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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Die Partei muß sich jetzt klar machen, auf welchem Boden sie eigentlich steht.

Ans Preußen kann sie sich nicht stützen. Wir theilen zwar nicht die von den
Demokraten verbreitete Ansicht, daß die Kabinette im Stillen vollkommen einig
sind, und die Ostentation ihrer Uneinigkeit nur darum treiben, um das Volk zu
betrugen. Wir siud vielmehr der Ueberzeugung, daß es Preußen mit seinem
Zorn gegen Oestreich und die Königreiche, daß es Oestreich und den Königreichen
mit ihrem Zorn gegen Preußen bittrer Ernst ist. Thronreden, wie der König von
Würtemberg, hält man nicht, wenn der innere Groll nicht überkocht.

Aber Preußen ist in der eignen Lage, von zwei sich absolut widersprechenden
Wünschen bestimmt zu werden. Es möchte gern über die in seinen Rayon fallen¬
den Kleinstaaten eine ungetheilte Hegemonie ausüben, ja es fühlt die innere
Nothwendigkeit, dahin zu streben, und es weiß, daß es dazu nur durch eine Ver¬
bindung mit der kleiudeutscheu parlamentarischen Partei gelangen kann; es möchte
aber andererseits auch gern das Princip der Neuerung mit der Wurzel ausrotten,
und es fühlt, daß das wirksamste Mittel dazu die Herstellung des Bundestags ist.
Es steht -- 8ins emnpcuÄison -- wie Buridan's Esel zwischen zwei Henbündeln
und weiß nicht, zu welchem es sich entschließen soll. Es möchte die kleindeutsche,
parlamentarische Partei gegen die Renitenz der Königreiche und den Uebermuth
Oestreichs benutzen, aber bei jeder Maßregel der Regierungen gegen die klein-
deutsche Partei wird es im Herzen ans Seite der Regierungen stehen und bei
der vorherrschend reactionären Richtung der Zeit sich nicht erwehren können, auch
factisch auf diese Seite zu trete".

ES ist also voraus zu sehen, daß Preußen, wenn es auch in Frankfurt mit
den entschiedensten Unionö-Tendenzen eintreten sollte -- im Fall nämlich in War¬
schau noch nicht eine wesentliche Umkehr seiner Politik vorbereitet ist -- daß es
dnrch die natürliche Entwickelung der Verhältnisse dahin getrieben wird, mehr
und mehr auf die Ideen seiner Gegner einzugehen. Zuerst werden die gemein¬
samen Maßregeln gegen die Revolution getroffen werden, dann wird es sich über¬
zeugen lassen, daß die parlamentarische Form seiner Union seinen eignen Zwecken
widerspricht, dann, daß der Umfang derselben für die vollständige Ausübung seiner
Hegemonie zu groß ist, dann wird man ihm Concessionen machen in Beziehung
auf die ihm zunächst liegenden Kleinstaaten, wofür es wahrscheinlich in Beziehung
auf Baden und Oldenburg Concessionen macheu wird, und dann wird, selbst
wenn der Nest der Union Zusammenhalt, der eigentliche Knotenpunkt der Negie-
rungöpolitik uach Frankfurt fallen.

Was soll uuter diese" Umständen die Partei thun? -- Das Programm von
Gotha, wodurch die Partei sich verpflichtet, Preußen in seiner kleindentsche" Po¬
litik zu unterstützen, reicht mir auf so lauge aus, als Preußen diese Politik hat.
Unmöglich können wir Preußen zwingen, die Hegemonie in Deutschland zu
erringen. Ultra posso rwmo oblig^tur.


Die Partei muß sich jetzt klar machen, auf welchem Boden sie eigentlich steht.

Ans Preußen kann sie sich nicht stützen. Wir theilen zwar nicht die von den
Demokraten verbreitete Ansicht, daß die Kabinette im Stillen vollkommen einig
sind, und die Ostentation ihrer Uneinigkeit nur darum treiben, um das Volk zu
betrugen. Wir siud vielmehr der Ueberzeugung, daß es Preußen mit seinem
Zorn gegen Oestreich und die Königreiche, daß es Oestreich und den Königreichen
mit ihrem Zorn gegen Preußen bittrer Ernst ist. Thronreden, wie der König von
Würtemberg, hält man nicht, wenn der innere Groll nicht überkocht.

Aber Preußen ist in der eignen Lage, von zwei sich absolut widersprechenden
Wünschen bestimmt zu werden. Es möchte gern über die in seinen Rayon fallen¬
den Kleinstaaten eine ungetheilte Hegemonie ausüben, ja es fühlt die innere
Nothwendigkeit, dahin zu streben, und es weiß, daß es dazu nur durch eine Ver¬
bindung mit der kleiudeutscheu parlamentarischen Partei gelangen kann; es möchte
aber andererseits auch gern das Princip der Neuerung mit der Wurzel ausrotten,
und es fühlt, daß das wirksamste Mittel dazu die Herstellung des Bundestags ist.
Es steht — 8ins emnpcuÄison — wie Buridan's Esel zwischen zwei Henbündeln
und weiß nicht, zu welchem es sich entschließen soll. Es möchte die kleindeutsche,
parlamentarische Partei gegen die Renitenz der Königreiche und den Uebermuth
Oestreichs benutzen, aber bei jeder Maßregel der Regierungen gegen die klein-
deutsche Partei wird es im Herzen ans Seite der Regierungen stehen und bei
der vorherrschend reactionären Richtung der Zeit sich nicht erwehren können, auch
factisch auf diese Seite zu trete».

ES ist also voraus zu sehen, daß Preußen, wenn es auch in Frankfurt mit
den entschiedensten Unionö-Tendenzen eintreten sollte — im Fall nämlich in War¬
schau noch nicht eine wesentliche Umkehr seiner Politik vorbereitet ist — daß es
dnrch die natürliche Entwickelung der Verhältnisse dahin getrieben wird, mehr
und mehr auf die Ideen seiner Gegner einzugehen. Zuerst werden die gemein¬
samen Maßregeln gegen die Revolution getroffen werden, dann wird es sich über¬
zeugen lassen, daß die parlamentarische Form seiner Union seinen eignen Zwecken
widerspricht, dann, daß der Umfang derselben für die vollständige Ausübung seiner
Hegemonie zu groß ist, dann wird man ihm Concessionen machen in Beziehung
auf die ihm zunächst liegenden Kleinstaaten, wofür es wahrscheinlich in Beziehung
auf Baden und Oldenburg Concessionen macheu wird, und dann wird, selbst
wenn der Nest der Union Zusammenhalt, der eigentliche Knotenpunkt der Negie-
rungöpolitik uach Frankfurt fallen.

Was soll uuter diese» Umständen die Partei thun? — Das Programm von
Gotha, wodurch die Partei sich verpflichtet, Preußen in seiner kleindentsche» Po¬
litik zu unterstützen, reicht mir auf so lauge aus, als Preußen diese Politik hat.
Unmöglich können wir Preußen zwingen, die Hegemonie in Deutschland zu
erringen. Ultra posso rwmo oblig^tur.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/412>, abgerufen am 22.07.2024.