunden, so beginnt der Kampf von Neuem
wieder, und die von einem Symbol gebannten Leidenschaften wüthen wie die ent-
fesselten Elemente mit neuer Schnellkraft gegen einander. -- Dieses erquickende
Bild eines poetischen Gemüths findet in unserer unerquicklichen Prosa seinen leib¬
haften Doppelgänger. Die um die Suprematie in Deutschland ringenden Mächte
lassen ihre halbgezogeuen Schwerter in die Scheide zurückfallen, denn am Horizonte'
zeigt sich der heilige Vater der monarchischen Religion in dem vollen Glänze seiner
Größe und seiner rettenden Allmacht. Dahin wallfahrten die Prister von Gottes
Gnaden lind lauschen der salbungsreichen Worte des großen Meisters, der der
sterbenden Europa die letzte Oelung geben soll. Die Blicke aller Gläubigen sind
wie die der betenden Juden uach Osten gerichtet, deun von dort kommt das Heil
der rettenden Thaten und die Erlösung in Ewigkeit. Amen!

Doch nicht nur die Jünger des alleinseligmachenden Alleinherrschers, sondern
anch die ketzerischen Radicalen blicken in banger Erwartung nach der Hauptstadt
des alten Polen, denn das Unglück macht gläubig, und unsere Radicalen waren
doch so oft genöthigt ihren Glauben zu wechseln. Erst das Ministerium Batt-
hyani, dann, als dies zu den Täblabirö'S geworfen wurde, folgte der Landeö-
vertheidiguugSauSschuß, diesem folgte Kossuth, Gvrgei, die Altcouservativen, und
endlich kommt auch an Zar Nikolaus die Neihe. Und logisch haben die Radicalen
vollkommen Necht. "War denu Zar Nikolaus," so folgern sie, "je ein Freund
Oestreichs?" und doch hat er zwanzigtausend Menschen lind vielleicht eben so
viele Millionen Rubel geopfert, um dessen Thron zu retten! Warum? Weil die
Rettung dieses Thrones in seinem eigenen Interesse lag. Könnte es aber nun,
nachdem man in Ungarn so viele Sympathien hat, nicht anch im Interesse des
Zaren liegen, Ungarn vor ein Aufgehen in Oestreich zu schützen? Ferner ist es
allbekannt, daß Schwarzenberg nicht sehr angenehm ist in Petersburg, lind was
kann ein Zar aller Reußen nicht Alles nnternehuien, um einem mißliebigen Premier
Schwierigkeiten zu machen? n. s. w. Allein "man darf nicht immer Necht haben,"
sagt ein altes Sprichwort, und dies war und ist das größte Unrecht unserer Ra¬
dicalen. Aber auch dieser Glaube an den weißen Zaren ist kein allcinherrschcnder,
es gibt- noch eine Fraction unserer unverwüstlichen Hoffer, und diese hat sich einen
andern Genius, und zwar in der Person -- doch lachen müssen Sie nicht! --
Haynan'ö aufgestellt. Haynan, heißt es, hätte sich während seines hiesigen Aufent¬
haltes von der Tüchtigkeit des magyarischen Stammes, so wie von der totalen
Depravation der Serben und Walachen überzeugt; auch habe eine hochgestellte
Dame endlich eingesehen, daß man dem russischen Einfluß aus die Slaven der


kreuzigten. — Der Priester nähert sich einem mit dein Tode ringenden Krieger,
gibt ihm die leiste Oelung, verrichtet im Nilgesicht der beiden feindlichen Heere
sein Gebet und entfernt sich mit langsamen Schritten wieder. Die Krieger blicken
dem frommen Hirten mit verklärter Verwunderung nach; doch kaum ist seine
geisterhafte Gestalt am Horizonte verschwunden, so beginnt der Kampf von Neuem
wieder, und die von einem Symbol gebannten Leidenschaften wüthen wie die ent-
fesselten Elemente mit neuer Schnellkraft gegen einander. — Dieses erquickende
Bild eines poetischen Gemüths findet in unserer unerquicklichen Prosa seinen leib¬
haften Doppelgänger. Die um die Suprematie in Deutschland ringenden Mächte
lassen ihre halbgezogeuen Schwerter in die Scheide zurückfallen, denn am Horizonte'
zeigt sich der heilige Vater der monarchischen Religion in dem vollen Glänze seiner
Größe und seiner rettenden Allmacht. Dahin wallfahrten die Prister von Gottes
Gnaden lind lauschen der salbungsreichen Worte des großen Meisters, der der
sterbenden Europa die letzte Oelung geben soll. Die Blicke aller Gläubigen sind
wie die der betenden Juden uach Osten gerichtet, deun von dort kommt das Heil
der rettenden Thaten und die Erlösung in Ewigkeit. Amen!

Doch nicht nur die Jünger des alleinseligmachenden Alleinherrschers, sondern
anch die ketzerischen Radicalen blicken in banger Erwartung nach der Hauptstadt
des alten Polen, denn das Unglück macht gläubig, und unsere Radicalen waren
doch so oft genöthigt ihren Glauben zu wechseln. Erst das Ministerium Batt-
hyani, dann, als dies zu den Täblabirö'S geworfen wurde, folgte der Landeö-
vertheidiguugSauSschuß, diesem folgte Kossuth, Gvrgei, die Altcouservativen, und
endlich kommt auch an Zar Nikolaus die Neihe. Und logisch haben die Radicalen
vollkommen Necht. „War denu Zar Nikolaus," so folgern sie, „je ein Freund
Oestreichs?" und doch hat er zwanzigtausend Menschen lind vielleicht eben so
viele Millionen Rubel geopfert, um dessen Thron zu retten! Warum? Weil die
Rettung dieses Thrones in seinem eigenen Interesse lag. Könnte es aber nun,
nachdem man in Ungarn so viele Sympathien hat, nicht anch im Interesse des
Zaren liegen, Ungarn vor ein Aufgehen in Oestreich zu schützen? Ferner ist es
allbekannt, daß Schwarzenberg nicht sehr angenehm ist in Petersburg, lind was
kann ein Zar aller Reußen nicht Alles nnternehuien, um einem mißliebigen Premier
Schwierigkeiten zu machen? n. s. w. Allein „man darf nicht immer Necht haben,"
sagt ein altes Sprichwort, und dies war und ist das größte Unrecht unserer Ra¬
dicalen. Aber auch dieser Glaube an den weißen Zaren ist kein allcinherrschcnder,
es gibt- noch eine Fraction unserer unverwüstlichen Hoffer, und diese hat sich einen
andern Genius, und zwar in der Person — doch lachen müssen Sie nicht! —
Haynan'ö aufgestellt. Haynan, heißt es, hätte sich während seines hiesigen Aufent¬
haltes von der Tüchtigkeit des magyarischen Stammes, so wie von der totalen
Depravation der Serben und Walachen überzeugt; auch habe eine hochgestellte
Dame endlich eingesehen, daß man dem russischen Einfluß aus die Slaven der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/462>, abgerufen am 01.07.2024.