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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Partei moralisch zu vernichten; nur Eavaiguac ist geschont wordeu. Sie hat die
Absicht namentlich gegen Einzelne, z. B. Victor Hugo nud Jules Favre, voll¬
ständig erreicht; ich möchte aber bezweifeln, ob zu ihrem Heil. Denn ihr Haupt¬
vorwurf gegen die Blauen -- auf deu keiner vou diesen geantwortet hat --ist
der, daß sie in deu letzten Wahlen für die Socialisten gestimmt haben. Durch
ihr Verfahren treiben sie aber die Mittelspartci vollständig in die Arme des
Socialismus.

Bei directen Wahlen wird ohnehin eine abstracte Parteistellung vorwalten.
Zwei schroff prononcirte Parteien, unter starker Leitung, lassen den zwischen ihnen
stehenden keine Wahl, als sich entweder der einen von ihnen anzuschließen, oder
ihr Stimmrecht illusorisch zu machen. Bei indirecten Wahlen ist es eher möglich,
daß Vertreter eines concreten Interesses, nicht eines abstracten Princips, ge¬
wählt werden.

Also ans der einen Seile Montalembert, ans der andern Ledrn Nollin. Die
Wahl wird schwer. Denn man studire die Reden jenes Führers der ultramon-
tanen Partei, dessen glänzendes Talent ich übrigens auch in dieser neuesten De¬
batte nicht verkenne, so wird man als den rothen Faden derselben die einfache
Negation finden: keine Concessionen den Feinden der Gesellschaft! vielmehr Offen¬
sive, ein römischer Kreuzzug gegen die Revolution. Er geht bei der Erörterung
eines Gesetzes nie von der eigentlichen Natur desselben aus, sondern stets von
der einfachen Frage: können wir dadurch der Demokratie eine neue Fessel an¬
legen?--> lind es ist Montalembert, der die eigentliche Gesinnung der Majorität
ausspricht. -- Indem man sich seiner Partei anschließt, der Partei der sogenann¬
ten Ordnung, spricht man kein positives Princip ans, keine Idee für die neue
Organisation des Staats, die doch a"f die eine oder die andere Art erfolgen muß;
man schließt sich nur einem Feldzuge an, dessen letztes Ziel man nicht Übersicht.

Montelembert hat erklärt, er liebe die alte Gesellschaft, den alten Staat
keineswegs. Beide seien ihm noch viel zu liberal, viel zu aufgeklärt. Aber sie
seien doch noch immer besser, als die phantastischen Ideale der neuen Zeit, dar¬
um führe er einen Vertilgungskrieg gegen ihre Gegner.

Ein solcher Krieg ist ein Jahr, zwei Jahre zu führen; länger halt die Parole
nicht an. So lange sich nicht ein Staatsmann findet, der über die abstract po¬
litischen Fragen -- Königthum oder Republik, allgemeines oder beschränktes Wahl¬
recht u. s. w. hinaus, zu Ideen der wirklichen Organisation übergeht -- und ich
finde in keiner der drei Parteien einen solchen Staatsmann -- so sehe ich sür
Frankreich kein Heil. Weder die Armee noch die von den Jesuiten geleitete Geist¬
lichkeit ist im Stande, der Gesellschaft den Halt zu geben, der in der sittlichen Ge¬
sinnung, und ni dem, was diese eigentlich hervorbringt, in der administrativen
Selbstständigkeit der einzelnen Theile nicht vorhanden ist.




Partei moralisch zu vernichten; nur Eavaiguac ist geschont wordeu. Sie hat die
Absicht namentlich gegen Einzelne, z. B. Victor Hugo nud Jules Favre, voll¬
ständig erreicht; ich möchte aber bezweifeln, ob zu ihrem Heil. Denn ihr Haupt¬
vorwurf gegen die Blauen — auf deu keiner vou diesen geantwortet hat —ist
der, daß sie in deu letzten Wahlen für die Socialisten gestimmt haben. Durch
ihr Verfahren treiben sie aber die Mittelspartci vollständig in die Arme des
Socialismus.

Bei directen Wahlen wird ohnehin eine abstracte Parteistellung vorwalten.
Zwei schroff prononcirte Parteien, unter starker Leitung, lassen den zwischen ihnen
stehenden keine Wahl, als sich entweder der einen von ihnen anzuschließen, oder
ihr Stimmrecht illusorisch zu machen. Bei indirecten Wahlen ist es eher möglich,
daß Vertreter eines concreten Interesses, nicht eines abstracten Princips, ge¬
wählt werden.

Also ans der einen Seile Montalembert, ans der andern Ledrn Nollin. Die
Wahl wird schwer. Denn man studire die Reden jenes Führers der ultramon-
tanen Partei, dessen glänzendes Talent ich übrigens auch in dieser neuesten De¬
batte nicht verkenne, so wird man als den rothen Faden derselben die einfache
Negation finden: keine Concessionen den Feinden der Gesellschaft! vielmehr Offen¬
sive, ein römischer Kreuzzug gegen die Revolution. Er geht bei der Erörterung
eines Gesetzes nie von der eigentlichen Natur desselben aus, sondern stets von
der einfachen Frage: können wir dadurch der Demokratie eine neue Fessel an¬
legen?—> lind es ist Montalembert, der die eigentliche Gesinnung der Majorität
ausspricht. — Indem man sich seiner Partei anschließt, der Partei der sogenann¬
ten Ordnung, spricht man kein positives Princip ans, keine Idee für die neue
Organisation des Staats, die doch a»f die eine oder die andere Art erfolgen muß;
man schließt sich nur einem Feldzuge an, dessen letztes Ziel man nicht Übersicht.

