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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Das christliche Ideal ist seinem Inhalt nach nicht blos; verschieden von
dein unsrigen, sondern der directe Widerspruch desselben. Das Bild vom Reiche
Gottes, wie es Christus, die Apostel, die byzantinische und römische Kirche, wie
es Luther und Calvin, wie es die Männer der fünften Monarchie, wie es noch
Herr von Lamenais und seine Gleichgesinnten sich vorbestellt haben, wie es die
modernen Erneuerer des historischen Christenthums, wenigstens mit dem Rechte
der Legitimität nachbilden. -- Dieses Bild in allen seinen Formen, so sehr sie
im Einzelnen von einander abweichen, ist der gerade Gegensatz zu uusern eige¬
nen Wünschen und Hoffnungen.

Der christliche Glaube ist seiner Form nach dem unserigen ebenso ent¬
gegengesetzt. Denn jener beruht ans Autorität, dieser aus Autonomie. Das ist
doch wohl ein Unterschied wie zwischen Himmel und Erde. Wenn Kant diejenigen
Glaubenssätze der christlichen Lehre, die er für wesentlich hielt (Existenz Gottes,
Unsterblichkeit), nachdem er ihre Grundlage, die Autorität gebrochen, als Postulate
der reinen Vernunft wiederherstellte, so war das eine sehr illusorische Wiederher¬
stellung, denn sie dauerte nur so lange, als die "reine Vernunft" nöthig hatte,
dnrch derartige "Postulate" ihr System zu ergänzen, und schou der nächste Phi¬
losoph, Fichte, laut zu der Ueberzeugung, daß es sich halte" lasse auch ohne jene
äußerlichen Stützen.

Diese beiden Punkte siud so klar, daß kaum nöthig ist, noch etwas hinzu¬
zusetzen. Aber ich gehe noch weiter.

Bekanntlich ist es gerade die jüngere Schule Hegels gewesen, namentlich
Arnold Ruge, welche die Nothwendigkeit eines neuen (purificirter christlichen)
Glaubens, einer neuen (humanen) Religion ans das lebhafteste vertheidigt hat.
-- Diese Ansicht ist einerseits in doppelter Beziehung richtig, -- wenn man nur
an dem Grundsatz festhält, daß der Glaube erst da anfangen darf, wo das Wissen
aufhört, daß er sich also nie ans intellectuelle, speculative Wahrheiten, sondern nnr
auf sittliche beziehen kann: -- richtig, insofern die ethischen Ueberzeugungen, wenn
man sie auch mit Hilfe des Nachdenkens begründet, erweitert n. s. w., doch
endlich zu einem Abschluß im Geist, z" einem Ruhepunkte kommen müssen, möge
man diesen Gesinnung, oder Grundsatz, oder Religion nennen, wenn überhaupt
von einem sittlichen Charakter, einem sittlichen Handeln die Rede sein soll; richtig
serner, insofern die erkannten sittlichen Ideen erst dann fruchtbar werden, wenn sie
ins Herz, ins Gemüth aufgenommen werden, wenn wir mit Liebe hegen, was wir
begriffen haben.

Aber dieser neue Glaube, diese neue Religion hat auch eine sehr mißliche
Seite -- und zwar gerade dieselbe, die wir bei der alten verdammen müssen.

Einmal stellt sich der Glaube an eine Idee, gerade in den Zeiten, wo er
prodnctiv ist, d. h. in Zeiten der geistigen Wiedergeburt, als Glaube an die
Realisirung dieser Idee in einem bestimmten, empirischen Falle dar und macht


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Das christliche Ideal ist seinem Inhalt nach nicht blos; verschieden von
dein unsrigen, sondern der directe Widerspruch desselben. Das Bild vom Reiche
Gottes, wie es Christus, die Apostel, die byzantinische und römische Kirche, wie
es Luther und Calvin, wie es die Männer der fünften Monarchie, wie es noch
Herr von Lamenais und seine Gleichgesinnten sich vorbestellt haben, wie es die
modernen Erneuerer des historischen Christenthums, wenigstens mit dem Rechte
der Legitimität nachbilden. — Dieses Bild in allen seinen Formen, so sehr sie
im Einzelnen von einander abweichen, ist der gerade Gegensatz zu uusern eige¬
nen Wünschen und Hoffnungen.

Der christliche Glaube ist seiner Form nach dem unserigen ebenso ent¬
gegengesetzt. Denn jener beruht ans Autorität, dieser aus Autonomie. Das ist
doch wohl ein Unterschied wie zwischen Himmel und Erde. Wenn Kant diejenigen
Glaubenssätze der christlichen Lehre, die er für wesentlich hielt (Existenz Gottes,
Unsterblichkeit), nachdem er ihre Grundlage, die Autorität gebrochen, als Postulate
der reinen Vernunft wiederherstellte, so war das eine sehr illusorische Wiederher¬
stellung, denn sie dauerte nur so lange, als die „reine Vernunft" nöthig hatte,
dnrch derartige „Postulate" ihr System zu ergänzen, und schou der nächste Phi¬
losoph, Fichte, laut zu der Ueberzeugung, daß es sich halte» lasse auch ohne jene
äußerlichen Stützen.

Diese beiden Punkte siud so klar, daß kaum nöthig ist, noch etwas hinzu¬
zusetzen. Aber ich gehe noch weiter.

