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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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gebrochen, und das Land geht bei einer neuen Krisis einer unheilvollen Zu¬
kunft entgegen. .

Wenn aber der Landtag, wie es seine Pflicht ist, sich für incompetent er¬
klärt, irgend welche legislative Function auszuüben -- was gedenkt die Regierung
daun eigentlich zu thun?-- Die Eventualität mußte sie sich doch vor Angen stelle".

Daß ein Unrecht das andere nach sich zieht, liegt in der Statur der Sache.
Mit der Ordonnanz über die Aufhebung des Wahlgesetzes vom 15. November
1848 gleichzeitig siud drei andere erschienen: ein neues Preßgesetz, ein Gesetz
über das Vereins- und VcrsammlungSrecht, und eine Erklärung über die Wieder-
einführung der Todesstrafe, von denen wenigstens das erste der klaren Bestim¬
mungen der Verfassung widerspricht, und außerdem der Polizei eine so willkühr-
liche Gewalt in die Hände gibt, daß sie in diesem Umfang gar nicht einmal
durchzuführen ist. H. 1 sagt nämlich: die Polizeibehörden haben Zeitschriften
und audere Preßerzengnisse, welche Uebertretungen der Strafgesetze . . . enthalten,
überall, wo sie dieselben vorfinden, wegzunehmen und .... dein Staatsanwalt
zu übergeben. H. 2. Die Krcisdirectionen werden ermächtigt, das weitere Er¬
scheinen von Zeitschriften, welche zweimal zu der §. 1 erwähnten Maßregel
Veranlassung gegeben haben (also noch ehe das Gericht die Ansicht der Polizei
sanctionirt, ja selbst wenn es dieselbe wieder aufgehoben hat), bei wiederholten
Ucbertretuttgen der gedachten Art zu verbieten. H. -4. Necurse gegen die in ez> 1
vorgeschriebene Maßregel haben, keine Suspensivkraft. Gegen die nach H. 2 von
den Kreiödireetioneu ausgehenden Anordnungen ist nur ein Recurs mit Suspeu¬
sivkraft an das Ministerium des Innern zulässig. (Also nicht an die Gerichte.) --
Mit diesen Bestimmungen ist die Presse wieder in den Zustand der vollständigsten
Rechtlosigkeit zurückversetzt. --

Wir gehören nicht zu den Politikern von permanenter sittlicher Entrüstung, die
bei jedem Unwetter in die Posaune stoßen und den Untergang der Welt verkün¬
digen, auch nicht zu den Pessimisten, die über jede neue Verkehrtheit in eiuen
bittern Jubel ausbrechen, weil nun das Maß der Sünde endlich voll und der Tag
der Rache gekommen sein müsse. -- Wir wolle" selbst das gedrückte Gefühl, dessen
sich Niemand erwehren kann, wenn sein Fahrzeug von berauschten Fuhrleuten an
deu Rand eines Abgrundes getrieben wird, für den Augenblick zurückdrängen, um
nach dem Zusammenhang dieser im Einzelnen ganz unbegreiflichen Maßregeln zu
forschen.

Die Ordonnanzen sind, wie die ministeriellen Blätter offen erklären, ebenso
gegen die kleindeutsche Partei gerichtet, als gegen die Demokraten. Es ist zu
erwarten, daß diese Maßregel nicht vereinzelt bleibt. Zunächst in Stuttgart und
Kassel werden ähnliche Schritte folgen -- in München und Hannover dürfte es
kaum nöthig sein -- dann wird der restaurirte Bundestag in Frankfurt in einem
gemeinsamen System vorschreiten.


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gebrochen, und das Land geht bei einer neuen Krisis einer unheilvollen Zu¬
kunft entgegen. .

Wenn aber der Landtag, wie es seine Pflicht ist, sich für incompetent er¬
klärt, irgend welche legislative Function auszuüben — was gedenkt die Regierung
daun eigentlich zu thun?— Die Eventualität mußte sie sich doch vor Angen stelle».

Daß ein Unrecht das andere nach sich zieht, liegt in der Statur der Sache.
Mit der Ordonnanz über die Aufhebung des Wahlgesetzes vom 15. November
1848 gleichzeitig siud drei andere erschienen: ein neues Preßgesetz, ein Gesetz
über das Vereins- und VcrsammlungSrecht, und eine Erklärung über die Wieder-
einführung der Todesstrafe, von denen wenigstens das erste der klaren Bestim¬
mungen der Verfassung widerspricht, und außerdem der Polizei eine so willkühr-
liche Gewalt in die Hände gibt, daß sie in diesem Umfang gar nicht einmal
durchzuführen ist. H. 1 sagt nämlich: die Polizeibehörden haben Zeitschriften
und audere Preßerzengnisse, welche Uebertretungen der Strafgesetze . . . enthalten,
überall, wo sie dieselben vorfinden, wegzunehmen und .... dein Staatsanwalt
zu übergeben. H. 2. Die Krcisdirectionen werden ermächtigt, das weitere Er¬
scheinen von Zeitschriften, welche zweimal zu der §. 1 erwähnten Maßregel
Veranlassung gegeben haben (also noch ehe das Gericht die Ansicht der Polizei
sanctionirt, ja selbst wenn es dieselbe wieder aufgehoben hat), bei wiederholten
Ucbertretuttgen der gedachten Art zu verbieten. H. -4. Necurse gegen die in ez> 1
vorgeschriebene Maßregel haben, keine Suspensivkraft. Gegen die nach H. 2 von
den Kreiödireetioneu ausgehenden Anordnungen ist nur ein Recurs mit Suspeu¬
sivkraft an das Ministerium des Innern zulässig. (Also nicht an die Gerichte.) —
Mit diesen Bestimmungen ist die Presse wieder in den Zustand der vollständigsten
Rechtlosigkeit zurückversetzt. —

Wir gehören nicht zu den Politikern von permanenter sittlicher Entrüstung, die
bei jedem Unwetter in die Posaune stoßen und den Untergang der Welt verkün¬
digen, auch nicht zu den Pessimisten, die über jede neue Verkehrtheit in eiuen
bittern Jubel ausbrechen, weil nun das Maß der Sünde endlich voll und der Tag
der Rache gekommen sein müsse. — Wir wolle» selbst das gedrückte Gefühl, dessen
sich Niemand erwehren kann, wenn sein Fahrzeug von berauschten Fuhrleuten an
deu Rand eines Abgrundes getrieben wird, für den Augenblick zurückdrängen, um
nach dem Zusammenhang dieser im Einzelnen ganz unbegreiflichen Maßregeln zu
forschen.

Die Ordonnanzen sind, wie die ministeriellen Blätter offen erklären, ebenso
gegen die kleindeutsche Partei gerichtet, als gegen die Demokraten. Es ist zu
erwarten, daß diese Maßregel nicht vereinzelt bleibt. Zunächst in Stuttgart und
Kassel werden ähnliche Schritte folgen — in München und Hannover dürfte es
kaum nöthig sein — dann wird der restaurirte Bundestag in Frankfurt in einem
gemeinsamen System vorschreiten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/411>, abgerufen am 22.07.2024.