Montelembert hat erklärt, er liebe die alte Gesellschaft, den alten Staat
keineswegs. Beide seien ihm noch viel zu liberal, viel zu aufgeklärt. Aber sie
seien doch noch immer besser, als die phantastischen Ideale der neuen Zeit, dar¬
um führe er einen Vertilgungskrieg gegen ihre Gegner.

Ein solcher Krieg ist ein Jahr, zwei Jahre zu führen; länger halt die Parole
nicht an. So lange sich nicht ein Staatsmann findet, der über die abstract po¬
litischen Fragen — Königthum oder Republik, allgemeines oder beschränktes Wahl¬
recht u. s. w. hinaus, zu Ideen der wirklichen Organisation übergeht — und ich
finde in keiner der drei Parteien einen solchen Staatsmann — so sehe ich sür
Frankreich kein Heil. Weder die Armee noch die von den Jesuiten geleitete Geist¬
lichkeit ist im Stande, der Gesellschaft den Halt zu geben, der in der sittlichen Ge¬
sinnung, und ni dem, was diese eigentlich hervorbringt, in der administrativen
Selbstständigkeit der einzelnen Theile nicht vorhanden ist.




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[0376] Partei moralisch zu vernichten; nur Eavaiguac ist geschont wordeu. Sie hat die Absicht namentlich gegen Einzelne, z. B. Victor Hugo nud Jules Favre, voll¬ ständig erreicht; ich möchte aber bezweifeln, ob zu ihrem Heil. Denn ihr Haupt¬ vorwurf gegen die Blauen — auf deu keiner vou diesen geantwortet hat —ist der, daß sie in deu letzten Wahlen für die Socialisten gestimmt haben. Durch ihr Verfahren treiben sie aber die Mittelspartci vollständig in die Arme des Socialismus. Bei directen Wahlen wird ohnehin eine abstracte Parteistellung vorwalten. Zwei schroff prononcirte Parteien, unter starker Leitung, lassen den zwischen ihnen stehenden keine Wahl, als sich entweder der einen von ihnen anzuschließen, oder ihr Stimmrecht illusorisch zu machen. Bei indirecten Wahlen ist es eher möglich, daß Vertreter eines concreten Interesses, nicht eines abstracten Princips, ge¬ wählt werden. Also ans der einen Seile Montalembert, ans der andern Ledrn Nollin. Die Wahl wird schwer. Denn man studire die Reden jenes Führers der ultramon- tanen Partei, dessen glänzendes Talent ich übrigens auch in dieser neuesten De¬ batte nicht verkenne, so wird man als den rothen Faden derselben die einfache Negation finden: keine Concessionen den Feinden der Gesellschaft! vielmehr Offen¬ sive, ein römischer Kreuzzug gegen die Revolution. Er geht bei der Erörterung eines Gesetzes nie von der eigentlichen Natur desselben aus, sondern stets von der einfachen Frage: können wir dadurch der Demokratie eine neue Fessel an¬ legen?—> lind es ist Montalembert, der die eigentliche Gesinnung der Majorität ausspricht. — Indem man sich seiner Partei anschließt, der Partei der sogenann¬ ten Ordnung, spricht man kein positives Princip ans, keine Idee für die neue Organisation des Staats, die doch a»f die eine oder die andere Art erfolgen muß; man schließt sich nur einem Feldzuge an, dessen letztes Ziel man nicht Übersicht. Montelembert hat erklärt, er liebe die alte Gesellschaft, den alten Staat keineswegs. Beide seien ihm noch viel zu liberal, viel zu aufgeklärt. Aber sie seien doch noch immer besser, als die phantastischen Ideale der neuen Zeit, dar¬ um führe er einen Vertilgungskrieg gegen ihre Gegner. Ein solcher Krieg ist ein Jahr, zwei Jahre zu führen; länger halt die Parole nicht an. So lange sich nicht ein Staatsmann findet, der über die abstract po¬ litischen Fragen — Königthum oder Republik, allgemeines oder beschränktes Wahl¬ recht u. s. w. hinaus, zu Ideen der wirklichen Organisation übergeht — und ich finde in keiner der drei Parteien einen solchen Staatsmann — so sehe ich sür Frankreich kein Heil. Weder die Armee noch die von den Jesuiten geleitete Geist¬ lichkeit ist im Stande, der Gesellschaft den Halt zu geben, der in der sittlichen Ge¬ sinnung, und ni dem, was diese eigentlich hervorbringt, in der administrativen Selbstständigkeit der einzelnen Theile nicht vorhanden ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/376>, abgerufen am 22.07.2024.