Bekanntlich ist es gerade die jüngere Schule Hegels gewesen, namentlich
Arnold Ruge, welche die Nothwendigkeit eines neuen (purificirter christlichen)
Glaubens, einer neuen (humanen) Religion ans das lebhafteste vertheidigt hat.
— Diese Ansicht ist einerseits in doppelter Beziehung richtig, — wenn man nur
an dem Grundsatz festhält, daß der Glaube erst da anfangen darf, wo das Wissen
aufhört, daß er sich also nie ans intellectuelle, speculative Wahrheiten, sondern nnr
auf sittliche beziehen kann: — richtig, insofern die ethischen Ueberzeugungen, wenn
man sie auch mit Hilfe des Nachdenkens begründet, erweitert n. s. w., doch
endlich zu einem Abschluß im Geist, z» einem Ruhepunkte kommen müssen, möge
man diesen Gesinnung, oder Grundsatz, oder Religion nennen, wenn überhaupt
von einem sittlichen Charakter, einem sittlichen Handeln die Rede sein soll; richtig
serner, insofern die erkannten sittlichen Ideen erst dann fruchtbar werden, wenn sie
ins Herz, ins Gemüth aufgenommen werden, wenn wir mit Liebe hegen, was wir
begriffen haben.

Aber dieser neue Glaube, diese neue Religion hat auch eine sehr mißliche
Seite — und zwar gerade dieselbe, die wir bei der alten verdammen müssen.

Einmal stellt sich der Glaube an eine Idee, gerade in den Zeiten, wo er
prodnctiv ist, d. h. in Zeiten der geistigen Wiedergeburt, als Glaube an die
Realisirung dieser Idee in einem bestimmten, empirischen Falle dar und macht


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[0419] Das christliche Ideal ist seinem Inhalt nach nicht blos; verschieden von dein unsrigen, sondern der directe Widerspruch desselben. Das Bild vom Reiche Gottes, wie es Christus, die Apostel, die byzantinische und römische Kirche, wie es Luther und Calvin, wie es die Männer der fünften Monarchie, wie es noch Herr von Lamenais und seine Gleichgesinnten sich vorbestellt haben, wie es die modernen Erneuerer des historischen Christenthums, wenigstens mit dem Rechte der Legitimität nachbilden. — Dieses Bild in allen seinen Formen, so sehr sie im Einzelnen von einander abweichen, ist der gerade Gegensatz zu uusern eige¬ nen Wünschen und Hoffnungen. Der christliche Glaube ist seiner Form nach dem unserigen ebenso ent¬ gegengesetzt. Denn jener beruht ans Autorität, dieser aus Autonomie. Das ist doch wohl ein Unterschied wie zwischen Himmel und Erde. Wenn Kant diejenigen Glaubenssätze der christlichen Lehre, die er für wesentlich hielt (Existenz Gottes, Unsterblichkeit), nachdem er ihre Grundlage, die Autorität gebrochen, als Postulate der reinen Vernunft wiederherstellte, so war das eine sehr illusorische Wiederher¬ stellung, denn sie dauerte nur so lange, als die „reine Vernunft" nöthig hatte, dnrch derartige „Postulate" ihr System zu ergänzen, und schou der nächste Phi¬ losoph, Fichte, laut zu der Ueberzeugung, daß es sich halte» lasse auch ohne jene äußerlichen Stützen. Diese beiden Punkte siud so klar, daß kaum nöthig ist, noch etwas hinzu¬ zusetzen. Aber ich gehe noch weiter. Bekanntlich ist es gerade die jüngere Schule Hegels gewesen, namentlich Arnold Ruge, welche die Nothwendigkeit eines neuen (purificirter christlichen) Glaubens, einer neuen (humanen) Religion ans das lebhafteste vertheidigt hat. — Diese Ansicht ist einerseits in doppelter Beziehung richtig, — wenn man nur an dem Grundsatz festhält, daß der Glaube erst da anfangen darf, wo das Wissen aufhört, daß er sich also nie ans intellectuelle, speculative Wahrheiten, sondern nnr auf sittliche beziehen kann: — richtig, insofern die ethischen Ueberzeugungen, wenn man sie auch mit Hilfe des Nachdenkens begründet, erweitert n. s. w., doch endlich zu einem Abschluß im Geist, z» einem Ruhepunkte kommen müssen, möge man diesen Gesinnung, oder Grundsatz, oder Religion nennen, wenn überhaupt von einem sittlichen Charakter, einem sittlichen Handeln die Rede sein soll; richtig serner, insofern die erkannten sittlichen Ideen erst dann fruchtbar werden, wenn sie ins Herz, ins Gemüth aufgenommen werden, wenn wir mit Liebe hegen, was wir begriffen haben. Aber dieser neue Glaube, diese neue Religion hat auch eine sehr mißliche Seite — und zwar gerade dieselbe, die wir bei der alten verdammen müssen. Einmal stellt sich der Glaube an eine Idee, gerade in den Zeiten, wo er prodnctiv ist, d. h. in Zeiten der geistigen Wiedergeburt, als Glaube an die Realisirung dieser Idee in einem bestimmten, empirischen Falle dar und macht 52*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/419>, abgerufen am 22.07.2024.