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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Gelegenheit darbieten zur Verwirklichung der Ideen, die als Theorien längst schon
aus jenen beiden Ländern eingewandert waren, jetzt aber im verlockenden Glänze
praktischer Experimente, vollendeter Thatsachen von dort herüberschimmerte". Des¬
gleichen gewährte die Nähe der Schweiz und Frankreichs jeder ausbrechenden
Bewegung eine stets bereite Unterstützung in den Zuzügen von jenseits der Grenze,
jeder mißglückenden leichte und sichere Nückzngspnnkte nebst der Möglichkeit, zur
passenden Stunde aufs Neue das alte Spiel zu versuche". Rechnet man dazu
endlich noch die größere Erregtheit des badischen Charakters -- eine Folge des
im Ganzen wohlhäbigen Lebens und der ziemlich allgemeinen Bildung der Bevöl¬
kerung -- und die fast dreißigjährige Uebung eines constitutionellen Lebens,
welches eben so sehr von oben ans jede Weise, zumTheil mit den schlechtesten Mit¬
teln, verkümmert, als von Seiten der parlamentarischen Parteiführer zum idealsten
Schwunge gesteigert worden war, -- so begreift man, wie die Bewegung gerade
dort die Intensität und deu gewaltsamen Charakter annehmen mußte, den sie in den
wiederholten Schilderhebnugen Hecker's und Struve's und in der endlichen Nepubli-
kauisiruug des ganzen Ländchens im Mai vor. I. erreichte. Man begreift es,
auch ohne noch andere, nicht minder vorhandene Momente der Fermentation in
Anrechnung zu bringen-- die Verderbnis) gewisser hoher und höchster Kreise, die
den moralischen Sinn des Volkes tief verletzt hatten (man denke nur an die
famose Haber'sche Geschichte und an die mysteriöse" Fäden. welche die geschäftige
Sage zwische" des unglückliche" Hausers Schicksal und dem Karlsruher Fürsteu¬
schloß gewoben hatte), -- den brüsten Ton, durch den el" Theil des badische"
Offiziercorps sich auszeichnete, die Korruption und den Schreibstnbendcspotisnuls,
der nnter den reactionären Ncgierungsfystemen eines Böckh, BlitterSdorff u. A.
in der Beamtenwelt um sich gegriffen hatte. Genuß waren auch diese letztern Ur¬
sachen einer tiefen Unzufriedenheit und Demoralisation des Volks nicht in geringem
Maße vou Einfluß auf die Ausschweifungen des Freiheitögeisteö in Baden, wenn
auch Bett hierüber schweigt, jedenfalls aus Rücksichten, die der gewesene Minister
dein Geschichtschreiber auferlegte. Allgemeinere Ursachen, namentlich für die
Meuterei im Heere, welche Bett' anführt (z. B. die plötzliche Vermehrung des Heeres
auf 2"/<> und der Wegfall des Einftellnugssystems, welches beides die Armee mit
jungen EMirte", besonders auch der gebildeten Stände, angefüllt, deu Stamm
der alten gedienten Leute aber vermindert habe), erklären diese fast beispiellose
Erscheinung nicht genugsam, weil sie, eben als allgemeine, beinahe alle deutsche Länder
treffen würde, und also immer nicht erklären warum bei den gleichen Ursachen
nur in Baden die Wirkung eine so ganz abnorme gewesen sei. Hier liegt die
Vermuthung fast ans der Hand, daß der Geist der Führer und ihr Verhältniß zu
ihren Untergebene", wenigstens zum großen Theil, nicht von der Art gewesen sei,
um gleichzeitig Vertrauen und Autorität bei den letzteren hervorzurufen, die
beiden nothwendigen und, in ihrer Verbindung mit einander, allein sichern


Gelegenheit darbieten zur Verwirklichung der Ideen, die als Theorien längst schon
aus jenen beiden Ländern eingewandert waren, jetzt aber im verlockenden Glänze
praktischer Experimente, vollendeter Thatsachen von dort herüberschimmerte». Des¬
gleichen gewährte die Nähe der Schweiz und Frankreichs jeder ausbrechenden
Bewegung eine stets bereite Unterstützung in den Zuzügen von jenseits der Grenze,
jeder mißglückenden leichte und sichere Nückzngspnnkte nebst der Möglichkeit, zur
passenden Stunde aufs Neue das alte Spiel zu versuche». Rechnet man dazu
endlich noch die größere Erregtheit des badischen Charakters — eine Folge des
im Ganzen wohlhäbigen Lebens und der ziemlich allgemeinen Bildung der Bevöl¬
kerung — und die fast dreißigjährige Uebung eines constitutionellen Lebens,
welches eben so sehr von oben ans jede Weise, zumTheil mit den schlechtesten Mit¬
teln, verkümmert, als von Seiten der parlamentarischen Parteiführer zum idealsten
Schwunge gesteigert worden war, — so begreift man, wie die Bewegung gerade
dort die Intensität und deu gewaltsamen Charakter annehmen mußte, den sie in den
wiederholten Schilderhebnugen Hecker's und Struve's und in der endlichen Nepubli-
kauisiruug des ganzen Ländchens im Mai vor. I. erreichte. Man begreift es,
auch ohne noch andere, nicht minder vorhandene Momente der Fermentation in
Anrechnung zu bringen— die Verderbnis) gewisser hoher und höchster Kreise, die
den moralischen Sinn des Volkes tief verletzt hatten (man denke nur an die
famose Haber'sche Geschichte und an die mysteriöse» Fäden. welche die geschäftige
Sage zwische» des unglückliche» Hausers Schicksal und dem Karlsruher Fürsteu¬
schloß gewoben hatte), — den brüsten Ton, durch den el» Theil des badische»
Offiziercorps sich auszeichnete, die Korruption und den Schreibstnbendcspotisnuls,
der nnter den reactionären Ncgierungsfystemen eines Böckh, BlitterSdorff u. A.
in der Beamtenwelt um sich gegriffen hatte. Genuß waren auch diese letztern Ur¬
sachen einer tiefen Unzufriedenheit und Demoralisation des Volks nicht in geringem
Maße vou Einfluß auf die Ausschweifungen des Freiheitögeisteö in Baden, wenn
auch Bett hierüber schweigt, jedenfalls aus Rücksichten, die der gewesene Minister
dein Geschichtschreiber auferlegte. Allgemeinere Ursachen, namentlich für die
Meuterei im Heere, welche Bett' anführt (z. B. die plötzliche Vermehrung des Heeres
auf 2"/<> und der Wegfall des Einftellnugssystems, welches beides die Armee mit
jungen EMirte», besonders auch der gebildeten Stände, angefüllt, deu Stamm
der alten gedienten Leute aber vermindert habe), erklären diese fast beispiellose
Erscheinung nicht genugsam, weil sie, eben als allgemeine, beinahe alle deutsche Länder
treffen würde, und also immer nicht erklären warum bei den gleichen Ursachen
nur in Baden die Wirkung eine so ganz abnorme gewesen sei. Hier liegt die
Vermuthung fast ans der Hand, daß der Geist der Führer und ihr Verhältniß zu
ihren Untergebene», wenigstens zum großen Theil, nicht von der Art gewesen sei,
um gleichzeitig Vertrauen und Autorität bei den letzteren hervorzurufen, die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/455>, abgerufen am 22.07.2024.